Das holographische Stereogramm
Die unterschiedlichen Verfahren, die Boissonnet für Galileo
kombiniert hat, weisen auf verschiedene Perzeptionsweisen und
Bedeutungsdimensionen, wie am Unterschied zwischen holographischer
Erscheinung und den Bildern des holographischen Stereogramms
erläutert werden kann.
Das holographische Stereogramm imitiert ein Verfahren, das schon
lange vor Erfindung der Holographie erlaubte, räumliche
Bilder zu erzeugen: die Stereographie. Für holographische
Stereogramme oder Multiplexhologramme werden nicht dreidimensionale
Objekte holographiert, sondern Bilder. Man kann nicht nur von
festen Objekten, sondern auch von Bildern oder Projektionen -
Dias, Computerbildern oder Hologrammen beispielsweise - wieder
Hologramme anfertigen. "Als Objekt dient ein durch eine
Linse oder ein Hologramm erzeugtes Bild; deshalb werden derartige
Hologramme 'Image-Hologramme' genannt."1
Holographische Stereogramme sind ein Spezialfall der Image-Hologramme.
Die Multiplextechnik, die 1972 von Lloyd Cross entwickelt wurde,
verbindet Film und Holographie. Das wie erstarrt erscheinende
dreidimensionale Bild des historischen Stereoskops wird verzeitlicht.
Die Holographie wird bei Multiplexhologrammen verwendet, um filmisch
fortlaufende Einzelbilder nacheinander auf einen holographischen
Film aufzuzeichnen; genutzt wird die immense Speicherfähigkeit
des Mediums. Der räumliche Eindruck wird durch einen nichtholographischen
Trick erreicht. Anders als bei anderen Hologrammen handelt es
sich bei dem von Multiplex-Hologrammen hervorgerufenen Seheindruck
um einen stereoskopischen Effekt.
Ausgangspunkt für Multiplexhologramme sind normale Filmbilder
oder Dias. Von jedem Filmbild wird ein vertikales Streifenhologramm
hergestellt, das eine Breite von weniger als einem Millimeter
hat. Dafür wird mit dem Objektstrahl das Filmbild ausgeleuchtet.
"Nach Passieren des Bildes wird der kugelförmig aufgeweitete
Strahl dann mit Hilfe einer Kollimatorlinse in einen parallel
verlaufenden Strahl umgeformt. Dieser wird dann wiederum mittels
einer Zylinderlinse in einen ca. 1 mm breiten und 20 cm langen
Lichtstrahl geformt, mit dem dann schließlich der holographische
Film belichtet wird. Zur gleichen Zeit gelangt der Referenzstrahl,
über Spiegel gerichtet, von hinten auf den holographischen
Film. Das Hologramm, das auf diese Weise erzeugt wird, hat das
Format eines schmalen, vertikal verlaufenden Spaltes. Nach und
nach werden so alle weiteren Filmbilder auf dem gleichen holographischen
Film nebeneinander als Einzelhologramme aufgenommen."2 Multiplexhologramme können bis zu 1000 Einzelhologramme
enthalten.
Jedes einzelne Streifenhologramm zeigt ein flaches Bild, das
meist hinter der Filmebene zu liegen scheint. Wie ein Film setzt
sich ein Multiplexhologramm aus einer Anzahl von Einzelbildern
zusammen, die bei der Betrachtung filmische Bewegungseffekte
hervorzurufen vermögen. "Und wenngleich jedes dieser
Einzelhologramme zunächst nur filmisch zweidimensionale
Bildinformationen enthält, vermag der Betrachter dennoch
ein räumliches Bild wahrzunehmen, da er mit jedem Auge ein
perspektivisch leicht versetztes Bild empfängt. Die Summe
jeweils zweier Bilder bewirkt dabei einen stereoskopischen Seheffekt,
der es ihm ermöglicht, aus jeder beliebigen Position ein
räumliches Bild des aufgenommenen Objektes wahrzunehmen."3
Stereoskopische Effekte basieren darauf, daß zwei unterschiedliche
Bildinformationen wahrnehmungsphysiologisch zur Einheit eines
räumlichen Bildes verschmelzen. Der dreidimensionale Effekt
und die räumliche Veränderung werden in Stereogrammen
häufig dadurch simuliert, daß die Kamera während
der Aufnahme z.B. eines sich langsam bewegenden Menschen einen
Halbkreis um ihn beschreibt, und so am Ende verschiedene Ansichten
ins Multiplexhologramm übertragen werden können. Im
fertigen Hologramm sehen beide Augen verschiedene Streifenhologramme,
die unterschiedlichen Kamerastandpunkten entsprechen: Die flachen
Bilder wirken dreidimensional.4 Bei bewegten
Szenen sehen die Augen nicht nur das Objekt aus verschiedenen
Perspektiven, sondern auch in verschiedenen Bewegungsphasen.
Holographische Stereogramme sind in halbzylindrischer, zylindrischer
oder auch in quadratmetergroßen ebenen Flächen zu
sehen. Als hybride Erscheinungen zwischen Film und Holographie
sind Multiplexhologramme technisch wie ästhetisch eine Sonderform
der Holographie. Auch die Rezeptionsweise ist von der anderer
Hologramme verschieden, denn die Wahrnehmung stereoskopischer
Bilder beruht auf einer Sinnestäuschung, die holographischer
Erscheinungen nicht. Philippe Boissonnet hat ein Stereogramm
in das Regenbogenhologramm von Galileo integriert. An
den verschiedenen Ausformungen des Hologramms lassen sich verschiedene
Sehkonzepte - und in der Interpretation nicht nur solche des
Sehens sondern auch der vermittelten Betrachtererfahrung - unterscheiden.