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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Der visionäre Charakter des Lichterlebnisses

 

Das Erlebnis des Lichts, denn darum geht es hier, steht an erster Stelle aller visionären Erlebnisse, so Aldous Huxley in 'Himmel und Hölle'. Farbe und Licht bezeichnet Huxley als die grundlegenden Charakteristika des Nichtsymbolischen und des Überpersönlichen:1 "Übernatürliches Licht und übernatürliche Farben sind allen visionären Erlebnissen gemein. Und Hand in Hand mit Licht und Farbe geht in jedem Fall das Erkennen eines größeren Bedeutungsgehaltes."2 Solchen Bedeutungsgehalt setzt Huxley gleich mit 'Sein'. Mit einem Sein, das in der Helligkeit visionären Erlebens aufscheint - Huxley bezieht sich in seinem Zusammenhang auf Erfahrungen die teils spontan, teils unter dem Einfluß von Meskalin oder anderen Halluzinogenen auftreten - und zu einem Gewahren der Welt führt, dem die Dinge erscheinen 'wie sie sind'. Denn hier "haben wir uns fast ganz der Sprache entledigt und befinden uns außerhalb begrifflichen Denkens."3

Übernatürliches Licht und übernatürlich starke Farben sind charakteristisch für die Darstellung von Jenseitswelten. Licht und Farbe werden dort beschrieben an Materialien, die wie selbstleuchtend erscheinen: Glas, Perlen, Gold und Edelsteine. Glas und Edelsteine kommen in besonderer Vielzahl vor in der Offenbarung Johannes, insbesondere in der Beschreibung des neuen Jerusalem: "Und er entrückte mich im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam im Besitz der Herrlichkeit Gottes. Ihre Leuchte ist gleich dem kostbarsten Edelstein, wie ein kristallheller Jaspis... Und ihre Mauer ist aus Jaspis gebaut, und die Stadt ist reines Gold gleich reinem Glas. Die Grundsteine der Mauer der Stadt sind aus Edelsteinen jeder Art köstlich bereitet; der erste Grundstein ist ein Jaspis, der zweite ein Saphir, der dritte ein Chalzedon, der vierte ein Smaragd, der fünfte ein Sardonyx, der sechste ein Karneol, der siebente ein Chrysolith, der achte ein Beryll, der neunte ein Topas, der zehnte ein Chrysopras, der elfte ein Hyazinth, der zwölfte ein Amethyst. Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen; je eins der Tore bestand aus einer einzigen Perle. Und die Straße der Stadt war reines Gold, wie durchsichtiges Glas... Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn der Lichtglanz Gottes erleuchtete sie, und ihre Leuchte ist das Lamm."4 Gott oder Göttliches mit Licht und Glanz gleichzusetzen ist vielen Kulturen gemeinsam. Eine utilitaristische Erklärung gibt es dafür nicht. "Die kausale Kette beginnt ....", so begründet es Huxley, "im psychischen Jenseits visionären Erlebens, senkt sich zur Erde und steigt dann wiederum auf in das theologische Jenseits des Himmels."5

Das Einbringen von glänzenden und leuchtenden Materialien in sakrale Bauten ist nicht allein symbolisch, sondern es dient gleichsam als Vermittlungsstrategie, die eine unmittelbare Erfahrung der Verbindung des Irdischen mit dem Himmlischen ermöglicht. Solch transzendente Erfahrung vermag im Hier und Jetzt ihren Ausgang zu nehmen, und sie kann mit dem Instrument begrifflichen Denkens nicht vollständig erfaßt und in Sprachliches übersetzt werden. In diesem Sinne sind die lesbaren Bilder und entzifferbaren Inschriften in Straubing 'kommentarbedürftig'. Das geschieht durch die Verwendung von Materialien, die "dazu angetan [sind], das visionäre Erlebnis, sei es auch nur zum Teil und in abgeschwächter Form, herbeizuführen."6 Das Sein der Dinge liegt nun nicht länger in den isolierbaren, substanziellen Einheiten (im Stein, in der Farbe, in der architektonischen Form als festem Gehäuse). Das Sein als lichthafte, göttliche Anwesenheit zeigt sich als ein unfaßbarer, doch umfangender, flüchtiger, leichter und lichter Schein.

