Die Auren in In-Between
Angesichts der Lichtwellenerscheinungen in 'In-Between'
(Abb. 34) liegt es nahe, sie als
Verbildlichung des holographischen Universum zu betrachten. Doch
das scheint mir ein Weg zu sein, der - gerade wenn man die Implikationen
des holonomischen Universums ernst nimmt - zu kurz greift und
die holographische Erscheinung in einer Weise (ikonologisch 1 ) interpretiert, die der herkömmlichen und
vertrauten Bildinterpretation entspricht und den Blick auf die
Erfahrungspotentiale vor Hologrammen eher verstellt. Denn diese
Potentiale reichen über ein mechanistisch verstandenes Alltagsbewußtsein
hinaus und können eher gefaßt werden als erweiterte
Erfahrungsmöglichkeiten, die - im Blick auf die Betrachtererfahrung
vor den Hologrammen analogiehaft - in den Modellen von Pribam,
Bohm und Grof aufscheinen.
Bewegt man sich vor dem Hologramm, so bewegen sich dem Augenschein
nach zugleich die von Aureolen umgebenen Schattenkörper.
Die Schattenkörper, das mag der tiefere Sinn ihrer Schattenhaftigkeit
sein, sind anwesend und abwesend zugleich. Sie sind anwesend
als holographische Erscheinung, als solche stehen sie in demselben
Raum wie die zugleich anwesenden Betrachter. Walter Benjamin
beschreibt in 'Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit' reale Anwesenheit als Voraussetzung für
die Aura. Real im Betrachterraum anwesend sind selbstverständlich
nicht die Körper, deren Abbilder vom Hologramm projiziert
werden. Joachim Büchner meint deshalb, die Holographie bestätige
Benjamins Ansatz, nach dem in der technischen Reproduzierbarkeit,
im Verfahren der Aufzeichnung der Körper in diesem Falle,
die Aura zertrümmert würde. Das Hologramm "ist
nach den Prinzipien naturwissenschaftlicher Forschung, Erfindung
und Technik jederzeit und allerorten realisierbar... Wiedergabe,
Reproduktion sind nicht als Aufgaben einer - sei es künstlerischen,
sei es handwerklichen - Tätigkeit verstanden. Sie sind statt
dessen dem Apparat, der Technologie überantwortet. Das Original
im traditionellen Verstand existiert nicht mehr, dessen Begriff
ist ad absurdum geführt."2 Boissonnets
Schattenkörper können als technische Reproduktionen,
folgt man Benjamin, keine Aura haben: "Denn die Aura ist
an sein [des Menschen] Hier und Jetzt gebunden. Es gibt kein
Abbild von ihr."3 Auch das perfekteste
Hologramm gibt nur die Oberflächen der Körper wieder
(und auf vertrackte Weise in Boissonnets Hologramm auch ihre
Wärmeabstrahlung). Das Abbild der Körper ist eine Reproduktion.
Vito Orazem spricht von der 'Abstraktheit' der holographischen
Erscheinungen. Sie erlaube "keinen intimen Bezug zum Betrachter
... Die Gegenstände haben das Besondere des Dagewesenseins
verloren und wirken wie eine allgemeine Erscheinung."4 Was Benjamin für Kunstwerke konstatiert,
gilt hier für die Körper: "Noch bei der höchstvollendeten
Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt
des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein." Das Hier und Jetzt,
das Benjamin ans Original bindet, macht den Begriff der Echtheit
aus, und "der gesamte Bereich der Echtheit entzieht sich
der technischen - und natürlich nicht nur der technischen
- Reproduzierbarkeit."5 An die Echtheit
ist die Aura gebunden, fehlt erstere, verkümmert auch sie.
Den Bereich des Echten und der Aura beschränkt Benjamin
nicht auf historische Artefakte, er bindet den Begriff der Aura
vielmehr an ein bestimmtes Gewahrsein der Welt: Die Aura "definieren
wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag.
An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont
oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden
wirft - das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges
atmen."6 Benjamin beschreibt hier als auratisch
die Erfahrung einer singulären und subjektiv erlebten Präsenz
- ganz ähnlich wie Capra, Gelpke oder Huxley solches Gewahrsein
im Zusammenhang einer dem Alltagsbewußtsein gegenüber
erweiterten Wahrnehmung beschrieben haben.
Benjamin knüpfte den Verfall der Aura an das massenhafte
Auftreten von Reproduktionen, die Anwesenheit suggerieren, doch
nicht einhalten. Damit, meinte Benjamin, verändere sich
nicht nur die Art und Weise der Sinneswahrnehmung, sondern auch
die gesamte Daseinsweise der menschlichen Kollektiva: "Die
Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich
organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur
natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt."7
Benjamin hat keine Hologramme gekannt. Hologramme, zumal im Bereich
ihres künstlerischen Einsatzes, werden nicht, wie man dem
Film unterstellt hat, passiv rezipiert (im Sinne der Bestätigung
erlernter Codes), sie erfordern das Hier und Jetzt des Kunstwerks
und den aktiven Einsatz der Betrachter, physisch wie mental.
