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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Goethe und das subjektive Sehen

 

Eine idealistische Deutung des subjektiven Sehens liegt nach Helmholtz Goethes Farbenlehre zugrunde. Der Dichter sucht nicht die Natur in anschauungslose Begriffe zu fassen; vielmehr stellt er sich ihr wie einem Kunstwerk gegenüber, "welches seinen geistigen Inhalt von selbst hier oder dort dem empfänglichen Beschauer offenbaren müsse."1

Die idealistische Prägung von Goethes und noch Helmholtz' Ausführungen läßt die Verbindung zu Monets Malerei fraglich erscheinen. Doch scheint in Helmholtz' wie Goethes Untersuchungen eine Nähe auf zur impressionistischen Bildidee, die wenig mehr zu tun hat mit intellektuellen Pointen, mit thematischer oder motivischer Phantasie, sondern vor allem mit einer neuen Weise des Sehens. Beide untersuchen den Einfluß des menschlichen Wahrnehmungsapparats auf Gesichtsempfindungen. Goethes und Helmholtz' Untersuchungen enthalten so in nuce die Prinzipien impressionistischer Farbgebung.

Subjektive Empfindungen bilden die Basis von Goethes Farbenlehre. Vor allem Nachbilderscheinungen interessierten ihn, die er in ausführlichen Versuchsanordnungen zu klassifizieren suchte. In optischen Studien untersuchte er die Wirkungen des Lichts auf das menschliche Auge und versuchte, so dem Wesen des Lichts näher zu kommen.2 Goethe meinte, sich auf diese Weise die ihm rätselhaft erscheinenden ästhetischen Grundsätze des Kolorits in der Malerei erklären zu können.

Goethe bediente sich bei der Erforschung von Nachbildphänomenen einer Camera-obscura ähnlichen Versuchsanordnung. Man solle, schlug Goethe vor, in einem verdunkelten Zimmer, das nur eine kleine Öffnung besitzt, ein weißes Stück Papier vor diese Öffnung halten, so daß es von der einfallenden Sonne beschienen wird. Dann solle man den hellen Fleck einige Zeit anstarren. Schließe man sodann die Öffnung, werde man in dem nun vollkommen dunklen Zimmer "eine runde Erscheinung vor sich schweben sehen. Die Mitte des Kreises wird man hell, farblos, einigermaßen gelb sehen, der Rand aber wird sogleich purpurfarben erscheinen. Es dauert eine Zeitlang, bis diese Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunkt völlig vertreibt. Kaum erscheint aber das ganze Rund purpurfarben, so fängt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdrängt nach und nach hereinwärts den Purpur. Ist die Erscheinung vollkommen blau, so wird der Rand dunkel und unfärbig."3 Goethes schwebende Farbringe haben - im Unterschied zum Bild der Camera obscura - keine äußere Entsprechung. Es sind physiologische Farben, die ganz dem Körper des Betrachters entstammen. "Jene farbige Erscheinung ... entspringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehört."4 Der menschliche Körper wird nun als aktiver Produzent optischer Erfahrungen angesehen. Die Empfindungsmöglichkeiten des Betrachters basieren auf seiner körperlichen Subjektivität. Goethes Darstellung des subjektiven Sehens vereint einen physiologischen Betrachter und einen Betrachtenden, der als aktiver, autonomer Produzent visueller Erfahrung verstanden wird.

Die Hauptkritik an Goethes Farbenlehre betrifft seine Polemik gegen Newton. Goethe hat, entgegen allen damals gültigen physikalischen Erkenntnissen, die physiologischen Farben zur Grundlage seiner Lehre gemacht - also einen Aspekt menschlicher Wahrnehmung, der gemeinhin als pathologisch, als Täuschung und Gebrechen, betrachtet wurde. Daß er sich mit den Voraussetzungen seiner Farbenlehre auf unsicheres philosophisches Terrain begab, war Goethe klar: "Denn es hatte von jeher etwas Gefährliches, von der Farbe zu handeln, dergestalt, daß einer unserer Vorgänger gelegentlich gar zu äußern wagt: Hält man dem Stier ein rotes Tuch vor, so wird er wütend; aber der Philosoph, wenn man nur überhaupt von Farbe spricht, fängt an zu rasen."5 Goethe, der den Augenschein zum Prüfstein aller Theorie erhoben hatte, mußte das Newtonsche Weiß, das auf der additiven Mischung aller Spektralfarben beruht, als Absurdität erscheinen.6

In seinen Darlegungen zu Farbmischungen beschreibt Goethe das Prinzip der optischen Mischung. Goethe unterscheidet zwar zunächst reale und scheinbare Farbmischungen, erklärt aber zugleich, die reale, die durch mechanische Mischung von Farbpigmenten entstehe, sei von der scheinbaren Farbmischung nur graduell verschieden: "Die scheinbare Mischung wird hier um so mehr gleich mit abgehandelt, als ... man sogar die von uns als real angegebene Mischung für scheinbar halten könnte. Denn die Elemente, woraus die zusammengesetzte Farbe entsprungen ist, sind nur zu klein, um einzeln gesehen zu werden. Gelbes Pulver und blaues Pulver zusammengerieben erscheint dem nackten Auge grün, wenn man durch ein Vergrößerungsglas noch Gelb und Blau voneinander abgesondert bemerken kann. So machen auch gelbe und blaue Streifen in der Entfernung eine grüne Fläche, welches alles auch von der Vermischung der übrigen spezifizierten Farben gilt."7

