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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Empfindung und Wirkung impressionistischer Farbgebung

 

Es ist nicht möglich, die Vielschichtigkeit der Farbverflechtungen, die Monet vornahm, auf optische und physiologische Prinzipien allein zurückzuführen. Doch vor dem Hintergrund physiologischer Erkenntnisse seiner Zeit wird deutlich, daß von frei erfundener Farbigkeit nicht gesprochen werden kann. Vielmehr gründet Monets Malerei in der Umsetzung äußerer und innerer Empfindungen. Wie sehr Monet die getreue Wiedergabe von Empfindungen intendierte, zeigt, daß er die Abweichung davon als geradezu pathologisch empfand: "Es gibt Maler ... die eine krankhafte Befriedigung daraus ziehen, genau das Gegenteil der Natur zu malen. Wenn sie diese Gewohnheit sehr jung angenommen haben, darf man wohl annehmen, daß diese Art, die Dinge zu sehen, das Ergebnis einer mangelhaften Wahrnehmung oder die Folge einer Deformation des Sehens ist. Wenn sie jedoch anfangs die Natur so dargestellt haben, wie sie ist, wenn sie sie über eine ganze Spanne ihrer Laufbahn in der Helligkeit ihrer Lichtwirkungen, in der Fülle und dem Glanz ihrer Farben interpretiert haben, und man nun mit einem Mal feststellt, daß sie der Wirklichkeit ohne ersichtlichen Grund den Rücken kehren, kann man nicht umhin, darin eine gewisse Tristesse zu sehen."1

Monet ist bezüglich der Objektivierung von Farbkontrasten wohl ein Grenzfall, mit dem Helmholtz noch nicht gerechnet hat. Denn Monets Umsetzung von Empfindungen reicht über das bloße Objektivieren subjektiver Phänomene hinaus. Monet setzt Farbe in einer Weise ein, durch die selbst wieder Kontrastphänomene in Gang gesetzt werden - ein Phänomen, das Helmholtz nur vor der Natur gelten ließ. Uns ist heute durch die Kenntnis der Farbfeldmalerei deutlicher geworden, in welchem Maße mit Malerei Farbkontraste erzeugt werden können. Vor diesem Hintergrund scheint der Versuch nicht sinnvoll, Farbphänomene, die eigentlich Empfindungsphänomene sind, objektiv festschreiben zu wollen.

Das zeitgenössische Publikum hat die Unmöglichkeit der objektiven Festschreibung impressionistischer Werke wohl empfunden - und als Mangel und Willkür gegenüber dem Bekannten und Erlernten aufgefaßt. Théodore Duret persiflierte bereits 1878 die Reaktion des Publikums auf die impressionistischen Farbkontraste: "Der Impressionist sitzt am Ufer eines Flusses. Je nach dem Zustand des Himmels, des Blickwinkels, der Tageszeit und der Ruhe oder Bewegtheit der Luft nimmt das Wasser jeden erdenklichen Farbton an. Ohne zu zaudern, malt er das Wasser, das jeden erdenklichen Farbton aufweist... Geht die Sonne unter und wirft ihre Strahlen aufs Wasser, schichtet der Impressionist Gelb und Rot auf seiner Leinwand, um diesen Eindruck festzuhalten. Und da beginnt das Publikum zu lachen. Winter. Der Impressionist malt den Schnee. Er sieht, daß im Sonnenlicht die Schatten auf dem Schnee blau sind. Und ohne zu Zögern malt er blaue Schatten. Und das Publikum lacht, brüllt vor Lachen. Einige Teile der Landschaft sind von Lehm bedeckt, der eine purpurne Färbung annimmt. Der Impressionist malt purpurne Landschaften. Das Publikum wird ungehalten. In der vom grünen Laub reflektierten sommerlichen Sonne nehmen Haut und Kleidung eine violette Färbung an. Der Impressionist malt Menschen in violetten Wäldern. Das Publikum gerät völlig außer sich. Die Kritiker drohen mit den Fäusten und nennen ihn einen gewöhnlichen Schurken. Der unglückliche Impressionist kann Einspruch erheben und seine völlige Aufrichtigkeit bekunden. Er kann erklären, daß er nur das wiedergibt, was er sieht und daß er der Natur treu bleibt. Aber das Publikum und die Kritiker verdammen ihn. Sie können nicht überprüfen, ob das, was sie auf der Leinwand sehen, mit dem übereinstimmt, was der Maler tatsächlich in der Natur gesehen hat. Für sie gilt nur eines: das, was die Impressionisten auf ihren Bildern zeigen, entspricht nicht dem, was sie auf den Bildern früherer Maler finden. Es ist anders, und daher ist es schlecht."2

Abgesehen davon, daß die Sehgewohnheiten des Publikums auf bräunliche Ölgemälde trainiert waren, nennt Helmholtz einen physiologischen Grund für die ablehnende Haltung des Publikums. Kontrastphänomene sind vor der Natur schwer zu erkennen. Schon Goethe fand, daß der Wahrnehmungsapparat trainiert werden müsse, um optische Phänomene abseits des erkennenden Sehens überhaupt wahrzunehmen.3 Zudem, in Ruhe betrachten lassen sich solche Phänomene nur unter Laborbedingungen. Bei der Empfindung komplexerer Phänomene sind sie schwer auszumachen und normalerweise bleiben sie unterhalb der Bewußtseinsschwelle. Es ist die Vermittlungsleistung impressionistischer Malweise, dem Publikum Einrichtungen zum Training des Wahrnehmungsapparats bereitzustellen. Die heutige Popularität von Monets Nymphéas kann als Anzeichen dafür gelten, daß das Training erfolgreich verlief. Schließlich ermöglicht solches Training eine veränderte Wahrnehmung der phänomenalen Wirklichkeit. Denn dort haben die impressionistischen Phänomene ihren Ausgang genommen.


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 1 Monet, zit. nach: François Thiébault-Sisson in: Über Claude Monet, Le Temps vom 8. Januar 1927. Jetzt in: Stuckey, 1994, S. 345.

2 Théodore Duret: Les Peintres Impressionistes (1878). In: Stuckey, 1994, S. 66.

3 Dann aber, "werden sich diese Erscheinungen dem Aufmerksamen überall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen", bemerkt Goethe über komplementäre Farbkontraste in der Natur. (Goethe, 1810, § 57, S. 193.)


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