Physiologisches zur Umsetzung von Sinneseindrücken in
Malerei
Der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz, Zeitgenosse
Monets, hat in 'Optisches über Malerei'1
beschrieben, welche physikalischen und physiologischen Prinzipien
der Umsetzung von Sinneseindrücken in Malerei zugrunde liegen.
Monet erwähnte in einer der seltenen Äußerungen
über seine Malerei die Schwierigkeiten, die er mit der Umsetzung
von Sinneseindrücken in Farbmaterie hatte: "Ich fechte
und ringe mit der Sonne." schrieb er 1888 an Rodin. "Und
was für eine Sonne das ist! Um hier zu malen bräuchte
man Gold und Edelsteine."2 Gold und Edelsteine
- Farben also von derselben Lichtstärke, wie sie die von
der Sonne beleuchteten Körper wirklich zeigen - stehen dem
Maler in der Regel nicht zur Verfügung.3
Versucht er also, die Erscheinungsweise der Dinge darzustellen,
erzeugt er, sagt Helmholtz, eine optische Täuschung; "nicht
zwar in dem Maasse, dass wir wie die Vögel, die an den gemalten
Weinbeeren des Apelles pickten, glauben sollen, es sei in Wirklichkeit
nicht das Gemälde, sondern es seien die dargestellten Gegenstände
vorhanden, aber doch in so weit, dass die künstlerische
Darstellung in uns eine Vorstellung dieser Gegenstände hervorrufe,
so lebensvoll und sinnlich kräftig, als hätten wir
sie in Wirklichkeit vor uns."4 Nicht die
Nachbildung der Dinge, sondern die Vermittlung von Sinneseindrücken
ist für Helmholtz Möglichkeit und Ziel der Malerei.
Geschieht die Nachahmung der Dinge im einfachsten Fall durch
Farbstoffe, die der Körperfarbe des Sujets nahekommen, so
kommt es doch "zur vollendeten künstlerischen Malerei
... erst, wenn nicht mehr die Körperfarben, sondern wenn
die Lichtwirkung auf das Auge nachzuahmen gelungen ist, und nur
indem wir den Zweck der malerischen Darstellung in dieser Weise
auffassen, wird es möglich, die Abweichungen zu verstehen,
welche die Künstler in der Wahl ihrer Farben- und Helligkeitsscala
der Natur gegenüber haben eintreten lassen."5
Den Eindruck von Wirklichkeit kann der Maler nur dann erzeugen,
wenn er die dort herrschenden Verhältnisse mit den ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln übersetzt.
Helmholtz erläutert detailliert, auf welchen physikalischen
und physiologischen Prinzipien solche Übersetzung beruht.
Dabei berücksichtigt er die Wirkung sowohl der Naturdinge
auf das Auge des Malers, als auch die Wirkung des Gemäldes
auf das Auge des Betrachters. Helmholtz zeigt vom physiologischen
Standpunkt aus, welchen Beschränkungen die Forderung nach
Naturwahrheit in der malerischen Darstellung unterliegt - ist
doch schon das physikalische Sonnenspektrum vom sichtbaren Wellenspektrum
verschieden. Auch das sichtbare Licht nimmt das Auge nicht neutral
auf, denn der Wahrnehmungsapparat mit seinen physiologischen
Bedingungen mischt sich in hohem Maße ein. Das binokulare
Sehen ist nur ein Grund, weshalb räumlich gelagerte Reflexe
an den Naturphänomenen in anderer Weise auf das Auge einwirken
als solche, die auf einer Fläche dargestellt sind.
Lichtwirkung ist in hohem Maße kontextabhängig. Helmholtz
erläutert die Unterschiede zwischen Lichtwirkungen in der
Natur und der Lichtwirkung im Galerieraum. Sowohl das Bild einer
sonnenbestrahlten Landschaft als auch das einer Vollmondnacht
können die Vorstellung ihres Gegenstands hervorrufen, obgleich
die hellsten Stellen in beiden Bildern mit demselben Weiß
ausgeführt sind, und beide an einer Wand mit derselben Beleuchtung
hängen. In der Natur ist das Licht der Sonne 800.000 mal
stärker als die hellste Vollmondbeleuchtung. Und in einer
Galerie mit indirekter Beleuchtung kann das hellste Weiß
auf einem Gemälde nur ungefähr ein Zwanzigstel der
Helligkeit von direkt von der Sonne beleuchtetem Weiß haben.
