1 Als Analogie zum menschlichen
Sehen galt auch die Beweglichkeit der auf dem Schirm der Camera
sich abzeichnenden Bilder. "Oftmals zeigten sich die Beobachter
beeindruckt davon, daß die flimmernden Bilder im Inneren
der Camera, seien es Fußgänger oder sich im Wind bewegende
Zweige, lebensechter wirkten als die Objekte selbst. Aus diesem
Grunde sind die phänomenologischen Unterschiede zwischen
der Erfahrung einer perspektivischen Konstruktion und den Projektionen
der Camera obscura kaum vergleichbar... Bewegung und Zeit konnten
gesehen und erfahren, nicht aber abgebildet werden." (Crary, 1996, S. 45.)
2 Svetlana Alpers unterscheidet das
perspektivisch konstruierte Bild von dem der Camera obscura.
Alpers zufolge handelt es sich "um zwei unterschiedliche
Methoden, die Welt zum Bild zu machen: auf der einen Seite das
Bild als ein Gegenstand in der Welt, ein gerahmtes Fenster, dem
wir unser Auge zuwenden, und auf der anderen Seite das Bild,
das an die Stelle des Auges tritt und dadurch den Rahmen und
unseren Standpunkt unbestimmt läßt." (Alpers,
zit. nach: Kambartel,
1989, S. 376.) Der erste Typus geht mit Dürers Verfahrensweise,
die er in 'Underweysung der Messung' (Nürnberg 1538) beschreibt,
konform, der zweite "geht nicht von einem Fenster sondern
von einer Fläche [aus], auf der sich ein Bild der Welt niederschlägt,
so wie das von einer Linse gebündelte Licht auf der Netzhaut
des Auges ein Bild formt. An der Stelle des Künstlers, der
die Welt in einen Rahmen stellt, um sie abzubilden, bringt die
Welt hier ihr eigenes Bild hervor, ohne daß ein Rahmen
notwendig wäre. Dieses replikative, durch Verdoppelung entstehende
Bild ist einfach da, um angesehen zu werden, ohne daß ein
menschlicher Gestalter eingegriffen hätte. So aufgefaßt,
hat die Welt Vorrang gegenüber dem Künstler-Betrachter."
(Alpers, 1992, S. 133.)
Die erste Art behauptet: 'Ich sehe die Welt'. Die zweite zeigt,
daß die Welt gesehen wird. Im zweiten Fall, meint Alpers,
zeige sich ein Bruchstück der Welt, ohne daß die Position
des Betrachters berücksichtigt werde. Das ist meines Erachtens
ein Trugschluß, da das Bild der Camera wie die perspektivische
Konstruktion auf dem Schnitt durch die Seh- oder Projektionspyramide
beruht. Die beiden bildgebenden Verfahren unterscheiden sich
dadurch, daß das zentralperspektivisch konstruierte Bild
- meistens als Entität - komponiert ist, während das
Bild der Camera obscura einen ausgewählten Ausschnitt aus
einem größeren Ganzen wiedergibt. Zugleich untermauert
Alpers mit solcher Sichtweise die Beurteilung der Fotografie
als ein Medium, durch das die Natur sich selbst darstellen könne
- mithin die Möglichkeit objektiver und 'wahrer' Konservierung
der erscheinenden Dinge.
3 Michel Serres, zit. nach: Crary,
1996, S. 60.
4 Crary,
1996, S. 63.
Auch Descartes stellt in 'La dioptrique' von 1637 eine Analogie
zwischen Auge und Camera obscura her. Descartes rät seinen
Lesern, sich über diese Analogie Gewißheit zu verschaffen,
indem sie sich "das Auge eines eben verstorbenen Menschen
oder statt dessen eines Ochsen oder eines anderen großen
Tieres ... verschaffen" um es als Linse in die Öffnung
der Camera obscura einzusetzen. (Descartes, zit. nach: Crary,
1996, S. 57.) Durch die Trennung vom Körper des Betrachters
wird das Auge in einen immateriellen Status erhoben. Descartes
zieht die Abbildungen des Apparates den Sinneswahrnehmungen vor.
"Die monokulare Optik des Gerätes hält man der
physiologischen Funktionsweise des menschlichen Sehens gegenüber
für überlegen, weil mit ihr nicht wie mit dem menschlichen
Körper die theoretische Forderung verbunden ist, zwei verschiedene
und daher provisorische Bilder ... zu vereinen." (Crary,
1996, S. 57f.)
5 Giersch,
1993, S. 99.
6 Crary,
1996, S. 41.
7 Crary,
1996, S. 41.
8 Crary,
1996, S. 41.
9 Cassirer, zit. nach: Crary,
1996, S. 65.
10 Crary,
1996, S. 65.
11 Crary,
1996, S. 73. .
12 Vgl. Kap. II.3,
Subjektives Sehen.
13 Giersch,
1993, S. 99.
14 Das binokulare Sehen kommt am stärksten
zum Tragen beim Betrachten naheliegender Gegenstände. Als
Konsequenz sieht man während der Betrachtung des Nahen das
Entfernte unscharf. Dieser Effekt tritt bei der stereoskopischen
Aufnahme nicht ein, deshalb der scheibenartige Effekt. Es ist
eine Frage des Maßstabs, und zugleich ist die räumliche
Wahrnehmung in der Stereoskopie keine wirklich räumliche
Wahrnehmung, da die Gegenstände ja tatsächlich unabhängig
von ihrer Entfernung auf einer Ebene scharf abgebildet sind.
Vielmehr wird räumliches Sehen simuliert, das stereoskopische
Bild ist eigentlich eine Sinnestäuschung. (Vgl. Kap.
III.12, Das holographische Stereogramm)