Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Ikonologische Deutung des Hauptmotivs anhand eines Mythos

 

Jungfrau ohne Makel, besagt die Inschrift. Blau ist die Farbe Marias. Als perlengleich wird die Frucht ihres Leibes angesehen. Das perlmutterne Schimmern führt auf die Spur eines Mythos, der im Westen erst seit der Barockzeit bekannt ist. Es ist der Mythos von der 'Geburt der Perle aus dem Blitz'.1 Gleich den Kristallen, Edelsteinen und den Edelmetallen hat auch die wundersam erscheinende Vollkommenheit der Perle dazu angeregt, sie zu transzendieren. Als menschlich wurde ihre Härte angesehen, als himmlisch ihre Leichtigkeit. Die Perle lehrt "als Spiegel aus der Natur ... die Verbindung des Entgegengesetzten."2

Der Glaube an die Herkunft der Perle aus einer Hochzeit des Himmels und der Erde ist seit der Frühzeit des Christentums ohne Unterbrechung bis ins 18. Jahrhundert immer wieder ausgesprochen worden. In der frühen Kirche gibt es eine Theologie der Perle. Der älteste Beleg scheint Clemens von Alexandrien (geboren um 150) zu gehören: "Eine Perle ist auch der durchleuchtende und reinste Jesus, den die Jungfrau aus dem göttlichen Blitz geboren hat. Denn wie die Perle, in Fleisch und Muschel und Feuchtigkeit geboren, ein Körper ist, feucht und durchscheinend von Licht und voll von Pneuma, so ist auch der fleischgewordene Gott-Logos geistiges Licht, hindurchscheinend durch ... Licht und ... feuchten Körper."3 Das bedeutendste Zeugnis von der Überlieferung von Blitz und Perle ist die seit dem 5. oder 6. Jh. unter dem Namen Epräm des Syrers umlaufende (ihm aber immer wieder abgesprochene) große Predigt gegen die Häretiker über die Jungfrauengeburt Marias: "Die Perle ist ein Stein aus Fleisch geboren, denn aus dem Schaltier kommt sie hervor. Wer kann da länger der Tatsache Glauben versagen, daß auch Gott aus einem Leibe als Mensch geboren worden? Jene entstehen nicht durch Begattung der Schnecken, sondern durch eine Mischung des Blitzes und des Wassers: also ist auch Christus empfangen in der Jungfrau ohne Fleischeslust, indem der Heilige Geist aus dem gemischten Stoffe der Jungfrau für Gott die körperliche Ergänzung herstellte. Die Perle wird weder als Schnecke geboren, noch tritt sie wie ein Geist in Scheindasein hervor ..., (sic) sie wird vielmehr in wesenhafter Existenz ... geboren, ohne darum selbst einen anderen Stein zu zeugen".4 Die Muschel ist nichts als ein unverändert bleibendes Medium für die Entstehung der Perle: "Wenn der Blitzstrahl ins Meer schlägt, dringt die Mischung von Feuer und Wasser in die Muschel ein; diese schließt die geöffneten Schalen, und in dem Schaltier entwickelt sich allmählich die Perle zu Schönheit und Wert; sie löst sich von dem Tiere ab, ohne dessen Wesen irgendwie zu verändern oder zu schädigen... Die keinen Heller werte Schnecke bringt den Stein hervor, der mehr als viele Talente Goldes wert ist. So hat auch Maria die keiner Natur vergleichbare Gottheit geboren. Die Muschel erleidet keinen Schmerz, wenn sie die Perle empfängt, sondern fühlt nur die Wahrnehmung eines Zugangs. So hat auch Maria Christus zustimmend empfangen mit Wahrnehmung der ihr zuwachsenden Natur."5

Aus den Epräm zugesprochenen Ausführungen geht hervor, in welcher Weise die Naturmythe vom Ursprung der Perle aus dem Himmel "zur Sprachwerdung von solchen Mysterien wie der Inspiration, der Inkarnation, der unbefleckten Empfängnis Mariae, der Verkündigung an Maria, um diese theologischen Themen nur zu nennen"6 gedient hat. Im Mythos der Unbefleckten Empfängnis nimmt Maria das Wort des Erzengels Gabriel auf - Gabriel ist es, der in Straubing auf die Schrifttafel zeigt - und sie gebiert die Perle: "Die Perle wird empfangen als Wort, um als der Inkarnierte aus Maria hervorzugehen."7

Der Inkarnierte ist der Vollkommene, für den das vollkommen erscheinende Naturprodukt Perle eine Entsprechung ist, denn "der Ursprung des Vollkommenen ist ein Geheimnis. Die Kunst und die Natur überraschen mit Möglichkeiten des Gelingens von Vollkommenem, die der Mensch wie Wunder annimmt."8 Vollkommene Gebilde wie Edelsteine, Perlen oder Edelmetalle sind ein dauernd Schönes neben dem sich durch Geburt erneuernden Schönen in Mensch, Tier und Pflanze. "Das Dauernde und das sich Erneuernde bedürfen des Lichtes, um als Schönes zu erscheinen. Irdisches und Himmlisches müssen sich verbinden."9 Metalle und Steine haben Dauer. Tiere und Menschen entstehen. Den Menschen überdauern die Gebilde seines Geistes und seiner Hände: Bauten, Bücher, Kunstwerke. "Im Falle der Vollkommenheit nimmt man auch sie wie Wunder hin als durch die Musen oder den Heiligen Geist von oben eingegeben... Himmlisches und Irdisches erkannte man in ihrem Werk verbunden. - Die Perle steht zwischen dem Dauernden und dem sich Erneuernden in der Mitte. Sie kommt nicht wie die Edelsteine aus der Erde, sondern entstammt dem Meere, bildet als ein bleibend Schönes sich im unscheinbar Vergänglichen eines niederen Tieres. Den Ursprung der vollkommenen Perle aus der Muschel des Meeresgrundes ohne eine Beteiligung des Himmels haben die Völker fast zwei Jahrtausende sich nicht denken mögen."10