Technisch reproduzierbar sind Hologramme als Artefakte, ihre
Rezeption entzieht sich jeder Reproduktion, denn sie ist singulär
und ereignishaft. Nicht das Werk, seine Rezeption ist auratisch.
Auch im benjaminschen Sinne: Zwar ist Benjamins Begriff der Aura
im Sinne einer Werkästhetik zu verstehen, doch es ist unter
veränderten methodischen Prämissen, wie sie die Rezeptionsästhetik
nahelegen, möglich, ihn auf das Ereignis der Rezeption anzuwenden,
das so einmalig ist, wie Benjamin das Original verstand. Nach
Mersch 8 entnahm Benjamin das Phänomen
der Aura der Ästhetik Paul Valérys als ein 'Sehen,
das vom Anderen herkommt' und mit der Einmaligkeit des Augenblicks
zusammenfällt. Das Auratische ist wesentlich singular, und
es ist an die Anwesenheit eines Anderen gebunden. Brecht schrieb
in seinem Arbeitsjournal: Benjamin "geht von etwas aus,
was er Aura nennt, was mit dem Träumen zusammenhängt
(dem Wachträumen). Er sagt: Wenn man einen Blick auf sich
gerichtet fühlt, auch im Rücken, erwidert man ihn (!).
Die Erwartung, daß, was man anblickt, einen selber anblickt,
verschafft die Aura."9 Benjamins Rede von
der 'Ferne, so nah sie sein mag' interpretiert Mersch als Differenz
zwischen dem Ästhetischen und dem Gewöhnlichen. Das
Gewöhnliche ist charakterisiert durch Zweckmäßigkeit,
das Ästhetische im ursprünglichen Sinne von Aisthesis
bedeutet gerade nicht das Betrachten der Kunst oder Natur nach
der Maßgabe strikter Subjekt-Objekt-Verhältnisse,
sondern wir werden wahrnehmend "von ihnen berührt
und aufgestört."10 Erwartungshorizonte
werden überschritten, die wahrgenommenen Phänomene
entziehen sich der Einordnung in vertraute Interpretationsmuster
- man denke beispielsweise an die vielfachen Ebenen der Interaktivität
(die auf Kommunikation angelegte Inszenierung, die besondere
Perzeption der Hologramme, das Dargestellte) in In-Between. Indem
das Rezeptionsangebot derart den Vorstellungen der Rezipienten
widerspricht, können Reaktionen ausgelöst werden, die
der Möglichkeit nach zur reflexiven Korrektur der eigenen
Einstellungen führen können. Rezeptionsästhetisch
gesprochen kann daraus der Abbau von Unbestimmtheit erfolgen,
das Werk kann an die eigenen Erfahrungen und Weltvorstellungen
angeschlossen werden.11
Die populären Formen des Films und der Fotografie zielen
darauf ab, analog dem Gewöhnlichen gelesen und verstanden
werden zu können. Filme sind tendenziell so angelegt, daß
es möglich ist, Bilder und Sequenzen rasch zu entziffern
und in erlernte Wissenszusammenhänge einzuordnen. Das, meint
Mersch, schlage auf die Fähigkeit zur Rezeption zurück.
Mit dem Verlust der Singularität, der Aura, "schwindet
so die Sensibilität der Sinne. Wahrnehmung depraviert auf
die Erfüllung eines Codes, der das Identische und somit
Erwartete nährt, statt das Unerwartete und also Nicht-Codierbare
zu forcieren. Der bestürzende Befund Benjamins impliziert
aus diesem Grunde einen zweiten: den des Konformismus der Bilder,
Musiken und Erzählungen, der sich durch die technischen
Medien selbst aufzwingt und in Fernsehen und Schlager seine endgültigen
Triumphe feiert. Wo deren Codes die Wahrnehmung diktieren, findet
er bestenfalls seine fortgesetzte Spiegelung - keine Irritation,
die das Bekannte umstürzte, keine Erschütterung, die
die Gesetze des Alltags sprengten und die Sinne zu schärfen
vermöchten."12 Mersch macht diese
Bemerkungen im Zusammenhang mit avantgardistischen Musikstücken
(Wolf Vostell beispielsweise, oder La Monte Young), doch sind
sie für die Rezeption von Hologrammen höchst aufschlußreich,
da deren Rezeption, weit mehr als die Rezeption von Tafelbildern,
die im Sinne Gottfried Boehms immer im Spiel zwischen Sukzession
(Detailsicht) und Simultaneität (Gesamtsicht) rezipiert
werden können, performativ ist. Das Hologramm ähnelt
mehr als dem Tafelbild einer Choreographie, die der Betrachter
in der Interaktion mit dem Werk vollzieht.