Schon das dargestellte Licht im sakralen Fresko gewinnt einen anderen Stellenwert als im profanen Kunstwerk (selbst wenn es in ähnlicher Weise eingesetzt wird), es gewinnt eine theologische Dimension.7 Im flimmernden Lichtraum von Straubing dringt das göttliche Licht als mitreißende Anwesenheit in den Raum ein. Dieses Licht ist von anderer Art als das von Sonne und Mond: Es ist göttliches Licht - lux im Gegensatz zu lumen -, "das alles Geschaffene licht macht, das Himmlische ist durchleuchtet, das Irdische beleuchtet."8 Das himmlische Licht schließlich hat - der Lichtmetaphysik des 13. Jahrhunderts zufolge - Gold, Edelsteine und alle Materialien, in deren Schein die Klosterkirche St. Ursula heute erglänzt, hervorgebracht.9


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1 Symbole, meint Huxley, bedürften keiner Farbe, um wirksam zu sein. Auch hält er das persönliche Unbewußte für in der Lage, seinen Bedeutungsgehalt durch ungefärbte Symbole auszudrücken, weshalb die meisten Träume unfarbig seien. (Vgl. Huxley, 1956, S. 71f.)

2 Huxley, 1956, S. 75.

3 Huxley, 1956, S. 73.

4 Offenbarung Johannes, 21.10ff. Zit. nach: Die Heilige Schrift, Züricher Bibel, neu übersetzt 1907-31. Zürich, 1982.

5 Huxley, 1956, S. 80.

6 Huxley, 1956, S. 81.

7 Die Gleichung 'Gott ist das Urlicht' begründete die Lichtmetaphysik des 13. Jahrhunderts. "Das Licht ist reine Spontaneität, reines Sich-Offenbaren und Quelle aller möglichen Aktivität und Bewegung. Es ist also im eigentlichen Sinne kreativ, schöpferisch. Das sind aber Eigenschaften, die Gott allein zukommen... [Buonaventura sagt, daß] so wie Gott die causa prima für das Sein, das Licht die causa prima für die materielle Welt sei." (Sedlmayr, 1960, S. 38.)
Nach Thomas von Aquin wohnt Gott in unzugänglichem Licht (1 Tim. 6, 16) "Die den Menschen zuteil werdende Gnade ist Licht, der Begriff des 'lumen gratiae' ist ... ein Leitgedanke der Gnadentheologie Thomas von Aquins. Gnade bedeutet für den Menschen Teilhabe, Gnade ist Sein durch Teilhabe. Nur in seinem Urgrund - in Gott selbst - hat das Licht substantiales Sein. Dieses 'Licht der Gnade' 'strömt aus dem unerschöpflichen Ursprung der Entäußerungsbewegung der Liebe Gottes in den empfänglichen, offenen Grund des menschlichen Lebens'." (S. Hofmann, 1986, S. 54.)

8 S. Hofmann, 1986, S. 55.

9 "Das reine Licht als der subtilste und einfachste Stoff bildet die himmlische Hülle, die das Universum umgibt... In dem Maße also, in dem ein Körper am Himmel teilhat, erhebt er sich in der Stufenleiter der Wesenheiten... Im Zusammenwirken von himmlischen und sublunaren Sphären stellt sich die Erde dar... Indem sie die astralen Einflüsse aufnimmt, enthält sie in sich alle lichthaften Energien, welche sich aus ihr hervorrufen lassen. In ihren Eingeweiden formt das Licht die Minerale, das Gold, die Kristalle, die Edelsteine und ruft die Keime des Lebens hervor." (Sedlmayr, 1960, S. 36f.)


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