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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Die Schrift

 

Der Zwiespalt, den Huxley an den Gegenreformatoren diagnostiziert, läßt sich in Straubing an der - sich gegenseitig intensivierenden - Wechselwirkung der disparaten Elemente der Dekoration zeigen. Das in der Tendenz visionäre Schwindelgefühl, von dem ich oben gesprochen habe, führt zu einer veränderten Wahrnehmung der perspektivisch konstruierten Illusionen in den Fresken. Als entzifferbare Bilder erscheinen sie nunmehr eingebettet in einen Raum, der Anteil hat an göttlicher Transzendenz. Angesichts der Ausbreitung des Strahlens im Kirchenraum, das die Besucher ganz umfängt, glaubt man nun das dargestellte Himmelslicht. Die Darstellungen werden glaubhaft, ohne daß die Bilder ihren Charakter als hinweisende Zeichen vollständig verlören. Sie bleiben kommentarbedürftig: Die Malerei ist eingebettet zwischen Erlebnisraum und in den Raum eingebrachte Schrift. Sie ist mit beiden verzahnt über wirklich wirkendes und dargestelltes Licht. Das Transzendente erscheint auf mehreren Wirkungs- und Erfahrungsebenen, und es will verschieden gelesen und erfahren werden. Der transzendente, immaterielle Flimmerraum wirkt in der Affizierung der Sinne, gleichnishaft lesbar wird der theologische Gehalt in der Malerei und buchstäblich entzifferbar im geschriebenen Wort.1 So greifen gleichsam curricular vermittelte Wissensbestandteile und den Sinnen vermittelte Erlebnisse in Form verschiedener Vermittlungsstrategien ineinander und ermöglichen Lern- und Erfahrungsprozesse der Rezipienten.

Goldfarben - ästhetisch also dem Flimmerraum angehörend - sind in Trompe-l'œil-Manier Worte in den Raum eingefügt. Die Worte entstammen der Heiligen Schrift. Sie kommentieren und bezeichnen die Bildsequenzen im Raum - und sie werden geglaubt. Keines Beweises bedürftig, beweisen sie sich gleichsam selbst, indem sie erscheinen. Die lateinischen Inschriften, so steht es im Kirchenführer zu Straubing, sind Aussagen tiefer Gläubigkeit. SACRAE FAMILIAE SACRUM - der heiligen Familie geweiht - steht über dem Bild der Heiligen Familie im linken Seitenaltar. "Unter dem großen Deckenfresko oberhalb der 4 großen Vasen steht: 'AB ORTU ENIM SOLIS', 'vom Aufgang der Sonne' - USQUE AD OCCASUM', - 'bis zum Niedergang' - 'MAGNUM NOMEN IN GENTIBUS', 'ist der Name groß unter den Völkern' - 'ET OFFERTUR OBLATIO MUNDA', 'und es wird ein reines Opfer dargebracht', und verkündet, daß in diesem Haus das einzige vor Gott in aller Welt und für alle Zeit gültige Opfer dargebracht wird, für das diese Kirche erbaut wurde und erhalten wird."2 Im Deckenfresko, nahe der Mitte, überreicht der hl. Augustinus einer Ursuline ein aufgeschlagenes Buch mit dem Text: 'SUB REG S AUG INSTIT REL VV SOC S URSULAE A PAULO V. P.P. APPRO ANNO MDCXVIII' - Unter der Regel des heiligen Augustinus sind die Weisungen der gottgeweihten Jungfrauen von der Gesellschaft der hl. Ursula von Papst Paul V. im Jahre 1618 approbiert worden. Am östlichen Rande des Deckenfreskos steht auf einem Dokument, das Papst Paul V. einer Ursuline überreicht, in goldenen Buchstaben: 'EX TRIBU S URSULAE UNDECIM MILLIA SIGNATAE' - aus dem Stamm der hl. Ursula werden 11000 Bezeichnete in den Himmel einziehen.3 So lautet die Verheißung, die hier ganz direkt an die besonderen Adressaten, die Schwestern und Schülerinnen der Ursulinen, gerichtet ist. Schließlich erscheint im Zentrum über dem Hochaltar das Hauptmotiv. In einem von golden gefaßter Pflanzenornamentik reich umspielten, mehrfach gewölbten, bläulich perlmuttern schimmernden Feld steht in goldenen Lettern: VIRGO SINE LABE (Abb. 22).


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1 Martin Jay sieht im Barock eine Philosophie verwirklicht, die das Cartesianische Weltbild verneint und reflektiert. Jay schreibt: "Die vom Barock bevorzugte Philosophie sagte sich vom Vorbild der intellektuellen Klarheit und ihrer wörtlich gemeinten und von Mehrdeutigkeiten gereinigten Sprache los. Sie erkannte stattdessen die unlösbare Verstrickung, die zwischen Rhetorik und Sehen bestand: Bilder waren Zeichen, und Begriffe wiederum enthielten stets einen irreduziblen bildlichen Anteil." (Jay, 1992, S. 189.)

2 Weber, 1997, S. 12.

3 Vgl. Weber, 1997, S. 12.


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