Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Naturwissenschaft und Mystik

 

Nach Ansicht von Bohm und Pribam könnte "die religiöse Grunderfahrung, die Erfahrung mystischen Einsseins und 'höchster Identität' auch aus naturwissenschaftlicher Seite eine echte und legitime Erfahrung dieses verflochtenen und universalen Urgrundes sein."1 Marylin Ferguson meint, die an den Phänomenen des Geistes Interessierten hätten schon lange vorausgesagt, daß eine neue Theorie zum Vorschein kommen werde, "die sich auf die Mathematik berufen werde, um das Übernatürliche als Teil des Naturbildes zu etablieren. Das holographische Modell ist eine solche Integraltheorie, das ganze Spektrum aus Wissenschaft und Spirituellem einzufangen."2 So einfach ist es indessen nicht, und Bohm hat immer wieder deutlich auf die Grenzen seines Modells gezeigt, das, wie alle Modelle, auf dem Denken beruht, und deshalb von begrenzter Reichweite sein muß.

Das Denken, sagte Bohm, kann das was ist, nicht erfassen. Aus dem Wort 'das Nichtmanifeste' bildet das Denken die Idee des Nichtmanifesten, doch die Idee gehört immer noch dem Bereich des Manifesten an. "Es besteht die Gefahr, daß das Denken sich einbilden könnte, das Ganze erfaßt zu haben. Das Nichtmanifeste, von dem wir sprechen, ist nur ein relativ Nichtmanifestes. Es ist immer noch ein Ding, wenn auch ein sehr subtiles. Es ist abhängig von Bedingungen und Gesetzen. Es kann uns helfen, die Subtilität zu begreifen, die Materie erlangen kann. Doch "wie subtil die Materie auch werken mag, sie ist nicht der wahre Urgrund allen Seins."3 Denken erzeugt gedankliche Sperren, an die man sich gewöhnt und die man für die Wahrheit hält. Doch Vernunft hat nach Bohm zwei Quellen: Die eine ist das mechanisch funktionierende Gedächtnis, die andere entspringt der Einsicht. Das, womit die Einsicht in Berührung kommt, liegt jenseits des Nichtmanifesten und ist identisch mit dem Heiligen: "Wie wir wissen, beruht 'heilig' auf dem Wort heil im Sinne von ganz. Man könnte es daher auch das Ganze oder die Ganzheit nennen."4 Quantenmechanik und Relativitätslehre haben das Scheitern der mechanistischen Ordnungen aufgezeigt. Die eingefaltete Ordnung ermöglicht, eine Beziehung zwischen den Bereichen Physik und Mystik herzustellen.

Das holographische Weltbild, wie es Bohm und Pribam beschreiben, markiert den Höhepunkt eines Trends in den Naturwissenschaften. Seit der Quantenrevolution hat eine Reihe von Forschern immer wieder Parallelen zwischen ihren Forschungsergebnissen und mystisch-transzendenten Religionen entdeckt. "Heisenberg, Bohr, Schrödinger, Eddington, Jeans, ja selbst Einstein bekannten sich zu einer mystisch-spirituellen Weltanschauung."5 Physiker wie Capra versuchten in der Verbindung physikalischer Forschungsergebnisse mit religiösen Weltbildern eine Abkehr von einem objektivistisch determinierten Weltbild, der Physiker und Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend hat engagiert gegen die Dominanz von etablierten Methodologien gestritten, die auf der Allgemeingültigkeit des westlich geprägten Rationalismus bestehen, und Alan Watts nutzte die moderne physikalische und die Systemtheorie dafür, in einer stark vereinfachenden Form Buddhismus und Taoismus zu erklären. Es gibt zahlreiche Argumente pro und kontra dieses neue Weltbild, das auf verschiedene Weise interpretiert werden kann. "Doch ganz gleich", meint Wilber, "ob man dem neuen Paradigma zustimmt oder nicht - eine Schlußfolgerung ergibt sich ganz unverkennbar: Die neue Naturwissenschaft schafft zumindest breiten Spielraum für das Spirituelle".6 Insofern ist sie näher an Kunstpraxis und Kunstrezeption, als an objektivierend analytischer Kunstwissenschaft.


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Wilber, 1988, S. 9.

2 Ferguson, 1984, S. 294.

3 Bohm, 1988, S. 70.

4 Bohm, 1988, S. 77.

5 Wilber, 1988, S. 9

6 Wilber, 1988, S. 11.


Home

Inhalt

Weiter