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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Ethische Aspekte partizipatorischer Wissenschaft und Kunst

 

Das Konzept des holographischen Universums ist insofern neu, als es zum ersten Mal in einem wissenschaftlichen Kontext erscheint. Doch mehrere Aspekte dieser Theorie sind bereits in verschiedenen alten Kulturen vorweggenommen. Die tibetischen Buddhisten zum Beispiel meinen im Einklang mit Pribam, daß unser Unvermögen, die Leere wahrzunehmen, auf die Konditionierung unserer Wahrnehmung zurückzuführen sei. Ein Hauptziel der Zen-Buddhisten ist es, die Wahrnehmung einer als Ganzheit begriffenen Wirklichkeit zu erlernen. "Die Vermengung der unteilbaren Natur der Wirklichkeit mit den begrifflichen Kategorien der Sprache ist der grundlegende Irrtum, von dem uns das Zen zu befreien sucht. Die letzten Antworten auf die Seinsfrage ergeben sich nicht aus intellektuellen Vorstellungen und Philosophien, so aufwendig sie auch sein mögen, sondern vielmehr aus einer Ebene der unmittelbaren nichtbegrifflichen Erfahrung" der Wirklichkeit.1

Auf Objektivität zielende Wissenschaft ist davon weit entfernt. Talbot fordert deshalb, die Wissenschaft müsse ihre Vorstellung von Objektivität aufgeben, um sich den Implikationen des holographischen Weltbilds annähern zu können. Die Vorstellung, das Studium der Natur solle analytisch und leidenschaftslos objektiv betrieben werden, müsse durch einen partizipatorischen Ansatz ersetzt werden. "In einer Welt, in der das Bewußtsein eines Physikers die Realität eines subatomaren Teilchens ... beeinflußt ... können wir nicht mehr so tun, als existierten wir getrennt von unserem Forschungsobjekt. In einem holographischen ... Universum, in dem alle Dinge Teile eines fortwährenden Kontinuums sind, ist strikte Objektivität nicht mehr möglich... Ein Wechsel von der Objektivität zur Partizipation, zur 'Teilhabe', wird mit Sicherheit auch die Rolle des Wissenschaftlers verändern. Da immer offenkundiger wird, daß es auf die Erfahrung der Beobachtung ankommt und nicht bloß auf den Akt selbst, ist anzunehmen, daß sich die Wissenschaftler ihrerseits immer weniger als Beobachter und immer mehr als Erfahrende und Erlebende verstehen werden."2 Die Bereitschaft sich zu wandeln ist wesentliches Merkmal des partizipatorischen Wissenschaftlers, denn objektive Kriterien können dem Erlebnis nicht vorgeschaltet werden. Es fände nicht statt. Der methodische Rahmen der Ethnomethodologie reflektiert solches Verhältnis von Teilnahme und Beschreibung.3

Partizipation ist wesentlich dialogisch. Philippe Boissonnet intendiert den Dialog mit den Betrachtern seiner interaktiven Installationen. Den Dialog zwischen Künstler und Kunstwerk, Kunstwerk und Betrachter, Künstler und Betrachter, und letztlich zwischen Betrachter und Wirklichkeit. Partizipation impliziert zugleich Stellungnahme und Wertsetzung. Die Sensibilität dafür zu befördern, daß die Erde nicht nur ein Konzept ist, sondern eine physische Realität, ist ein Vermittlungsziel Boissonnets, wie schon der Titel Gaia nahelegt. Eine interaktive holographische Installation unter den Schutz der mythischen Figur Gaia zu stellen bedeute, meint der Filmkritiker René Prédal, daß die Hochtechnologie hinter den schöpferischen Geist aller Dinge zurücktrete.4 De Kerckhove sieht in Boissonnets multiplizierten Gesichtspunkten einen Hinweis auf die Notwendigkeit eines umfassenderen Bewußtseins, mit dem wir die Grenzen unserer Vorstellungen erkennen könnten.5 Boissonnet versuche, schreibt de Kerckhove, das Inhalt/Behälter Verhältnis von Mensch und Planet umzukehren. Diesen und andere Gesichtspunkte habe Boissonnets Werk gemein "mit dem Werk von Künstlern, die einem ganz anderen Feld angehören, der aufkommenden Kommunikationskunst. Künstler ..., Denker und Konzeptkünstler ... und eine stetig wachsende Anzahl von Menschen, viele davon im Internet und im World Wide Web vertreten, teilen mit Philippe Boissonnet ein Gefühl für eine planetarische Sensibilität, ohne in die Fallen eines billigen New-Age Mystizismus zu gehen. Sie alle sind recht kämpferisch, wenn es darum geht, die Weise, in der wir die Wirklichkeit wahrnehmen, ins Visier zu nehmen und zu berichtigen."6 Zu den von de Kerckhove erwähnten Denkern gehört der Physiker Frithjof Capra, der versucht hat, auf der Basis der neuen Erkenntnisse in der Physik zu einer veränderten Wahrnehmung der Welt und zu einem anderen, ökologisch verträglicheren Umgang mit unserem Planeten zu kommen.

