Empfindung und Wirkung impressionistischer Farbgebung
Es ist nicht möglich, die Vielschichtigkeit der Farbverflechtungen,
die Monet vornahm, auf optische und physiologische Prinzipien
allein zurückzuführen. Doch vor dem Hintergrund physiologischer
Erkenntnisse seiner Zeit wird deutlich, daß von frei erfundener
Farbigkeit nicht gesprochen werden kann. Vielmehr gründet
Monets Malerei in der Umsetzung äußerer und innerer
Empfindungen. Wie sehr Monet die getreue Wiedergabe von Empfindungen
intendierte, zeigt, daß er die Abweichung davon als geradezu
pathologisch empfand: "Es gibt Maler ... die eine krankhafte
Befriedigung daraus ziehen, genau das Gegenteil der Natur zu
malen. Wenn sie diese Gewohnheit sehr jung angenommen haben,
darf man wohl annehmen, daß diese Art, die Dinge zu sehen,
das Ergebnis einer mangelhaften Wahrnehmung oder die Folge einer
Deformation des Sehens ist. Wenn sie jedoch anfangs die Natur
so dargestellt haben, wie sie ist, wenn sie sie über eine
ganze Spanne ihrer Laufbahn in der Helligkeit ihrer Lichtwirkungen,
in der Fülle und dem Glanz ihrer Farben interpretiert haben,
und man nun mit einem Mal feststellt, daß sie der Wirklichkeit
ohne ersichtlichen Grund den Rücken kehren, kann man nicht
umhin, darin eine gewisse Tristesse zu sehen."1
Monet ist bezüglich der Objektivierung von Farbkontrasten
wohl ein Grenzfall, mit dem Helmholtz noch nicht gerechnet hat.
Denn Monets Umsetzung von Empfindungen reicht über das bloße
Objektivieren subjektiver Phänomene hinaus. Monet setzt
Farbe in einer Weise ein, durch die selbst wieder Kontrastphänomene
in Gang gesetzt werden - ein Phänomen, das Helmholtz nur
vor der Natur gelten ließ. Uns ist heute durch die Kenntnis
der Farbfeldmalerei deutlicher geworden, in welchem Maße
mit Malerei Farbkontraste erzeugt werden können. Vor diesem
Hintergrund scheint der Versuch nicht sinnvoll, Farbphänomene,
die eigentlich Empfindungsphänomene sind, objektiv festschreiben
zu wollen.
Das zeitgenössische Publikum hat die Unmöglichkeit
der objektiven Festschreibung impressionistischer Werke wohl
empfunden - und als Mangel und Willkür gegenüber dem
Bekannten und Erlernten aufgefaßt. Théodore Duret
persiflierte bereits 1878 die Reaktion des Publikums auf die
impressionistischen Farbkontraste: "Der Impressionist sitzt
am Ufer eines Flusses. Je nach dem Zustand des Himmels, des Blickwinkels,
der Tageszeit und der Ruhe oder Bewegtheit der Luft nimmt das
Wasser jeden erdenklichen Farbton an. Ohne zu zaudern, malt er
das Wasser, das jeden erdenklichen Farbton aufweist... Geht die
Sonne unter und wirft ihre Strahlen aufs Wasser, schichtet der
Impressionist Gelb und Rot auf seiner Leinwand, um diesen Eindruck
festzuhalten. Und da beginnt das Publikum zu lachen. Winter.
Der Impressionist malt den Schnee. Er sieht, daß im Sonnenlicht
die Schatten auf dem Schnee blau sind. Und ohne zu Zögern
malt er blaue Schatten. Und das Publikum lacht, brüllt vor
Lachen. Einige Teile der Landschaft sind von Lehm bedeckt, der
eine purpurne Färbung annimmt. Der Impressionist malt purpurne
Landschaften. Das Publikum wird ungehalten. In der vom grünen
Laub reflektierten sommerlichen Sonne nehmen Haut und Kleidung
eine violette Färbung an. Der Impressionist malt Menschen
in violetten Wäldern. Das Publikum gerät völlig
außer sich. Die Kritiker drohen mit den Fäusten und
nennen ihn einen gewöhnlichen Schurken. Der unglückliche
Impressionist kann Einspruch erheben und seine völlige Aufrichtigkeit
bekunden. Er kann erklären, daß er nur das wiedergibt,
was er sieht und daß er der Natur treu bleibt. Aber das
Publikum und die Kritiker verdammen ihn. Sie können nicht
überprüfen, ob das, was sie auf der Leinwand sehen,
mit dem übereinstimmt, was der Maler tatsächlich in
der Natur gesehen hat. Für sie gilt nur eines: das, was
die Impressionisten auf ihren Bildern zeigen, entspricht nicht
dem, was sie auf den Bildern früherer Maler finden. Es ist
anders, und daher ist es schlecht."2
Abgesehen davon, daß die Sehgewohnheiten des Publikums
auf bräunliche Ölgemälde trainiert waren, nennt
Helmholtz einen physiologischen Grund für die ablehnende
Haltung des Publikums. Kontrastphänomene sind vor der Natur
schwer zu erkennen. Schon Goethe fand, daß der Wahrnehmungsapparat
trainiert werden müsse, um optische Phänomene abseits
des erkennenden Sehens überhaupt wahrzunehmen.3
Zudem, in Ruhe betrachten lassen sich solche Phänomene nur
unter Laborbedingungen. Bei der Empfindung komplexerer Phänomene
sind sie schwer auszumachen und normalerweise bleiben sie unterhalb
der Bewußtseinsschwelle. Es ist die Vermittlungsleistung
impressionistischer Malweise, dem Publikum Einrichtungen zum
Training des Wahrnehmungsapparats bereitzustellen. Die heutige
Popularität von Monets Nymphéas kann als Anzeichen
dafür gelten, daß das Training erfolgreich verlief.
Schließlich ermöglicht solches Training eine veränderte
Wahrnehmung der phänomenalen Wirklichkeit. Denn dort haben
die impressionistischen Phänomene ihren Ausgang genommen.