Nachbildphänomen und impressionistische Farbgebung
Abgesehen davon, daß Monet die schulbuchmäßige
Verwendung reiner Farben nicht betrieben hat, ist das Auge bezüglich
der Empfindung von Farbeindrücken nicht neutral. Farben
erscheinen kontextabhängig. Helmholtz erläutert am
Nachbildphänomen, wie sich Farben gegenseitig beeinflussen.
Eine Farbe erscheint beispielsweise durch helle Nachbarschaft
dunkler, durch dunkle Nachbarschaft heller, und durch eine farbige
komplementärfarbig. Zur Erklärung der Nachbilderscheinungen
bedient sich Helmholtz der Hypothese, daß jeder Nervenapparat
ermüde, wenn er in Tätigkeit gehalten wird.1
Das geschieht auch im Auge: Hat man eine Zeitlang in sehr helles
Licht geschaut, wird die Netzhaut unempfindlich für schwächeres
Licht. Es hat eine allgemeine Ermüdung der Netzhaut stattgefunden.
Abgrenzbare Nachbilder entstehen aufgrund einer lokalen Ermüdung
der Netzhaut, komplementärfarbige Nachbilder entstehen aufgrund
partieller Ermüdung für einzelne Farben. Nach der Youngschen
Hypothese von den dreierlei Arten von Farbe empfindenden Nervenfasern
werden bei der Empfindung einer bestimmten Farbe diese Fasern
unterschiedlich stark erregt. Young postulierte, "dass die
Verschiedenheit der Farbenempfindung nur darauf beruht, ob die
eine oder andere Nervenart relativ stärker afficirt wird."2 Blickt man beispielsweise längere Zeit auf
eine rote Fläche, so werden die rot empfindenden Nervenfasern
relativ stärker erregt als die grün und violett empfindenden.
Wird die rote Fläche nun aus dem Gesichtsfeld entfernt,
so erscheint an ihrer Stelle ein grün-violettes Nachbild.
Goethe hat solche Nachbilder ausführlich beschrieben.
Nachbilderscheinungen treten um so stärker auf, je heller
das Licht ist und je gesättigter die Farben sind. Da Malerfarben
im allgemeinen abgemischt und also eher stumpf sind, treten so
starke Kontrasterscheinungen wie in der Natur im Gemälde
nicht auf. "Will also der Künstler den Gesichtseindruck,
den die Objecte geben, mit den Farben, die ihm zu Gebote stehen,
möglichst eindringlich wiedergeben, so muss er auch die
Contraste malen, welche jene erzeugen... So werden Sie bei einiger
Aufmerksamkeit finden, wie der Regel nach Maler und Zeichner
eine ebene, gleichmässig erleuchtete Fläche da heller
machen, wo sie an Dunkel, dunkler, wo sie an Hell stösst.
Sie werden finden, dass gleichmässig graue Flächen
gegen Gelb getönt werden, wo hinter ihnen am Rande Blau
zum Vorschein kommt, gegen Rosa, wo sie an Grün stossen
... Wo einzelne Sonnenstrahlen durch das grüne Laubdach
eines Waldes dringend den Boden treffen, erscheinen sie dem gegen
das herrschende Grün ermüdeten Auges rosenroth gefärbt,
und dem rothgelben Kerzenlicht gegenüber erscheint das durch
eine Spalte einfallende weisse Tageslicht blau. So malt sie in
der That auch der Maler, da die Farben seines Gemäldes nicht
leuchtend genug sind, um ohne solche Nachhilfe den Contrast hervorzubringen."3