Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Physiologisches zur Umsetzung von Sinneseindrücken in Malerei

 

Der Physiker und Physiologe Hermann von Helmholtz, Zeitgenosse Monets, hat in 'Optisches über Malerei'1 beschrieben, welche physikalischen und physiologischen Prinzipien der Umsetzung von Sinneseindrücken in Malerei zugrunde liegen. Monet erwähnte in einer der seltenen Äußerungen über seine Malerei die Schwierigkeiten, die er mit der Umsetzung von Sinneseindrücken in Farbmaterie hatte: "Ich fechte und ringe mit der Sonne." schrieb er 1888 an Rodin. "Und was für eine Sonne das ist! Um hier zu malen bräuchte man Gold und Edelsteine."2 Gold und Edelsteine - Farben also von derselben Lichtstärke, wie sie die von der Sonne beleuchteten Körper wirklich zeigen - stehen dem Maler in der Regel nicht zur Verfügung.3 Versucht er also, die Erscheinungsweise der Dinge darzustellen, erzeugt er, sagt Helmholtz, eine optische Täuschung; "nicht zwar in dem Maasse, dass wir wie die Vögel, die an den gemalten Weinbeeren des Apelles pickten, glauben sollen, es sei in Wirklichkeit nicht das Gemälde, sondern es seien die dargestellten Gegenstände vorhanden, aber doch in so weit, dass die künstlerische Darstellung in uns eine Vorstellung dieser Gegenstände hervorrufe, so lebensvoll und sinnlich kräftig, als hätten wir sie in Wirklichkeit vor uns."4 Nicht die Nachbildung der Dinge, sondern die Vermittlung von Sinneseindrücken ist für Helmholtz Möglichkeit und Ziel der Malerei. Geschieht die Nachahmung der Dinge im einfachsten Fall durch Farbstoffe, die der Körperfarbe des Sujets nahekommen, so kommt es doch "zur vollendeten künstlerischen Malerei ... erst, wenn nicht mehr die Körperfarben, sondern wenn die Lichtwirkung auf das Auge nachzuahmen gelungen ist, und nur indem wir den Zweck der malerischen Darstellung in dieser Weise auffassen, wird es möglich, die Abweichungen zu verstehen, welche die Künstler in der Wahl ihrer Farben- und Helligkeitsscala der Natur gegenüber haben eintreten lassen."5 Den Eindruck von Wirklichkeit kann der Maler nur dann erzeugen, wenn er die dort herrschenden Verhältnisse mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln übersetzt.

Helmholtz erläutert detailliert, auf welchen physikalischen und physiologischen Prinzipien solche Übersetzung beruht. Dabei berücksichtigt er die Wirkung sowohl der Naturdinge auf das Auge des Malers, als auch die Wirkung des Gemäldes auf das Auge des Betrachters. Helmholtz zeigt vom physiologischen Standpunkt aus, welchen Beschränkungen die Forderung nach Naturwahrheit in der malerischen Darstellung unterliegt - ist doch schon das physikalische Sonnenspektrum vom sichtbaren Wellenspektrum verschieden. Auch das sichtbare Licht nimmt das Auge nicht neutral auf, denn der Wahrnehmungsapparat mit seinen physiologischen Bedingungen mischt sich in hohem Maße ein. Das binokulare Sehen ist nur ein Grund, weshalb räumlich gelagerte Reflexe an den Naturphänomenen in anderer Weise auf das Auge einwirken als solche, die auf einer Fläche dargestellt sind.