Da das Auge des Museumsbesuchers einer mittleren Helligkeit ausgesetzt
ist, muß der Maler versuchen, "durch seine Farben
auf das mässig empfindliche Auge seines Beschauers denselben
Eindruck hervorzubringen, wie ihn einerseits die [sonnenbestrahlte
Landschaft] auf das geblendete, andererseits die Mondnacht auf
das vollkommen ausgeruhte Auge ihres Beschauers macht. Neben
den wirklichen Beleuchtungsverhältnissen der Aussenwelt
spielen also unverkennbar die verschiedenen physiologischen Zustände
des Auges eine ausserordentlich einflussreiche Rolle bei dem
Werke des Künstlers. Was er zu geben hat, ist hiernach schon
nicht mehr eine reine Abschrift des Objectes, sondern eine Uebersetzung
seines Eindruckes in eine andere Empfindungsscala, die einem
anderen Grade von Erregbarkeit des beschauenden Auges angehört,
bei welchem das Organ in seinen Antworten auf die Eindrücke
der Aussenwelt eine ganz andere Sprache spricht."6
Der Eindruck von Lichtstimmungen wird davon beeinflußt,
daß das Auge für Helligkeitsunterschiede in ganz hellen
und ganz dunklen Bereichen unempfindlich ist. Will man also sehr
helles Licht darstellen, folgert Helmholtz, muß man fast
alle Gegenstände so hell wiedergeben, wie man bei der Darstellung
dunklen Lichts nur die hellsten Stellen (Reflexe beispielsweise)
darstellen würde. Die Abstufung der Gegenstände im
Gemälde trägt der relativen Unempfindlichkeit des Auges
für bestimmte, physikalisch meßbare Helligkeitsunterschiede
Rechnung.
Noch mehr mischt sich der physiologische Apparat ein, wenn es
um die Empfindung von Farben geht. Alle Farbempfindungen sind
Mischungen aus drei verschiedenen einfachen Empfindungen - Rot,
Grün und Violett - die durch drei verschiedene Systeme von
Sehnervenfasern unabhängig voneinander perzipiert werden.7 Die Empfindlichkeit des Auges ist für schwache
Schatten in Blau am größten, in Rot am kleinsten.
Es ist gegenüber den Abstufungen des Rot relativ unempfindlicher
als gegenüber Abstufungen des Blau: Wenn eine blaue und
eine rote Fläche, bei mittlerer Beleuchtung gleich hell
erscheinen, erscheint bei abgeschwächter Beleuchtung das
Blau heller als das Rot. Wird die Helligkeit gesteigert, wächst
die Empfindungsstärke für die roten, gelben und grünen
Farben verhältnismäßig mehr, als für die
blauen und violetten. Sehr helles Weiß erscheint uns deshalb
gelblich, sehr schwach beleuchtetes bläulich. Will ein Maler
den Eindruck von sonnenbeleuchtetem Weiß mit seinen lichtschwächeren
Farben nachahmen, erreicht er einen höheren Grad an Ähnlichkeit,
wenn er der Reaktionsweise des Sehnervenapparats entgegenkommt,
indem er dem Weiß Gelb beimischt. Die Beimischung des Gelb
kann als die objektive Darstellung der subjektiven Erscheinung
bezeichnet werden.
Solch feine Farbunterschiede sind uns gewöhnlich kaum bewußt.
Helmholtz begründet seine eingehenden Untersuchungen mit
der Relevanz der subtil abgestuften Sinneswahrnehmungen für
den ästhetischen Gegenstand: "Wenn ich ... fortdauernd
viel Gewicht auf die leichteste, feinste und genaueste sinnliche
Verständlichkeit der künstlerischen Darstellung gelegt
habe, so mag dies ... als eine sehr untergeordnete Rücksicht
erscheinen, eine Rücksicht, die, wo sie von Aesthetikern
überhaupt erwähnt wurde, doch meist nur als Nebensache
behandelt worden ist. Ich glaube aber mit Unrecht. Die sinnliche
Deutlichkeit ist durchaus kein niedriges oder untergeordnetes
Moment bei den Wirkungen der Kunstwerke; mir hat sich ihre Wichtigkeit
immer mehr aufgedrängt, je mehr ich den physiologischen
Momenten in diesen Wirkungen nachgespürt habe."8 Helmholtz fragt weniger nach der Beschaffenheit
des Werks, als nach dessen Wirkung. Rezeptionsästhetisch
kann die betrachterabhängige Farbwirkung als 'Leerstelle'
der Bilder angesehen werden. Im Helmholtzschen Sinne werden sie
durch diese Betrachterfunktion erst zum ästhetischen Phänomen,
das sinnliche Erfahrung evozieren kann. Die künstlerische
Umsetzung der Sinneswirkung in materielle Farbphänomene
kann mithin als Vermittlungsstrategie im Blick auf die Erzeugung
von Lichtwirkungen bezeichnet werden.