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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Hoffnungen

 

Die erste Erscheinung des Neuen, hat Heiner Müller gesagt, ist der Schrecken. Der Schrecken, den Boissonnets Installationen zu erzeugen vermögen, entspringt dem Begreifen der Anforderung, die sie an das Denken stellen. So wie die Erde nicht länger als Konzept betrachtet werden soll, sollen unsere Denkprozesse den Körper umfassen, anstatt ihn auszuschließen, als sei er bloß ein biologisches Hilfsmittel für etwas Wichtigeres, das allein in unseren Köpfen geschieht. Indem Boissonnet die Körper der Betrachter und den endlichen Charakter der Erde ins Zentrum seiner Installationen stellt, indem er über kognitive Erkenntnismöglichkeiten hinaus Erfahrungen ermöglicht, inszeniert er letztlich lebensgeschichtliches Lernen der Rezipienten. Boissonnet, meint Prédal, habe in sein Werk Bezüge zum Übergang zwischen Leben und Tod integriert, indem er den Körper als Objekt in Bezug setzt zu der spirituellen Energie, die ihn bewegt. "Wie in einem überfüllten Reanimationsraum in einer Klinik, wo Instrumente und technisches Equipment ein fragiles, aber wertvolles Überleben zu sichern versuchen, erzeugt die holographische Installation ein leichtes, flüchtiges und deshalb auch seltenes Gefühl. Es ist fast unbenennbar, doch sicher nicht unausdrückbar. Nach vielen Verwandlungen mittels hochentwickelter Technologie stellt sich eine reine Emotion ein."1

Heinrich von Kleist hat solche Wandlung in seinem Essay 'Das Marionettentheater' als 'Rückkehr in den Stand der Unschuld' beschrieben: "'Wir sehen, [sagte Herr C...,] daß in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. - Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite des Punktes, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der anderen Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins oder ein unendliches Bewußtsein hat, d.h. in dem Gliedermann oder in dem Gott. 'Mithin', sagte ich ein wenig zerstreut, 'müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen?' 'Allerdings', antwortete er; 'das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.'-"2

Mit der Theorie vom holographischen Universum ist sicher nicht das letzte Kapitel der Welt geschrieben worden. Festzuhalten bleibt, daß die Theorien von Bohm und anderen darauf zielen, ausgehend von der Wirklichkeit unser Verständnis von Bewußtsein zu vertiefen und erweitern. Mit einem unendlichen Bewußtsein könnte man die grenzenlose Unendlichkeit des Raums erfahren. Doch erforderte das ein Raumverständnis, das völlig verschieden ist von einem Behälter/Inhalt- Verhältnis. Das Bewußtsein müsse, sagt Bohm, "jenem unterschiedlichen Raum angemessen sein, um ihn zu entdecken. Das Bewußtsein muß faktisch seinen Zustand verändern."3 Mystiker, denen solch anderes Bewußtsein zugestanden werden mag, können entweder die Immanenz oder die Transzendenz der Ganzheit erfahren. Beides ist schwer in Worte zu fassen, es sei denn in poetische oder symbolische. Sagen sie nichts, meint Bohm, sei das wenig hilfreich für eine neue Wahrnehmung der Welt. "Können wir also eine Sprache finden, in der Geist und Materie als zur selben Ordnung gehörig betrachtet werden, dann könnte es möglich werden, diese Erfahrung verstandesmäßig faßbar zu diskutieren."4

Die interaktiven Installationen Boissonnets mit ihren Inszenierungen von Hologrammen, betrachtet man sie ohne der Versuchung zu erliegen, sie in bereits verfügbare, doch zu kurz greifende Deutungsmuster einzuordnen, legen mittels des visuellen - kognitiv lesbaren - Angebots und im Ereignis der Rezeption, ich sage es nochmals, Spuren aus (sie illustrieren sie keinesfalls) zu den Denkgebäuden des holographischen Universums und des Mythos. Das ist eine Möglichkeit.

Das holographische Modell ist, wie Pribam anerkennt, "nicht leicht zu verarbeiten ...; es stürzt auf zu radikale Weise unsere früheren Überzeugungen, unsere normalen Auffassungen von Welt, Zeit und Raum".5 Doch Pribam hält es für möglich, daß spätere Generationen mit dem holographischen Denken vertraut sein werden. Die erste Gestalt der Hoffnung, sagte Heiner Müller, ist die Furcht.


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1 "Ce trouble entre réel et virtuel est géré par l'artiste qui intègre à L'œuvre les références obligées aux transits entre vie et mort, à la conscience d'un corps-objet détaché de l'esprit-force qui l'anime. Comme dans une salle de réanimation encombrées où instruments et appareillage complexes n'assurent qu'une fragile mais précieuse et inestimable survie, l'installation holographique génère ici une sensation certes fugace et légère mais par là même rare, de l'ordre de l'innommable mais certainement pas de l'inexprimé. Au terme de nombreuses transmutations subies de long de vecteurs de conversion saisis par les vertiges de la haute technologie, surgit une émotion pure." (Prédal, 1993, S. 18).

2 Kleist, 1810, S. 13f.

3 Bohm, 1988a, S. 216.

4 Bohm, 1988a, S. 208.

5 Pribam führt den Gedanken weiter: "Eine neue Generation wird heranwachsen, die mit dem holographischen Denken vertraut sein wird; und um ihr den Weg zu erleichtern, schlägt Pribam vor, daß Kinder von der Grundschule an mit dem Paradoxen vertraut gemacht werden sollten, da neue wissenschaftliche Ergebnisse immer voller Widersprüche sind." (Ferguson, 1984, S. 295.)


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