Die meisten Farbtöne, die man in den Nymphéas sehen kann, beruhen aufgrund der Kleinteiligkeit der Elemente mehr oder weniger auf optischer Mischung. Monet hat aber kaum reine Farben zum Zwecke der Erzeugung von Mischfarben nebeneinandergesetzt, sondern vielmehr Palettenfarben neben- und aufeinander geschichtet. Das Prinzip der optischen Mischung hat seine Zeitgenossen jedoch offenbar so überzeugt, daß wider allen Augenschein die strenge Methode Monet untergeschoben wurde. Schon Clemenceau monierte, daß der Kritiker Louis Gillet behauptet habe, Monet hätte reine Farben nebeneinandergesetzt, um eine optische Mischung im Auge zu erreichen: "Ich habe in [den Wasserrosen] hier und da fast ganz reine Farbstriche gesehen, um gewisse lebhafte Wirkungen zu erzielen, manchmal nicht ohne Schwung, aber ohne Verschwendung. Alles andere kommt von der Palette."8


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 1 Helmholtz, 1853, S. 13.
Für Goethe bestand "das Wesentliche der dichterischen wie jeder künstlerischen Tätigkeit ... darin, das künstlerische Material zum unmittelbaren Ausdrucke der Ideen zu machen. Nicht als Resultat einer Begriffsentwicklung, sondern als das der unmittelbaren geistigen Anschauung, des erregten Gefühls, dem Dichter selbst kaum bewusst, muss die Idee in dem vollendeten Kunstwerk daliegen und es beherrschen. Durch diese Einkleidung in die Form unmittelbarer Wirklichkeit empfängt der ideelle Gehalt des Kunstwerks eben die ganze Lebendigkeit des unmittelbaren sinnlichen Eindrucks, verliert aber natürlich die Allgemeinheit und Verständlichkeit, welche er in der Form des Begriffs vorgetragen haben würde." (Helmholtz, 1853, S. 13.) Goethe glaubte, in der Wirklichkeit den unmittelbarsten Ausdruck der Idee finden zu können. In den Vorstudien zur Farbenlehre (aufgezeichnet etwa 1799) beschreibt Goethe künstlerische Apperzeption: "Das Auge sieht keine Gestalten, es sieht nur, was sich durch Hell und Dunkel oder durch Farben unterscheidet. In dem unendlich zarten Gefühl für Abschattierung des Hellen und Dunkeln sowie der Farben, liegt die Möglichkeit der Mahlerey. Die Mahlerey ist für das Auge wahrer, als das Wirkliche selbst. Sie stellt auf, was der Mensch sehen möchte und sollte, nicht was er gewöhnlich sieht... Das Auge ist das letzte, höchste Resultat des Lichtes auf den organischen Körper... Das Licht überliefert das Sichtbare dem Auge; das Auge überliefert's dem ganzen Menschen. Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub; aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch. Die Totalität des Innern und Äußern wird durchs Auge vollendet." (Goethe, 1810, S. 163.)

2 "Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten. Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken, denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will." (Goethe, 1810, S. 168.)

3 Goethe, zit. nach: Crary, 1996, S. 76.

4 Goethe, zit. nach: Crary, 1996, S. 76.

5 Goethe, 1810, S. 177.

6 Goethe, meint Helmholtz, habe Anstoß genommen an den Annahmen, die die Newtonsche Theorie "zum Zwecke der Erklärung macht, und die ihm so absurd erscheinen, dass er deshalb die gegebene Erklärung als gar keine achtet. Es scheint ihm namentlich der Gedanke undenkbar gewesen zu sein, dass weisses Licht aus farbigem zusammengesetzt werde könne; er schilt ... auf das ekelhafte Newton'sche Weiss der Physiker". (Helmholtz, 1853, S. 16.) Goethe beharrte trotz eingehender Kenntnis der Newtonschen Theorie auf dem Urteil, sie widerspräche dem Augenschein und müsse also falsch sein: "Daß alle Farben zusammengemischt Weiß machen, ist eine Absurdität, die man nebst anderen Absurditäten schon ein Jahrhundert und dem Augenschein entgegen zu wiederholen gewohnt ist." (Goethe, 1810, § 558, S. 288.) Newtons Farbtheorie gründet in der Annahme, daß Licht verschiedener Art sich unter anderem auch im Farbeindruck unterscheide. Weiß sei die Mischung aller Farben in bestimmten Verhältnissen, aus dem Weiß und den Mischfarben könne man jederzeit die einfachen Farben wieder ausscheiden, die einfachen Farben seien unzerlegbar und unveränderlich. "Die Farben der ... Körper entständen dadurch, dass diese von weissem Lichte getroffen einzelne farbige Theile desselben vernichteten, andere, welche nun nicht mehr im richtigen Verhältnisse gemischt seien um Weiss zu geben, dem Auge zuschickten. So erscheine ein rothes Glas deshalb roth, weil es nur rothe Strahlen durchlasse. Alle Farbe rühre also nur von einem veränderten Mischungsverhältnis des Lichtes her, gehöre also ursprünglich dem Lichte an, nicht den Körpern, und letztere geben nur die Veranlassung zu ihrem Hervortreten." (Helmholtz, 1853, S. 10.)

7 Goethe, 1810, § 560, S. 288f.

8 Clemenceau, 1929, S. 150ff.


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