Daß Boissonnet diesen ethischen Aspekt, den ganzen Planeten in die Reichweite unseres Bewußtseins aufzunehmen, in sein Werk integriert, findet eine - inhaltliche wie methodische - Analogie in partizipatorischen, ethisch fundierten wissenschaftlichen Modellen, wie sie etwa der 'buddhistischen Wirtschaftsphilosophie' E.F. Schumachers zugrundeliegen, die Capra so charakterisiert hat: "Der Kern von Schumachers Wirtschaftsphilosophie ist, ins ökonomische Denken bewußt Wertvorstellungen einzuführen."7 Schumacher setzte sich für eine Volkswirtschaft ein, die mit der Natur kooperiert, statt sie auszubeuten. Schon Mitte der fünfziger Jahre, als der technologische Optimismus auf dem Höhepunkt war, befürwortete er die Nutzung erneuerbarer Ressourcen. Schumacher konfrontierte unser gegenwärtiges materialistisches System, in dem der Lebensstandard an der Menge des jährlichen Konsums gemessen wird, mit dem System der 'buddhistischen Volkswirtschaft', bei der das Ziel darin besteht, ein Maximum von menschlichem Wohlergehen mit einem optimalen Muster des Konsums zu erreichen. Um letzteres zu erreichen verlangte Schumacher, Weisheit in die Struktur unserer wissenschaftlichen Methodologie und unserer technologischen Einstellung einzubauen. "Weisheit erfordert eine neue Orientierung von Naturwissenschaft und Technologie in Richtung auf das Organische, das Sanfte, das Gewaltfreie, das Elegante und das Schöne."8 Wertvorstellungen also, die im gegenwärtigen System allenfalls in den Exklaven der Kunst begrenzte Gültigkeit erlangen können.

Boissonnets, im Bereich der Kunst gar nicht selbstverständliche, ethische Fundierung seines Werks bezieht sich nicht zufällig auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, denen die Relativierung objektiven Wissens entspringt. Wir beginnen, meint Boissonnet im Blick auf die Erkenntnisse der neuen Physik, erst jetzt uns mit Parametern vertraut zu machen, die nicht länger von Linearität und Kontinuität determiniert werden. In diesem Zusammenhang betrachtet Boissonnet das Medium Holographie: Denn in den Begriffen der Diskontinuität und Ungewißheit "sollte der Weg gewiesen werden, wie wir Holographie im Zeitalter der Telekommunikation wahrnehmen."9


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1 Robert Sohl und Audrey Carr, zit. nach: Talbot, 1992, S. 304.

2 Talbot, 1992, S. 314f.

3 Vgl. Einleitung.

4 "Placer une installation holographique interactive sous l'égide de Gaia, divinité originelle de la mythologie greque, Terre-Mère se dégageant du chaos pur créer le ciel Ouranos, l'épouser et enfanter les Titans, c'est reprendre les choses par leur début, se placer du côté des fondements de l'humanité plus que de l'histoire des techniques, renvoyer à l'esprit créateur de toutes choses par delà la nature d'un outillage extrêmement sophistique." (Prédal, 1993, S. 10).

5 "Boissonnet does not want us to take refuge in the privacy of our minds. He wants us to graduate to a new, inclusive conciousness where we recognize the limits of our own imagination and where we learn to tolerate those of the other inhabitants of this fragile wonder." (de Kerckhove, 1995. S. 43f.)

6 "There is in these and other works by Boissonnet ... a serious attempt at reversing the content / container relationship of man and the planet. It has this and other features in common with the work of artists belonging to an entirely different field, the rising art of communications. Artists such as Kit Galloway and Sherrie Rabinowitz, Roy Ascott, Tom Klinkowstein, Stephan Barron, Don Forresta, Hiroshi Ishii, Jeffrey Shaw and, to a lesser extent, Fred Forest, thinkers and conceptors such as Roy Ascott again, Pierre Lévy, Jean-Marc Philippe, Howard Rheingold, Stewart Brand, Lynn Margulis, Joel de Rosnay, Peter Russel, Frithjoff Capra, Theodor Roszak and a richly growing number of people, many on the internet and the Word Wide Web, all share with Philippe Boissonnet a taste for a planetary sensibility without falling into the trappings and the cheap mysticism of the New Age. All of them are fairly militant when it comes to adjusting our target in the perception of reality." (de Kerckhove, 1995. S. 44.)

7 Capra, 1987, S. 231.

8 Schumacher, zit. nach: Capra, 1987, S. 233.

9 "We are only now beginning to find it normal to live within these new parameters, tied up with the notions of discontinuity, uncertainty, and interstitiality. And this should constitute the way in which we perceive holography in this age of telekommunications." (Boissonnet, 1996, S. 8).


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