Die Vorstellungen von der Herkunft der Perle aus dem Blitz "lassen ihren Ursprung gern als nahezu, aber doch nicht gänzlich wunderbar erscheinen, indem sie die natürlichen Bedingungen ihres Wachstums oder ihrer Gewinnung an schier übernatürlich extreme Konstellationen gebunden zu erkennen geben. Der Blitzschlag in die Muschel ist das Seltene, schier Unwahrscheinliche, das die Geburt des Vollkommenen aus der Vereinigung des Himmels mit der Erde an eine Bedingung vom Charakter wie einer Erwählung bindet. Von einem Menschengeist einmal gefunden und zu einem Gemeinbesitz geworden, vermögen die Vorstellungen vom Ursprung der Perle zur Glaubhaftmachung von Wunderbarem beizutragen. Das geheimnisvolle Naturgeschehen dient als Zeichen für im Reiche des Verstandes Unbegreifliches, für gleich der Perle Natur und Übernatur vereinende Erscheinungen der Religion, der Kunst, eines auserwählten Menschseins. Die Geschichte der Überlieferungen von der Perle Herkunft und ihrer Transparentmachung auf einen über sie hinausweisenden Sinn hin endet mit dem Verlöschen einer Dimension von Wirklichkeit, in der sich Irdisches und Himmlisches durchdringen."11 Der Mythos von der Geburt der Perle aus dem Blitz zielt auf die Durchdringung des Irdischen und des Himmlischen. Er kann hier als Analogie zur Erscheinungsweise der Straubinger Kirche gelesen werden, in der sich gleichsam 'irdisch konstruierte' und 'himmlisch visionäre' Räume gegenseitig durchdringen und bekräftigen.


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Die folgenden Ausführungen sind entnommen: Friedrich Ohly: Tau und Perle (1973) und ders.: Die Geburt der Perle aus dem Blitz (1974).

2 Ohly, 1974, S. 301.

3 Clemens von Alexandrien, zit. nach: Ohly, 1974, S. 295.

4 Epräm, zit. nach: Ohly, 1974, S. 299.

5 Epräm, zit. nach: Ohly, 1974, S. 300.

6 Ohly, 1973, S. 275.
Das alte Indien hat verwandte Mythen von der Entstehung der Perle in den Wolken. Ohne Wirkung im Abendland blieben islamische Erklärungen der Perle aus den Tränen Adams und Evas über den Tod von Abel oder aus Tränen der Engel.

7 Ohly, 1974, S. 303.

8 Ohly, 1974, S. 293.

9 Ohly, 1974, S. 293.

10 Ohly, 1974, S. 293.

11 Ohly, 1974, S. 311.
Anhand der Mythe vom Ursprung der Perle ergibt sich die Frage, inwieweit das von der Naturwissenschaft Erkannte aufgenommen oder verweigert wird. "Emblembücher des Barock sprechen öfter aus, daß sie an von der Tradition geprägten Bildern festhalten, obwohl sie als im Widerspruch zu der Natur erwiesen wurden, weil im überlieferten Falschen mehr Sinn aufscheinen könne als im neu Erkannten." (Ohly, 1973, S. 276f.) Um 1000 gibt Al-Baruni ein Beispiel der kritischen Wechselseitigkeit der Erhellung der Dichtung aus der Natur und der Natur aus der Dichtung, "die als Metaphernkritik beide Gebiete reinigend durchdringt und auf eine metaphorische Wirklichkeit parallel zur Natur zielt. Die Frage konnte auch theologische Relevanz gewinnen, wie im 17. Jahrhundert bei dem Jesuiten Théophile Raynaud. Sein Wörterbuch der Marienmetaphorik überprüft die verschiedenen Überlieferungen über die Herkunft der Perle unter dem Gesichtspunkt ihrer mariologischen Deutbarkeit." (Ohly, 1973, S. 277.) Raynaud ist bemüht, die Kluft zwischen theologischer Wahrheit des Dogmas und naturgeschichtlicher Wahrheit zu schließen, so daß die Metapher die theologische und naturwissenschaftliche Wirklichkeit zugleich trifft. "Die Naturmetapher muß naturwahr sein, um eine Glaubenswahrheit aussprechen zu können." (ebd.) Raynaud wendet sich gegen die Überlieferung von der Geburt der Perle aus dem Blitz mit der Bemerkung, die Kirchenväter gebrauchten häufig geläufige, wenn auch falsche, dem Verstehen des Volkes angemessene, Geschichten zur Erklärung der Mysterien. Der Jesuitenpater stellt sich auf die Seite der Naturforscher, die für die Entstehung der Perle in der Muschel kein von außen hinzutretendes Prinzip in Anspruch nehmen. Ebenso habe die heilige Jungfrau unter Ausschluß jeder Einwirkung Christus hervorgebracht.


Home

Inhalt

Weiter