1 Im barocken Verständnis haben
Bilder Bilder zu bleiben. Sie "haben den Charakter eines
Verweisens, tragen nichts Göttliches in sich, was von den
Bildern Christi, Mariens und der Heiligen gilt ... Bilder haben
- theologisch gesehen - relativen Charakter, verweisen auf die
Urbilder selbst, die sie - im Bilde - vergegenwärtigen.
Bilder sollen und dürfen bei allem malerischen Illusionismus
keine Realität vortäuschen. Kardinal Paleotti lehnte
deshalb in seinem 1582 ... erschienenen Werk 'De imaginibus'
konsequent die Verschmelzung von Diesseits und Jenseits ab. Erde
und Himmel, konkret erbauter Kirchenraum und illusionierter Himmel
sind einander zugeordnet, bilden eine übergreifende Einheit,
aber trotz des Verständnisses des Kirchengebäudes als
vom Himmel herabsteigender heiliger Stadt nicht in unterschiedsloser
Vermengung, sondern in Ordnung, in klarer Abgrenzung dessen,
was nur Hinweis sein darf auf das Dargestellte, aber nicht im
Bild Aufgegangene, und der Prototypen selbst." (S.
Hofmann, 1986, S. 62.)
2 In den drei Deckenfresken ist eine
Erzählrichtung erkennbar. Über der Orgelempore wird
Herkunft und Martyrium der hl. Ursula geschildert, in der Zentralkuppel
wird die Ordenspatronin verherrlicht "und durch Inschriften
und die Darstellung der Erdteile der Auftrag der Ursulinen, die
christliche Erziehung über die Welt zu verbreiten sinnlich
anschaulich gemacht." (Zipse,
1991, S. 163) Das Fresko über dem Hauptaltar veranschaulicht
das angestrebte Ziel: die Herzen Jesu und Mariae durch ein von
göttlichen Tugenden bestimmtes Leben zu erreichen. Für
das Deckenfresko ist das Programm erhalten, das der Ingolstädter
Jesuitenpater Franz Xaver Gumpp, wohl in Zusammenarbeit mit den
Asams und in Kenntnis des dortigen Deckenfreskos in der Kirche
Maria de Victoria von Cosmas Damian Asam, verfaßt hat.
Solche Programme waren die Regel, sie beschreiben vor allem ein
Konzept des Inhaltlichen. "Die Programme hatten innerhalb
des Kirchenganzen von vornherein weniger künstlerische als
pädagogische Wirkungsmittel im Auge." (Tintelnot, zit.
nach: S. Hofmann, 1986,
S. 45.) Das vollständige Programm für Straubing wurde
von Karl Tyroller im Archiv des Klosters wiedergefunden (zuvor
lag es lediglich in einer gekürzten Abschrift vor) und 1976/77
in einem Beiheft zum Jahresbericht des Ursulinengymnasiums in
Straubing veröffentlicht. Ich gebe es hier vollständig
wieder.
"Ohnmaßgebliche anzeigung dessen was in der Kürch
von der ohnbefleckten Muttergottes bey denen hochwürdigen
Frauen Ursulinerinnern in Straubing oben in dem mittl. Rondell
kann a Freßco gemahlt werden.
1. Zu oberist in der glory der hl. geist neben Englischen gesichtern
auf Lieblichem gewülch, mit guldenen Römischen strahlen
umbgeben, welcher Einen guldenen strahlen hinab auf das herz
der Menschheit Christi und den andern auf das Herz der ohnbefleckten
Mutter fließen laßt.
2. Auf der Lincken seiten Ein wenig darundter Gott der Vatter,
welcher mit halber Bildstellung aus dem Gewülch mit beiden
armben gleichsam erschaffent heraussieht undt die lincke Handt
gegen der unbefleckten Mutter, die rechte aber gegen die Menschheit
Christi ausstreckt neben ihm und umb ihm Engl in verschiedenen
Stellungen.
3. Auf der rechten Ein wenig niederer die Menschheit Christi
in Violet und purpurweißer Kleidung gleichsam in völliger
Verklärung, glory und glantz wie auf dem Berge Thabor doch
ohne Barth auf Einer wolch stehend auf dem Herzen den göttlichen
3 angl auch mit Strahlen habent u. sich mit der lincken dem himmlischen
Vatter auß Lieb des Menschen an Erbiethet, u. mit der rechten
hinab als Erwölte Er Maria die ohnbefleckte für seine
Mutter.
NB Beyliegendes bildlein kann H. Mahler Ein Einleithung geben
aber in dem 3 angl muß nichts geschriben sein, das gesicht
muß schöner und liblicher, das Kleidl nit so weiß
rötlig, und die ganze stellung Ein anderer geist sein. Neben
ihm und undter Ihm die Engl wie sie die Menschheit anbetten in
solchern affect und Stellung wie sie in dem Kupferstich der auf
der Stiegen des grundt brafen gestre. H. Secretarii H. Vitus
Hueber ist "den ge Creuzigten Heyland anbettung alsda zuwor
in Trauer, bey der Menschheit aber in Liebsfrölichen gesichtern.
