Ethische Aspekte partizipatorischer Wissenschaft und Kunst
Das Konzept des holographischen Universums ist insofern neu,
als es zum ersten Mal in einem wissenschaftlichen Kontext erscheint.
Doch mehrere Aspekte dieser Theorie sind bereits in verschiedenen
alten Kulturen vorweggenommen. Die tibetischen Buddhisten zum
Beispiel meinen im Einklang mit Pribam, daß unser Unvermögen,
die Leere wahrzunehmen, auf die Konditionierung unserer Wahrnehmung
zurückzuführen sei. Ein Hauptziel der Zen-Buddhisten
ist es, die Wahrnehmung einer als Ganzheit begriffenen Wirklichkeit
zu erlernen. "Die Vermengung der unteilbaren Natur der Wirklichkeit
mit den begrifflichen Kategorien der Sprache ist der grundlegende
Irrtum, von dem uns das Zen zu befreien sucht. Die letzten Antworten
auf die Seinsfrage ergeben sich nicht aus intellektuellen Vorstellungen
und Philosophien, so aufwendig sie auch sein mögen, sondern
vielmehr aus einer Ebene der unmittelbaren nichtbegrifflichen
Erfahrung" der Wirklichkeit.1
Auf Objektivität zielende Wissenschaft ist davon weit entfernt.
Talbot fordert deshalb, die Wissenschaft müsse ihre Vorstellung
von Objektivität aufgeben, um sich den Implikationen des
holographischen Weltbilds annähern zu können. Die Vorstellung,
das Studium der Natur solle analytisch und leidenschaftslos objektiv
betrieben werden, müsse durch einen partizipatorischen Ansatz
ersetzt werden. "In einer Welt, in der das Bewußtsein
eines Physikers die Realität eines subatomaren Teilchens
... beeinflußt ... können wir nicht mehr so tun, als
existierten wir getrennt von unserem Forschungsobjekt. In einem
holographischen ... Universum, in dem alle Dinge Teile eines
fortwährenden Kontinuums sind, ist strikte Objektivität
nicht mehr möglich... Ein Wechsel von der Objektivität
zur Partizipation, zur 'Teilhabe', wird mit Sicherheit auch die
Rolle des Wissenschaftlers verändern. Da immer offenkundiger
wird, daß es auf die Erfahrung der Beobachtung ankommt
und nicht bloß auf den Akt selbst, ist anzunehmen, daß
sich die Wissenschaftler ihrerseits immer weniger als Beobachter
und immer mehr als Erfahrende und Erlebende verstehen werden."2 Die Bereitschaft sich zu wandeln ist wesentliches
Merkmal des partizipatorischen Wissenschaftlers, denn objektive
Kriterien können dem Erlebnis nicht vorgeschaltet werden.
Es fände nicht statt. Der methodische Rahmen der Ethnomethodologie
reflektiert solches Verhältnis von Teilnahme und Beschreibung.3
Partizipation ist wesentlich dialogisch. Philippe Boissonnet
intendiert den Dialog mit den Betrachtern seiner interaktiven
Installationen. Den Dialog zwischen Künstler und Kunstwerk,
Kunstwerk und Betrachter, Künstler und Betrachter, und letztlich
zwischen Betrachter und Wirklichkeit. Partizipation impliziert
zugleich Stellungnahme und Wertsetzung. Die Sensibilität
dafür zu befördern, daß die Erde nicht nur ein
Konzept ist, sondern eine physische Realität, ist ein Vermittlungsziel
Boissonnets, wie schon der Titel Gaia nahelegt. Eine interaktive
holographische Installation unter den Schutz der mythischen Figur
Gaia zu stellen bedeute, meint der Filmkritiker René Prédal,
daß die Hochtechnologie hinter den schöpferischen
Geist aller Dinge zurücktrete.4 De Kerckhove
sieht in Boissonnets multiplizierten Gesichtspunkten einen Hinweis
auf die Notwendigkeit eines umfassenderen Bewußtseins,
mit dem wir die Grenzen unserer Vorstellungen erkennen könnten.5 Boissonnet versuche, schreibt de Kerckhove, das
Inhalt/Behälter Verhältnis von Mensch und Planet umzukehren.
