Der visionäre Charakter des Lichterlebnisses
Das Erlebnis des Lichts, denn darum geht es hier, steht an
erster Stelle aller visionären Erlebnisse, so Aldous Huxley
in 'Himmel und Hölle'. Farbe und Licht bezeichnet Huxley
als die grundlegenden Charakteristika des Nichtsymbolischen und
des Überpersönlichen:1 "Übernatürliches
Licht und übernatürliche Farben sind allen visionären
Erlebnissen gemein. Und Hand in Hand mit Licht und Farbe geht
in jedem Fall das Erkennen eines größeren Bedeutungsgehaltes."2 Solchen Bedeutungsgehalt setzt Huxley gleich
mit 'Sein'. Mit einem Sein, das in der Helligkeit visionären
Erlebens aufscheint - Huxley bezieht sich in seinem Zusammenhang
auf Erfahrungen die teils spontan, teils unter dem Einfluß
von Meskalin oder anderen Halluzinogenen auftreten - und zu einem
Gewahren der Welt führt, dem die Dinge erscheinen 'wie sie
sind'. Denn hier "haben wir uns fast ganz der Sprache entledigt
und befinden uns außerhalb begrifflichen Denkens."3
Übernatürliches Licht und übernatürlich starke
Farben sind charakteristisch für die Darstellung von Jenseitswelten.
Licht und Farbe werden dort beschrieben an Materialien, die wie
selbstleuchtend erscheinen: Glas, Perlen, Gold und Edelsteine.
Glas und Edelsteine kommen in besonderer Vielzahl vor in der
Offenbarung Johannes, insbesondere in der Beschreibung des neuen
Jerusalem: "Und er entrückte mich im Geist auf einen
großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt
Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam im Besitz
der Herrlichkeit Gottes. Ihre Leuchte ist gleich dem kostbarsten
Edelstein, wie ein kristallheller Jaspis... Und ihre Mauer ist
aus Jaspis gebaut, und die Stadt ist reines Gold gleich reinem
Glas. Die Grundsteine der Mauer der Stadt sind aus Edelsteinen
jeder Art köstlich bereitet; der erste Grundstein ist ein
Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der
vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der sechste
ein Karneol, der siebente ein Chrysolith, der achte ein Beryll,
der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein
Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Und die zwölf Tore
waren zwölf Perlen; je eins der Tore bestand aus einer einzigen
Perle. Und die Straße der Stadt war reines Gold, wie durchsichtiges
Glas... Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes,
dass sie ihr scheinen; denn der Lichtglanz Gottes erleuchtete
sie, und ihre Leuchte ist das Lamm."4 Gott
oder Göttliches mit Licht und Glanz gleichzusetzen ist vielen
Kulturen gemeinsam. Eine utilitaristische Erklärung gibt
es dafür nicht. "Die kausale Kette beginnt ....",
so begründet es Huxley, "im psychischen Jenseits visionären
Erlebens, senkt sich zur Erde und steigt dann wiederum auf in
das theologische Jenseits des Himmels."5
Das Einbringen von glänzenden und leuchtenden Materialien
in sakrale Bauten ist nicht allein symbolisch, sondern es dient
gleichsam als Vermittlungsstrategie, die eine unmittelbare Erfahrung
der Verbindung des Irdischen mit dem Himmlischen ermöglicht.
Solch transzendente Erfahrung vermag im Hier und Jetzt ihren
Ausgang zu nehmen, und sie kann mit dem Instrument begrifflichen
Denkens nicht vollständig erfaßt und in Sprachliches
übersetzt werden. In diesem Sinne sind die lesbaren Bilder
und entzifferbaren Inschriften in Straubing 'kommentarbedürftig'.
Das geschieht durch die Verwendung von Materialien, die "dazu
angetan [sind], das visionäre Erlebnis, sei es auch nur
zum Teil und in abgeschwächter Form, herbeizuführen."6 Das Sein der Dinge liegt nun nicht länger
in den isolierbaren, substanziellen Einheiten (im Stein, in der
Farbe, in der architektonischen Form als festem Gehäuse).
Das Sein als lichthafte, göttliche Anwesenheit zeigt sich
als ein unfaßbarer, doch umfangender, flüchtiger,
leichter und lichter Schein.
Schon das dargestellte Licht im sakralen Fresko gewinnt einen
anderen Stellenwert als im profanen Kunstwerk (selbst wenn es
in ähnlicher Weise eingesetzt wird), es gewinnt eine theologische
Dimension.7 Im flimmernden Lichtraum von Straubing
dringt das göttliche Licht als mitreißende Anwesenheit
in den Raum ein. Dieses Licht ist von anderer Art als das von
Sonne und Mond: Es ist göttliches Licht - lux im Gegensatz
zu lumen -, "das alles Geschaffene licht macht, das Himmlische
ist durchleuchtet, das Irdische beleuchtet."8
Das himmlische Licht schließlich hat - der Lichtmetaphysik
des 13. Jahrhunderts zufolge - Gold, Edelsteine und alle Materialien,
in deren Schein die Klosterkirche St. Ursula heute erglänzt,
hervorgebracht.9