4. Herundten in der Mitte muß die ohnbefleckte Muttergottes
in der stellung wie sie in beyliegentem Bildlein ist gemahlt
worden, doch daß sie sich mit dieser Leibstellung gegen
die Menschheit umbwendt ganz frey in velligen Lichtschein stehe
außen mit guldenen römischen Strahlen rund umb umbgeben,
oben umb das haubt die 12 sternen, undter den Füssen den
silbernen Mondt habe, die Kleidung weiss und Blau, u. das blaue
weißsilbern das weiße goldgelbig Damaßcieret,
wan Es sich schickt. Außer den strahlen auf der seiten
u. in der mitte u. undterhalb wird sie begrüßt und
verehret von dem Engl gabriel mit der lilgen, u. von andren Englen
die Sonne, den Morgenstern X.X. in der Hand haltent.
5. undter der Mutter gottes Ein wenig abseits auf der rechten
der hl. August, Pontificalisch gekleidt mit ganzem Leib auf dem
gewülch Kniet, neben ihm der stab u. Infl. ligent, mit ganzem
angesicht lieblich gegen der Mutter gottes sehend, mit der linkhen
sein Herz in 3facher flamme brunnent aufopfert, mit der rechten
Ein offenes Buch haltent u. hinab gegen die Orden Stifterin so
sein Regel angenommen, hinab langet.
6. auf der linkhen seiten undter der Muttergottes die hl. Ursula
auch in dem Gewölch ganz Knient, und an dem Haubt undt Kleidung
auf die manier gekleidt, wie man die hl. Catharina in dem papiernen
miniatur-Bildern, von dem Störklin gestochen siehet, welch
hlge Ursula mit Lieblichem affect gegen die Muttergottes Ihre
augen sambt dem mit Pfeil durchschossenen Herz in der rechten
Handt, wendet, mit dem Lilgen Ein palm Zweig gegen ihrer Jungfrauschar
hinab deutet, die doch auch noch in dem gewülch stehend
u. knient sindt u. in ihren händen entweder Ein Pfeil, Ein
Palm Zweig, Ein von Rosen von Lorber od. Lilgen geflochtene Gränz
tragen, undt schönstens gekleidt sindt, auf dem haubt wie
Sanct Barbara in dem Störklein miniatur Bildern.
7. Undten auf der Erden werden die 4 Theil der Welt abgeteilt,
welche ihren affect gegen der Mutter Gottes machen, undt jeder
Welttheil mit ihrem gevolg, Trabanten, Tiger, Loeben, Elefanten,
Straußen, Pfauen, Papageyen, Adler und Paradiesvögel
in frembter schöneren Bewaffnung, Kleidung, ziehrung undt
stellung undter verschieden architecturi NB Gebeyen undt verdieffung
von Säulen, von Portalen, von egyptischen Pyramiden, von
Pharos und Meerporten, Gebürgen, Landschaften undt perspectionen.
8. Es muß auch das gantze obere Rundel mit einer zierlichst
verkrüpften und vergulden Stuckhader Ramen umbfaßt
werden, welche auch auflaufen kann auf die 4 widerlagen schier
bis auf das herumb laufende kürch gesümbs, in welchen
4 widerlager meines Erachtens schön wären, wan Herr
Mahler in iedem Einen von denen 4. Theil der Welt auf arth wie
oben gesagt von dem rundell hinaufführt, welche aber schön
würde in die augen fällen und das mittlere werkh in
die höhe treiben.
In dem Chor gegen aufgang der Sonnen oben an dem gewelb da kunte
einerseits das Herz Jesu wie es von der gotteligen Closterfrau
gesehen worden abgezeichnet werden, doch also, daß Es von
denen 4 Evangelischen Sinnbildern, das ist vom Engl, adler, löw
und oxen Zierlich denen 4 heiligen Evangelisten welche Es mit
denen Federn und Büchern in der handt in lieblichen affecten
bewundern undt von denen 3en Sünbildern des glaubens der
hoffnung und der Lieb angebetten wurde.
Anderer seithds aber die gesetzestafel, Moses in dem gottlichen
3 angl schein auf der Bundeslad stehent und von zweyen oder mehreren
umb und umb geflügelten Cherubinen gehalten und von Mose,
Josua Gedion David Aaron, Daniel Jeremias und anderer Profeten
(?) und Patriarchen, hölden und höldinen als von der
Judith von der Ester, von der Rahel, Debora p.p. mit verschidenen
anmuthungen angebetet würden kunten gemahlt werden.
