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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Die Auren in In-Between

 

Angesichts der Lichtwellenerscheinungen in 'In-Between' (Abb. 34) liegt es nahe, sie als Verbildlichung des holographischen Universum zu betrachten. Doch das scheint mir ein Weg zu sein, der - gerade wenn man die Implikationen des holonomischen Universums ernst nimmt - zu kurz greift und die holographische Erscheinung in einer Weise (ikonologisch 1 ) interpretiert, die der herkömmlichen und vertrauten Bildinterpretation entspricht und den Blick auf die Erfahrungspotentiale vor Hologrammen eher verstellt. Denn diese Potentiale reichen über ein mechanistisch verstandenes Alltagsbewußtsein hinaus und können eher gefaßt werden als erweiterte Erfahrungsmöglichkeiten, die - im Blick auf die Betrachtererfahrung vor den Hologrammen analogiehaft - in den Modellen von Pribam, Bohm und Grof aufscheinen.

Bewegt man sich vor dem Hologramm, so bewegen sich dem Augenschein nach zugleich die von Aureolen umgebenen Schattenkörper. Die Schattenkörper, das mag der tiefere Sinn ihrer Schattenhaftigkeit sein, sind anwesend und abwesend zugleich. Sie sind anwesend als holographische Erscheinung, als solche stehen sie in demselben Raum wie die zugleich anwesenden Betrachter. Walter Benjamin beschreibt in 'Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit' reale Anwesenheit als Voraussetzung für die Aura. Real im Betrachterraum anwesend sind selbstverständlich nicht die Körper, deren Abbilder vom Hologramm projiziert werden. Joachim Büchner meint deshalb, die Holographie bestätige Benjamins Ansatz, nach dem in der technischen Reproduzierbarkeit, im Verfahren der Aufzeichnung der Körper in diesem Falle, die Aura zertrümmert würde. Das Hologramm "ist nach den Prinzipien naturwissenschaftlicher Forschung, Erfindung und Technik jederzeit und allerorten realisierbar... Wiedergabe, Reproduktion sind nicht als Aufgaben einer - sei es künstlerischen, sei es handwerklichen - Tätigkeit verstanden. Sie sind statt dessen dem Apparat, der Technologie überantwortet. Das Original im traditionellen Verstand existiert nicht mehr, dessen Begriff ist ad absurdum geführt."2 Boissonnets Schattenkörper können als technische Reproduktionen, folgt man Benjamin, keine Aura haben: "Denn die Aura ist an sein [des Menschen] Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein Abbild von ihr."3 Auch das perfekteste Hologramm gibt nur die Oberflächen der Körper wieder (und auf vertrackte Weise in Boissonnets Hologramm auch ihre Wärmeabstrahlung). Das Abbild der Körper ist eine Reproduktion. Vito Orazem spricht von der 'Abstraktheit' der holographischen Erscheinungen. Sie erlaube "keinen intimen Bezug zum Betrachter ... Die Gegenstände haben das Besondere des Dagewesenseins verloren und wirken wie eine allgemeine Erscheinung."4 Was Benjamin für Kunstwerke konstatiert, gilt hier für die Körper: "Noch bei der höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein." Das Hier und Jetzt, das Benjamin ans Original bindet, macht den Begriff der Echtheit aus, und "der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen - und natürlich nicht nur der technischen - Reproduzierbarkeit."5 An die Echtheit ist die Aura gebunden, fehlt erstere, verkümmert auch sie.

Den Bereich des Echten und der Aura beschränkt Benjamin nicht auf historische Artefakte, er bindet den Begriff der Aura vielmehr an ein bestimmtes Gewahrsein der Welt: Die Aura "definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen."6 Benjamin beschreibt hier als auratisch die Erfahrung einer singulären und subjektiv erlebten Präsenz - ganz ähnlich wie Capra, Gelpke oder Huxley solches Gewahrsein im Zusammenhang einer dem Alltagsbewußtsein gegenüber erweiterten Wahrnehmung beschrieben haben.

Benjamin knüpfte den Verfall der Aura an das massenhafte Auftreten von Reproduktionen, die Anwesenheit suggerieren, doch nicht einhalten. Damit, meinte Benjamin, verändere sich nicht nur die Art und Weise der Sinneswahrnehmung, sondern auch die gesamte Daseinsweise der menschlichen Kollektiva: "Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt."7

