Naturwissenschaft und Mystik
Nach Ansicht von Bohm und Pribam könnte "die religiöse
Grunderfahrung, die Erfahrung mystischen Einsseins und 'höchster
Identität' auch aus naturwissenschaftlicher Seite eine echte
und legitime Erfahrung dieses verflochtenen und universalen
Urgrundes sein."1 Marylin Ferguson meint,
die an den Phänomenen des Geistes Interessierten hätten
schon lange vorausgesagt, daß eine neue Theorie zum Vorschein
kommen werde, "die sich auf die Mathematik berufen werde,
um das Übernatürliche als Teil des Naturbildes zu etablieren.
Das holographische Modell ist eine solche Integraltheorie, das
ganze Spektrum aus Wissenschaft und Spirituellem einzufangen."2 So einfach ist es indessen nicht, und Bohm hat
immer wieder deutlich auf die Grenzen seines Modells gezeigt,
das, wie alle Modelle, auf dem Denken beruht, und deshalb von
begrenzter Reichweite sein muß.
Das Denken, sagte Bohm, kann das was ist, nicht erfassen. Aus
dem Wort 'das Nichtmanifeste' bildet das Denken die Idee des
Nichtmanifesten, doch die Idee gehört immer noch dem Bereich
des Manifesten an. "Es besteht die Gefahr, daß das
Denken sich einbilden könnte, das Ganze erfaßt zu
haben. Das Nichtmanifeste, von dem wir sprechen, ist nur ein
relativ Nichtmanifestes. Es ist immer noch ein Ding, wenn auch
ein sehr subtiles. Es ist abhängig von Bedingungen und Gesetzen.
Es kann uns helfen, die Subtilität zu begreifen, die Materie
erlangen kann. Doch "wie subtil die Materie auch werken
mag, sie ist nicht der wahre Urgrund allen Seins."3
Denken erzeugt gedankliche Sperren, an die man sich gewöhnt
und die man für die Wahrheit hält. Doch Vernunft hat
nach Bohm zwei Quellen: Die eine ist das mechanisch funktionierende
Gedächtnis, die andere entspringt der Einsicht. Das, womit
die Einsicht in Berührung kommt, liegt jenseits des Nichtmanifesten
und ist identisch mit dem Heiligen: "Wie wir wissen, beruht
'heilig' auf dem Wort heil im Sinne von ganz. Man könnte
es daher auch das Ganze oder die Ganzheit nennen."4
Quantenmechanik und Relativitätslehre haben das Scheitern
der mechanistischen Ordnungen aufgezeigt. Die eingefaltete Ordnung
ermöglicht, eine Beziehung zwischen den Bereichen Physik
und Mystik herzustellen.
Das holographische Weltbild, wie es Bohm und Pribam beschreiben,
markiert den Höhepunkt eines Trends in den Naturwissenschaften.
Seit der Quantenrevolution hat eine Reihe von Forschern immer
wieder Parallelen zwischen ihren Forschungsergebnissen und mystisch-transzendenten
Religionen entdeckt. "Heisenberg, Bohr, Schrödinger,
Eddington, Jeans, ja selbst Einstein bekannten sich zu einer
mystisch-spirituellen Weltanschauung."5
Physiker wie Capra versuchten in der Verbindung physikalischer
Forschungsergebnisse mit religiösen Weltbildern eine Abkehr
von einem objektivistisch determinierten Weltbild, der Physiker
und Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend hat engagiert gegen
die Dominanz von etablierten Methodologien gestritten, die auf
der Allgemeingültigkeit des westlich geprägten Rationalismus
bestehen, und Alan Watts nutzte die moderne physikalische und
die Systemtheorie dafür, in einer stark vereinfachenden
Form Buddhismus und Taoismus zu erklären. Es gibt zahlreiche
Argumente pro und kontra dieses neue Weltbild, das auf verschiedene
Weise interpretiert werden kann. "Doch ganz gleich",
meint Wilber, "ob man dem neuen Paradigma zustimmt oder
nicht - eine Schlußfolgerung ergibt sich ganz unverkennbar:
Die neue Naturwissenschaft schafft zumindest breiten Spielraum
für das Spirituelle".6 Insofern ist
sie näher an Kunstpraxis und Kunstrezeption, als an objektivierend
analytischer Kunstwissenschaft.