Kontext: Kloster und Kirche St. Ursula
St. Ursula ist als Klosterkirche in die Gesamtanlage des Ursulinenklosters
integriert (Abb. 3).
Aufgrund der engen Umbauung ist der architektonische Körper
stets nur teilweise sichtbar. Selbst die in die Gebäudeflucht
integrierte Frontfassade ist von der schmalen Burggasse aus nicht
überschaubar. An der Westseite schließen rechts und
links die Raumfluchten des Gymnasiums der Ursulinen an; auf der
Höhe des ersten Stocks befindet sich, zwischen Westempore
und Fassade, ein schmaler Durchgang, der die beiden Gebäudeflügel
verbindet. Von Westen gesehen links schließt das Wohnhaus
der Schwestern an die Kirche an. Unter der Kirche liegt die Gruft
des Klosters, in der heute noch die Schwestern bestattet werden.
Deutlicher wird die enge Verbindung zwischen Kloster und Kirche
im Innenraum. Links neben dem Hauptaltar befindet sich, durch
ein Fenster an den Altarraum angebunden, der Gebetsraum der Schwestern.
Ein zweites, blindes Fenster befindet sich gegenüber auf
der rechten Seite (Abb.
2, Abb. 4). Auf die Verbindung
von Kirche und Klausurgebäude der Schwestern weisen Oratorien,
die auf zwei Etagen zwischen Hauptaltar, Seitenaltären und
Westempore angebracht sind. Sie sind unten als halbrund sich
vorwölbende Balkone ausgebildet und oben als logenartige,
verglaste Gebilde mit Stuckdraperien an den Fensterbrüstungen (Abb. 5).
Der nicht sehr große Kirchenraum - die Baufläche beträgt
20 m in der Breite und 26 m in der Tiefe;1 die
lichte Höhe der Kirche ist gleich ihrer Breite von 18,8
m - ist symmetrisch, doch in barocker Kompliziertheit angelegt.
An die Stelle einfacher geometrischer Formen, wie sie die Architektur
der Hochrenaissance kennzeichnen, "treten im Barock Raumgebilde,
deren einzelne Elemente miteinander verschmolzen sind und die
sich einer klaren Anschauung und deshalb auch einer exakten Definition
entziehen."2 In Straubing ist der Kernraum
des - queroval erscheinenden - Zentralbaus über einem Kreis
gestaltet, der durch vier konkav geschwungene Wandstücke
mit Pilasterpaaren markiert ist (in diesen Wandstücken liegen
die Oratorien). Dem Kernraum sind, ihn anschneidend, in den Hauptachsen
vier ovale Räume angeschlossen: die Eingangshalle im Westen,
die beiden Seitenaltarräume im Süden und im Norden
und der Hauptaltarraum im Osten (Abb. 6, Abb. 7).
Eine böhmische Kappe überwölbt den Zentralraum,
flache Halbkuppeln befinden sich über den Querarmen und
dem Chor, ein Tonnengewölbe schließt die Westempore
nach oben ab. Drei große Fenster öffnen die Westfassade
für das einfallende Licht des sehr hell konzipierten Raums.3 Der Obergaden über den Seitenaltären
und im Chorraum zu beiden Seiten des Hochaltars ist durchfenstert
mit gewölbten Laibungen, die das einfallende Licht reich
modulieren.
Auf das eindringende Licht hin ist die dekorative Ausstattung
der Kirche konzipiert und gestaltet. Und Licht, dargestelltes
Licht, ist ein Hauptmotiv der Fresken im Zentralraum, über
dem Hauptaltar und im Tonnengewölbe über der Westempore.
Das Licht verbindet Elemente, die strukturell verschieden sind,
und die in ihrer differenten Ausformung - als illusionistische
Malerei, als farbig gefaßte Stuckplastik, als Schrift und
als Innenraum - verschiedene Lesarten nahelegen: kognitiv les-
und deutbare und erlebnismäßig erfahrbare. Dergestalt
stellen die Ausformungen als Vermittlungsstrategien verschiedenartige
Erfahrungs- und Lernpotentiale bereit. Die verschiedenen Vermittlungsstrategien
und die dadurch nahegelegten verschiedenen Lesarten verstärken
sich gegenseitig in ihrer Wirkung und beleuchten von verschiedenen
Gegenden her das zentrale Thema: die Unbefleckte Empfängnis.