Dan das herz Jesu in Ein altar blatt mahlen zu lassen [wie es
tatsächlich geschehen ist] wär nit meines Sinns aus
seiner Ursach, sondern es muß in besonderer Zierung auf
Einem altar zur ver Ehrung gestellt werden. Wo von ich, wen die
Erlaub habe, Ein andersmahl, bericht Erstatten wirdt.
In dem Musik Chor gegen Nidergang oben in dem gewelb. Kunte sehr
schön Einer seits die Schiffahrt auf dem meer der Sanct
Ursula gesellschaft mit mehreren Galeeren und Schiffen gezeichnet
werden. Dann andrer seits auf dem Landt dero Marter, wo der Tyrann
under Einem Kriegs-gezelt mit seinen trabanten stunde, in altfränkischer
Kleidung mit einem Bustion in Handten denen Soldaten zu morden
gebiethete und diese, theils mit schlachtschwertern und sabeln,
teils mit buksen und hörlanzen, theils mit Kolben undt Morgensternen
in verschiedener grimmiger gestalt die heilige Jungfrauschar
Zermarterten, wo oben der himmel offen und das Jungfreilliche
Lamb gottes in schönsten glanz herab strahlete. (Tyroller,
1978, S.26ff., vgl. dazu ebd. S. 8f)
3 Im Südosten - der Geburtsstätte
Jesu - ist gemäß seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung
der Kontinent Asien mit den drei Weisen dargestellt. Im Nordosten
befindet sich Europa, wo der Ursulinenorden seinen Ursprung hatte.
Als Personifikation Europas ist der Parnaß dargestellt,
aus dem Pegasus die Quelle Hippokrene entspringen läßt.
Die miteinander schreibenden, lesenden und musizierenden Mädchen
sind wohl ein Hinweis auf das Institut der Ursulinen. Im Nordwesten
erscheint Afrika, wo ein Hohepriester vor einer Pyramide ein
Opfer darbringt, im Südwesten schließlich wird die
Landung der Ursulinen in Québec geschildert, wo die französische
Ordensschwester Maria von der Menschwerdung 1639 das erste Frauenkloster
in der Neuen Welt errichtet hatte. (Vgl. Zipse,
1991, S. 160ff)
4 Vgl. S.
Hofmann, 1986, S. 50f.
Andrea Pozzos Traktat 'Perspectiva Pictorum atque Architectorum'
(1693) von einer Illusionsmalerei beschreibt mit Hilfe perspektivischer
Einrichtungen theatralische Effekte des Scheins. Pozzo beschreibt
im Prinzip Anamorphosen.
5 Bernhard Rupprecht kritisiert die
tendenzielle Unüberschaubarkeit Asamscher Deckenfresken
mit dem Hinweis, die anschauliche Realisation erfordere für
die Apperzeption "sowohl ein kinetisches wie ein zeitliches
Moment, das die Ignorierung oder gar den anschaulichen Zerfall
der gerade nicht in 'Lesung' befindlichen Bildpartien zur Folge
hat." (Rupprecht,
1986, S. 26.) Rupprechts Kritik erscheint ein wenig verwunderlich,
stellt er doch Dynamik und Bewegung an anderer Stelle dezidiert
als Hauptcharakteristika barocker Raumkunst dar (Vgl. Rupprecht,
1987, S. 10). Doch scheint Rupprecht die dynamischen Qualitäten
allein für die Ausformung der Räume gelten lassen zu
wollen, nicht aber für den Rezeptionsvorgang.
6 Der Goldrahmen um die Deckenfresken
bleibt, unterbrochen von den Grisaillen, rein ornamental. Eine
plastische Entsprechung hat der gemalte Rahmen in den goldenen
Kränzen über den Altären. Sie werden von Engeln
gehalten. Über die Rolle der Engel schreibt Hofmann: "Wo
Engel diesen Rahmen halten, stützen oder auch nur umspielen,
wird die Präsentation des Bildes durch den Himmel und seine
Boten noch unterstrichen. Von hier aus wird auch jener optische
'Bruch' verständlich, wo bei Asam hinter dem Bildrahmen
Tiefe bzw. Höhe evociert wird, Bilder also gleichsam hinter
dem Rahmen 'aufgeklappt' erscheinen." (S.
Hofmann, 1986, S. 62.) Die 'aufgeklappte' Wirkung ist in
Straubing allerdings weniger deutlich als in Ingolstadt.
7 Stuckmarmor war kaum billiger als
richtiger Marmor, doch er leistete, meint Hermann Bauer, ein
"vollkommeneres Bild von Marmor, dessen Apparenza, seiner
illusionistischen Erscheinung. Dieses Phänomen gehört
allerdings zumeist der Spätzeit des Rokoko bzw. einigen
regionalen und volkstümlichen Stilen an." (Bauer,
1992, S. 236.)