Benjamin hat keine Hologramme gekannt. Hologramme, zumal im Bereich ihres künstlerischen Einsatzes, werden nicht, wie man dem Film unterstellt hat, passiv rezipiert (im Sinne der Bestätigung erlernter Codes), sie erfordern das Hier und Jetzt des Kunstwerks und den aktiven Einsatz der Betrachter, physisch wie mental. Technisch reproduzierbar sind Hologramme als Artefakte, ihre Rezeption entzieht sich jeder Reproduktion, denn sie ist singulär und ereignishaft. Nicht das Werk, seine Rezeption ist auratisch. Auch im benjaminschen Sinne: Zwar ist Benjamins Begriff der Aura im Sinne einer Werkästhetik zu verstehen, doch es ist unter veränderten methodischen Prämissen, wie sie die Rezeptionsästhetik nahelegen, möglich, ihn auf das Ereignis der Rezeption anzuwenden, das so einmalig ist, wie Benjamin das Original verstand. Nach Mersch 8 entnahm Benjamin das Phänomen der Aura der Ästhetik Paul Valérys als ein 'Sehen, das vom Anderen herkommt' und mit der Einmaligkeit des Augenblicks zusammenfällt. Das Auratische ist wesentlich singular, und es ist an die Anwesenheit eines Anderen gebunden. Brecht schrieb in seinem Arbeitsjournal: Benjamin "geht von etwas aus, was er Aura nennt, was mit dem Träumen zusammenhängt (dem Wachträumen). Er sagt: Wenn man einen Blick auf sich gerichtet fühlt, auch im Rücken, erwidert man ihn (!). Die Erwartung, daß, was man anblickt, einen selber anblickt, verschafft die Aura."9 Benjamins Rede von der 'Ferne, so nah sie sein mag' interpretiert Mersch als Differenz zwischen dem Ästhetischen und dem Gewöhnlichen. Das Gewöhnliche ist charakterisiert durch Zweckmäßigkeit, das Ästhetische im ursprünglichen Sinne von Aisthesis bedeutet gerade nicht das Betrachten der Kunst oder Natur nach der Maßgabe strikter Subjekt-Objekt-Verhältnisse, sondern wir werden wahrnehmend "von ihnen berührt und aufgestört."10 Erwartungshorizonte werden überschritten, die wahrgenommenen Phänomene entziehen sich der Einordnung in vertraute Interpretationsmuster - man denke beispielsweise an die vielfachen Ebenen der Interaktivität (die auf Kommunikation angelegte Inszenierung, die besondere Perzeption der Hologramme, das Dargestellte) in In-Between. Indem das Rezeptionsangebot derart den Vorstellungen der Rezipienten widerspricht, können Reaktionen ausgelöst werden, die der Möglichkeit nach zur reflexiven Korrektur der eigenen Einstellungen führen können. Rezeptionsästhetisch gesprochen kann daraus der Abbau von Unbestimmtheit erfolgen, das Werk kann an die eigenen Erfahrungen und Weltvorstellungen angeschlossen werden.11

Die populären Formen des Films und der Fotografie zielen darauf ab, analog dem Gewöhnlichen gelesen und verstanden werden zu können. Filme sind tendenziell so angelegt, daß es möglich ist, Bilder und Sequenzen rasch zu entziffern und in erlernte Wissenszusammenhänge einzuordnen. Das, meint Mersch, schlage auf die Fähigkeit zur Rezeption zurück. Mit dem Verlust der Singularität, der Aura, "schwindet so die Sensibilität der Sinne. Wahrnehmung depraviert auf die Erfüllung eines Codes, der das Identische und somit Erwartete nährt, statt das Unerwartete und also Nicht-Codierbare zu forcieren. Der bestürzende Befund Benjamins impliziert aus diesem Grunde einen zweiten: den des Konformismus der Bilder, Musiken und Erzählungen, der sich durch die technischen Medien selbst aufzwingt und in Fernsehen und Schlager seine endgültigen Triumphe feiert. Wo deren Codes die Wahrnehmung diktieren, findet er bestenfalls seine fortgesetzte Spiegelung - keine Irritation, die das Bekannte umstürzte, keine Erschütterung, die die Gesetze des Alltags sprengten und die Sinne zu schärfen vermöchten."12 Mersch macht diese Bemerkungen im Zusammenhang mit avantgardistischen Musikstücken (Wolf Vostell beispielsweise, oder La Monte Young), doch sind sie für die Rezeption von Hologrammen höchst aufschlußreich, da deren Rezeption, weit mehr als die Rezeption von Tafelbildern, die im Sinne Gottfried Boehms immer im Spiel zwischen Sukzession (Detailsicht) und Simultaneität (Gesamtsicht) rezipiert werden können, performativ ist. Das Hologramm ähnelt mehr als dem Tafelbild einer Choreographie, die der Betrachter in der Interaktion mit dem Werk vollzieht.


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1 Man könnte die Auren-Erscheinungen in In-Between beispielsweise in eine Reihe stellen mit religiösen Darstellungen von Heiligenscheinen.

2 Büchner, 1985, ohne Seitenangabe.

3 Benjamin, 1936, S. 25.

4 Orazem, 1991, S. 299.

5 Benjamin, 1936, S. 12.

6 Benjamin, 1936, S. 15.

7 Benjamin, 1936, S. 14.

8 Mersch, 1997.

9 Brecht (Arbeitsjournal. Frankfurt a.M. 1973, S. 14, vom 25.7.38), zit. nach:
Mersch, 1997, S. 21.

10 Mersch, 1997, S. 22.

11 Vgl. Iser, 1975, S. 233f.

12 Mersch, 1997, S. 23.


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