Diesen und andere Gesichtspunkte habe Boissonnets Werk gemein
"mit dem Werk von Künstlern, die einem ganz anderen
Feld angehören, der aufkommenden Kommunikationskunst. Künstler
..., Denker und Konzeptkünstler ... und eine stetig wachsende
Anzahl von Menschen, viele davon im Internet und im World Wide
Web vertreten, teilen mit Philippe Boissonnet ein Gefühl
für eine planetarische Sensibilität, ohne in die Fallen
eines billigen New-Age Mystizismus zu gehen. Sie alle sind recht
kämpferisch, wenn es darum geht, die Weise, in der wir die
Wirklichkeit wahrnehmen, ins Visier zu nehmen und zu berichtigen."6 Zu den von de Kerckhove erwähnten Denkern
gehört der Physiker Frithjof Capra, der versucht hat, auf
der Basis der neuen Erkenntnisse in der Physik zu einer veränderten
Wahrnehmung der Welt und zu einem anderen, ökologisch verträglicheren
Umgang mit unserem Planeten zu kommen.
Daß Boissonnet diesen ethischen Aspekt, den ganzen Planeten
in die Reichweite unseres Bewußtseins aufzunehmen, in sein
Werk integriert, findet eine - inhaltliche wie methodische -
Analogie in partizipatorischen, ethisch fundierten wissenschaftlichen
Modellen, wie sie etwa der 'buddhistischen Wirtschaftsphilosophie'
E.F. Schumachers zugrundeliegen, die Capra so charakterisiert
hat: "Der Kern von Schumachers Wirtschaftsphilosophie ist,
ins ökonomische Denken bewußt Wertvorstellungen einzuführen."7 Schumacher setzte sich für eine Volkswirtschaft
ein, die mit der Natur kooperiert, statt sie auszubeuten. Schon
Mitte der fünfziger Jahre, als der technologische Optimismus
auf dem Höhepunkt war, befürwortete er die Nutzung
erneuerbarer Ressourcen. Schumacher konfrontierte unser gegenwärtiges
materialistisches System, in dem der Lebensstandard an der Menge
des jährlichen Konsums gemessen wird, mit dem System der
'buddhistischen Volkswirtschaft', bei der das Ziel darin besteht,
ein Maximum von menschlichem Wohlergehen mit einem optimalen
Muster des Konsums zu erreichen. Um letzteres zu erreichen verlangte
Schumacher, Weisheit in die Struktur unserer wissenschaftlichen
Methodologie und unserer technologischen Einstellung einzubauen.
"Weisheit erfordert eine neue Orientierung von Naturwissenschaft
und Technologie in Richtung auf das Organische, das Sanfte, das
Gewaltfreie, das Elegante und das Schöne."8
Wertvorstellungen also, die im gegenwärtigen System allenfalls
in den Exklaven der Kunst begrenzte Gültigkeit erlangen
können.
Boissonnets, im Bereich der Kunst gar nicht selbstverständliche,
ethische Fundierung seines Werks bezieht sich nicht zufällig
auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, denen die Relativierung
objektiven Wissens entspringt. Wir beginnen, meint Boissonnet
im Blick auf die Erkenntnisse der neuen Physik, erst jetzt uns
mit Parametern vertraut zu machen, die nicht länger von
Linearität und Kontinuität determiniert werden. In
diesem Zusammenhang betrachtet Boissonnet das Medium Holographie:
Denn in den Begriffen der Diskontinuität und Ungewißheit
"sollte der Weg gewiesen werden, wie wir Holographie im
Zeitalter der Telekommunikation wahrnehmen."9