Lichtwirkung ist in hohem Maße kontextabhängig. Helmholtz erläutert die Unterschiede zwischen Lichtwirkungen in der Natur und der Lichtwirkung im Galerieraum. Sowohl das Bild einer sonnenbestrahlten Landschaft als auch das einer Vollmondnacht können die Vorstellung ihres Gegenstands hervorrufen, obgleich die hellsten Stellen in beiden Bildern mit demselben Weiß ausgeführt sind, und beide an einer Wand mit derselben Beleuchtung hängen. In der Natur ist das Licht der Sonne 800.000 mal stärker als die hellste Vollmondbeleuchtung. Und in einer Galerie mit indirekter Beleuchtung kann das hellste Weiß auf einem Gemälde nur ungefähr ein Zwanzigstel der Helligkeit von direkt von der Sonne beleuchtetem Weiß haben. Da das Auge des Museumsbesuchers einer mittleren Helligkeit ausgesetzt ist, muß der Maler versuchen, "durch seine Farben auf das mässig empfindliche Auge seines Beschauers denselben Eindruck hervorzubringen, wie ihn einerseits die [sonnenbestrahlte Landschaft] auf das geblendete, andererseits die Mondnacht auf das vollkommen ausgeruhte Auge ihres Beschauers macht. Neben den wirklichen Beleuchtungsverhältnissen der Aussenwelt spielen also unverkennbar die verschiedenen physiologischen Zustände des Auges eine ausserordentlich einflussreiche Rolle bei dem Werke des Künstlers. Was er zu geben hat, ist hiernach schon nicht mehr eine reine Abschrift des Objectes, sondern eine Uebersetzung seines Eindruckes in eine andere Empfindungsscala, die einem anderen Grade von Erregbarkeit des beschauenden Auges angehört, bei welchem das Organ in seinen Antworten auf die Eindrücke der Aussenwelt eine ganz andere Sprache spricht."6

Der Eindruck von Lichtstimmungen wird davon beeinflußt, daß das Auge für Helligkeitsunterschiede in ganz hellen und ganz dunklen Bereichen unempfindlich ist. Will man also sehr helles Licht darstellen, folgert Helmholtz, muß man fast alle Gegenstände so hell wiedergeben, wie man bei der Darstellung dunklen Lichts nur die hellsten Stellen (Reflexe beispielsweise) darstellen würde. Die Abstufung der Gegenstände im Gemälde trägt der relativen Unempfindlichkeit des Auges für bestimmte, physikalisch meßbare Helligkeitsunterschiede Rechnung.

Noch mehr mischt sich der physiologische Apparat ein, wenn es um die Empfindung von Farben geht. Alle Farbempfindungen sind Mischungen aus drei verschiedenen einfachen Empfindungen - Rot, Grün und Violett - die durch drei verschiedene Systeme von Sehnervenfasern unabhängig voneinander perzipiert werden.7 Die Empfindlichkeit des Auges ist für schwache Schatten in Blau am größten, in Rot am kleinsten. Es ist gegenüber den Abstufungen des Rot relativ unempfindlicher als gegenüber Abstufungen des Blau: Wenn eine blaue und eine rote Fläche, bei mittlerer Beleuchtung gleich hell erscheinen, erscheint bei abgeschwächter Beleuchtung das Blau heller als das Rot. Wird die Helligkeit gesteigert, wächst die Empfindungsstärke für die roten, gelben und grünen Farben verhältnismäßig mehr, als für die blauen und violetten. Sehr helles Weiß erscheint uns deshalb gelblich, sehr schwach beleuchtetes bläulich. Will ein Maler den Eindruck von sonnenbeleuchtetem Weiß mit seinen lichtschwächeren Farben nachahmen, erreicht er einen höheren Grad an Ähnlichkeit, wenn er der Reaktionsweise des Sehnervenapparats entgegenkommt, indem er dem Weiß Gelb beimischt. Die Beimischung des Gelb kann als die objektive Darstellung der subjektiven Erscheinung bezeichnet werden.

Solch feine Farbunterschiede sind uns gewöhnlich kaum bewußt. Helmholtz begründet seine eingehenden Untersuchungen mit der Relevanz der subtil abgestuften Sinneswahrnehmungen für den ästhetischen Gegenstand: "Wenn ich ... fortdauernd viel Gewicht auf die leichteste, feinste und genaueste sinnliche Verständlichkeit der künstlerischen Darstellung gelegt habe, so mag dies ... als eine sehr untergeordnete Rücksicht erscheinen, eine Rücksicht, die, wo sie von Aesthetikern überhaupt erwähnt wurde, doch meist nur als Nebensache behandelt worden ist. Ich glaube aber mit Unrecht. Die sinnliche Deutlichkeit ist durchaus kein niedriges oder untergeordnetes Moment bei den Wirkungen der Kunstwerke; mir hat sich ihre Wichtigkeit immer mehr aufgedrängt, je mehr ich den physiologischen Momenten in diesen Wirkungen nachgespürt habe."8 Helmholtz fragt weniger nach der Beschaffenheit des Werks, als nach dessen Wirkung. Rezeptionsästhetisch kann die betrachterabhängige Farbwirkung als 'Leerstelle' der Bilder angesehen werden. Im Helmholtzschen Sinne werden sie durch diese Betrachterfunktion erst zum ästhetischen Phänomen, das sinnliche Erfahrung evozieren kann. Die künstlerische Umsetzung der Sinneswirkung in materielle Farbphänomene kann mithin als Vermittlungsstrategie im Blick auf die Erzeugung von Lichtwirkungen bezeichnet werden.


