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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Perspektive und Spiegel

 

So wie das 'finestra aperta' eine Öffnung der realen Orte ist, sind die fiktiven Räume ihrerseits offen hin zum Betrachterraum. Dessen räumliche Struktur sollen sie spiegeln. Alberti hielt die Malerei für den Versuch, mit Mitteln der Kunst die Wasseroberfläche von Narziß' Quell zu umarmen. Die Perspektive, meint Boehm, radikalisiere eine Möglichkeit des Erlebens von Welt, die der Mensch kennt, seit er Spiegelungen kennt. Der Spiegel zeigt einen Gegenstand nur so lange, als er sich spiegelt. "Das Spiegelbild hat dergestalt gar kein eigenes Sein, da es nur das Gespiegelte vorweist, es hebt sich auf, wenn dieses verschwindet."1 Das zentralperspektivische Bild verwandelt das flüchtige Dasein des Spiegelbildes in ein dauerndes. Brunelleschi, der wohl als erster eine mathematisch fundierte und experimentell überprüfte perspektivische Methode vortrug, bediente sich zu deren Herstellung und Präsentation eines Spiegels.2 Ausgehend von Leonardos Spiegelvergleich charakterisiert Johann H. Lambert Bilder dergestalt, daß man nicht glaube, ein Bild, sondern den Gegenstand selbst in seiner wahren Entfernung zu sehen. "Leonardo da Vinci hat längst schon die Gemälde mit Spiegeln verglichen... (sic) - das letzte Ziel, das sich ein Maler vornehmen kann, darein gesetzt, daß sein Gemälde die Entfernung des Gegenstandes ebenso in wahrer Größe vorzeige, wie es der Spiegel tut. Es ist ein Fehler des Spiegels, wenn man das geringste vom Glase sieht, aus dem er gemacht ist. Ebenso soll man im Gemälde nichts von der Tafel, ... den Farbstrichen, sondern schlechthin nur den Gegenstand in derjenigen Größe und Entfernung sehen, die bei der Zeichnung zugrundegelegt worden."3 Wie das Spiegelglas im alltäglichen Gebrauch nur Durchgang des Betrachters ist zu sich selbst, so wird die Materialität des 'finestra aperta' negiert, "da derjenige, der durch das offene Fenster blickt, bei den Dingen sein will, die sich ihm draußen darbieten."4

Der Vergleich des Bildes mit dem Spiegelbild zeigt die Absicht, die Bildsprache zu einer Art Natursprache werden zu lassen, "welches Ziel mit della Portas camera obscura im Dienste der Maler anvisiert und mit der Erfindung der photographischen Platte schließlich erreicht wurde."5 So konnte die fotografische Platte als ein Medium betrachtet werden, durch das sich die Natur selbst abbildet. Ja, sie galt als "die wahre Netzhaut des Forschers", die man die des Künstlers nennen könnte, meinte Bois-Reymond, "wenn sie nicht unglücklicherweise so gut wie farbenblind wäre."6

 


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 1 Boehm, 1969, S. 29.

2 Brunelleschis experimentelle Vorgehensweise wird von seinem Biographen Antonio Manetti (1423-1497) erläutert: "Und diesen Fall der Perspektive zeigte er zum erstenmal auf einer Tafel ..., auf der er eine Darstellung der Außenansicht des Tempels von San Giovanni in Florenz geschaffen hatte. Und er hat diesen Tempel so gezeichnet, wie man ihn auf einen Blick von außen sieht... und er nahm einen polierten Spiegel als Hintergrund, so daß die Luft und der natürliche Himmel von ihm reflektiert wurden und auch die Wolken, die auf diesen Spiegel fielen und vom Wind getrieben wurden wenn er wehte. Bei diesem Bilde sorgte der Maler dafür, daß er nur einen Platz bestimmte, von wo aus man es betrachten konnte, sowohl was die Höhe und Tiefe wie auch was die Seiten und die Entfernung angeht. Und damit man keinen Fehler bei seiner Betrachtung begehen konnte (da sich an jedem Ort ... (sic) die Erscheinung für das Auge ändern muß) hatte er ein Loch in die Tafel gemacht, auf der dieses Bild war, das sich in der Abbildung des Tempels ... genau an jener Stelle befand, wohin das Auge blickte vom Platz innerhalb der Mitteltür von Santa Maria del Fiore, an dem er beim Zeichnen gestanden hatte. Und dieses Loch war so klein wie eine Linse auf der Seite des Bildes und erweiterte sich pyramidal auf der Rückseite ... bis zur Größe eines Dukaten oder etwas mehr. Er wollte, daß das Auge des Betrachters auf der Rückseite, wo das Loch groß war, sei, und mit der einen Hand sollte dieser das Bild zum Auge führen und in der anderen Hand, der Tafel gegenüber einen ebenen Spiegel halten, von dem das Bild reflektiert wurde. Die Entfernung des Spiegels von der zweiten Hand betrug ungefähr soviel kleine Ellen wie die Distanz in echten Ellen ergab vom Platz, an dem er beim Zeichnen gestanden hatte... Zusammen mit den anderen erwähnten Umständen, dem polierten Spiegel, der Piazza und so weiter erschien es bei der Betrachtung von diesem Punkt, als wenn man das Babtisterium wirklich und wahrhaftig sähe. Und ich habe es in Händen gehalten und mehreremale zu meiner Zeit gesehen und kann dafür Zeugnis ablegen." (Manetti, zit. nach: Busch, 1995, S. 63f.)

3 Lambert, zit. nach: Boehm, 1969, S. 29.

4 Boehm, 1969, S. 30.

5 Boehm, 1969, S. 32.

6 E. du Bois-Reymond, zit. nach: Boehm, 1969, S. 32.

 


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