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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Subjektives Sehen

 

Helmholtz' physiologisch-optische Untersuchungen haben die Theorie vom subjektiven Sehen mitbegründet. Die Tendenz, Sehen als etwas vom Subjekt ausgehendes zu betrachten, hat in der wechselvollen Geschichte der Sehtheorien eine lange Tradition: Die antike Sendetheorie des Sehens wurde von der Prämisse, daß das Sehen ein Tun ist mit geprägt.1 Um 1000 bereiteten optische Lehrwerke den Paradigmenwechsel zur neuzeitlichen Empfangstheorie vor: Sie begreift Sehen als das, was die Netzhaut an Lichtwellen aufnimmt und an das Gehirn weiterleitet. In der Folge der euklidischen Geometrie trat eine Rationalisierung des Wahrnehmungsvorgangs auf, die Gewinn und Verlust zugleich bedeutet: "Die Reduktion des Sinnlichen auf mathematische Projektionen begleitete die Fähigkeit, sich vom Sehen einen Begriff zu machen."2

Hegels rigorose Trennung von Sinnlichkeit und Sinn ist symptomatisch für das Auseinanderdriften von Visualität und Reflexivität. Die philosophische Neigung, vom Sehen abzusehen, hat Lichtenberg attackiert: "Philosophieren können sie alle, sehen keiner."3 Goethe und Schopenhauer haben der aufkommenden Hypothese von der visuellen Eigenkraft und Irreduzibilität des Sehens den Weg bereitet. Das hatte Folgen für die Ästhetik. Das Prinzip der Kunst war nun nicht mehr Schönheit, nicht Begriff, nicht Nachahmung und nicht Gefühl, sondern Sichtbarkeit. Deren Organ ist das im Sehen konzentrierte Künstlerauge. Das Konzept des 'sehenden Sehens' will "jene Befangenheiten überwinden, wie sie für das 'wiedererkennende' Sehen bezeichnend gewesen waren."4 Das 'sehende Sehen' ist spontan und produktiv, in ihm vereinen sich Sehen und Deuten.


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 1 Die älteren Theorien des Sehens orientierten sich am Paradigma des Sehstrahls. Mit dem Sehstrahl war wohl eine Emission gemeint, bei der Strahlen in gerader Linie aus den Augen austreten. Der Sehstrahl ermöglichte im hellenistischen Verständnis, außerhalb des Selbst zu empfinden. (Vgl. Konersmann, 1995, S. 121ff.) Der entscheidende Einwand gegen die Aufschlußkraft des Sehens besagt, daß wahres Erkennen den Augen des Geistes vorbehalten sei. Platons Höhlengleichnis formuliert den Verdacht, "daß der Sehende als ein im Sehen und seinen undurchschauten Grenzen Gefangener außerstande sein könnte, über die Realitätsangemessenheit und Wahrheit seiner Wahrnehmung zuverlässig zu befinden." (Konersmann, 1997, S. 20.) Platons Vorbehalt macht die Aufschlußkraft des Sinnlichen überhaupt zum Problem.

2 Boehm, 1997, S. 274.

3 Lichtenberg, zit. nach: Konersmann, 1997, S. 37.

4 Konersmann, 1997, S. 38.


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