Home

Inhalt

Weiter


 1 Helmholtz, 1876. Es handelt sich um die Umarbeitung von Vorträgen, die 1871 bis 1873 gehalten worden sind.

2 Monet aus Antibes an Auguste Rodin, Anfang Februar 1888, zit. nach: Gordon/Forge, 1985, S. 121.

3 Helmholtz fragte, ob aufgrund der Unzulänglichkeit der malerischen Mittel es nicht sinnvoll sein könnte, nach Mitteln zu suchen, diesen Übelständen abzuhelfen. Transparentbilder oder Glasmalereien können viel höhere Grade der Helligkeit und viel gesättigtere Farben benutzen, bei Dioramen und Theaterdekorationen kann man mit künstlicher Beleuchtung nachhelfen. Offensichtlich, meint Helmholtz, seien aber in diesen Bereichen Kunstwerke kaum anzutreffen, sondern was wir als Meisterwerke bezeichnen, ist mit mäßig dunklen Öl- und Temperafarben ausgeführt. Die Benutzung wirklicher Helligkeiten und Leuchtkraft hätte zur Folge, daß solche Gemälde kaum länger betrachtet werden könnten, da sie das Auge schmerzten und ermüdeten. "Somit scheint die Erfahrung zu lehren, dass die Mässigung des Lichtes und der Farben in den Gemälden sogar noch ein Vortheil ist ... Wir dürfen also wohl in der That die Naturwahrheit eines schönen Gemäldes als eine veredelte Naturtreue bezeichnen. Ein solches giebt alles Wesentliche des Eindruckes wieder und erreicht volle Lebendigkeit der Anschauung, aber ohne das Auge durch die grellen Lichter der Wirklichkeit zu verletzen und zu ermüden." (Helmholtz, 1876, S. 128f.) Kunstwerke zeichnen sich nach Helmholtz dadurch aus, daß der Eindruck vor ihnen abgeschwächter ist als vor den Naturdingen. Sie ermöglichen tendenziell visuelle Erfahrungen, die schon aufgrund ihrer rein physiologischen Intensität vor der Natur nicht gemacht werden können - den direkten Blick ins Sonnenlicht beispielsweise.

4 Helmholtz, 1876, S. 98.

5 Helmholtz, 1876, S. 117.

6 Helmholtz, 1876, S. 113.

7 Helmholtz folgt hier der zu seiner Zeit experimentell noch nicht bestätigten Theorie Thomas Youngs. Heute nimmt man an, daß wir mehr als eine Million Farbabstufungen unterscheiden können, weil drei Typen von Zapfen unterschiedlich auf Wellenlängen des Lichts reagieren. Sie weisen unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit auf. Nach der jetzt gut bestätigten Young-Helmholtz-Theorie ist einer der Zapfentypen im Bereich der kurzen Wellenlängen (im Blau-Violett-Bereich) am empfindlichsten, sein Absorptionsmaximum liegt bei rund 420 nm. Ein zweiter Zapfentyp ist für mittlere Wellenlängen (Grün) mit einem Maximum von 530 nm am empfindlichsten, der dritte Zapfentyp ist am empfindlichsten im Bereich längerer Wellenlängen (Gelb-Rot) mit einem Maximum von 560 nm. Die drei Farbrezeptoren haben weit überlappende Empfindlichkeitsbereiche. Der Blaurezeptor wird durch kurzwelliges Licht am stärksten erregt, aber auch schwächer durch grünes Licht. "Die Wellenlänge des einfallenden Lichts wird also nicht durch die Aktivität eines einzelnen Rezeptors, sondern durch die relative Aktivität von mindestens zwei, meist drei Rezeptoren 'codiert'." (Roth, 1994, S. 104.)

8 Helmholtz, 1876, S. 136.

 


Home

Inhalt

Weiter