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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Holographisches Universum in Analogie zu buddhistischem Denken

 

Die Abwesenheit von Denken erfährt eine Analogie im buddhistischen Begriff der Leerheit. Das, was Bohm Einsicht nennt, wird dort Weisheit genannt. Diese Analogien sind nicht zufällig, denn das holistische Weltbild des Physikers Bohm weist deutliche Analogien zum östlichen Denken, vor allem zum Mahayana-Buddhismus auf, mit dem Bohm sich wohl eingehend beschäftigt hat, denn sein spiritueller Mentor war Krishnamurti.1 Einige Analogien des buddhistischen und Bohmschen Weltbildes seien hier kurz skizziert.

Grundsätzlich ist das buddhistische Denken dynamistisch und erkennt in allem ein Werden, einen Prozeß konditionalen Entstehens.2 Das hat Auswirkungen auf das Betrachten und Beurteilen aller Phänomene. "Westliches Denken, auf Abgrenzung und scharfe Konturen bedacht, fragt zuerst nach den Unterschieden, östliches Denken nach dem Gemeinsamen".3

Die Begrenztheit, die Bohm dem Denken zuspricht, hat ihre Parallele im buddhistischen Verständnis des Wissens, das sich im Endlichen bewegt, während Weisheit (das, was Bohm Einsicht nennt) ins Un-Endliche reicht. Weisheit hat Leerheit zum Inhalt "und läßt sich, grenzenlos wie sie ist, mit dem Verstand nicht verwirklichen: Denken hat zur Weisheit keinen Zugang ... Wissen ist eine Sache des Intellekts; es stellt sich in Begriffen dar und enthält Urteile über falsch und richtig, für und wider, also Ausschließungen, so daß es nur Bruchstücke der Wirklichkeit erfassen kann. Weisheit aber ist ein Gegensätze transzendierendes Einswerden mit der Wirklichkeit alles Daseienden, etwas Erlebnishaftes, das nach Abwerfen rationaler Beschränkungen, aller Ansichten und Lehren erfahren wird. Sie wird als 'All-Wissenheit' ... definiert und steht im Mahayana synonym für 'Erleuchtung'".4

Der Buddhismus unterscheidet Alltagssprache, in der die Dinge in ihrer Verschiedenheit angesprochen werden, von einer Sprache, die die Ununterschiedenheit alles Daseienden zum Thema hat. Das Absolute kann intellektuell und mit der Alltagsvernunft nicht erfaßt werden, das kann nur transzendente Weisheit. Die Sprache der transzendenten Weisheit will die Wirklichkeit gesamtheitlich erfassen und oszilliert deshalb zwischen Bejahung und Verneinung: Die Dinge sind für uns empirisch existent, zugleich sind sie Schein. Bohm hat Materie als 'Kräuselwelle auf einem unendlichen Ozean von Energie' beschrieben. Gegenüber der impliziten Ordnung hielt er die konkrete Realität unserer alltäglichen Erfahrung für eine Illusion.

In Bohms Entwurf ist das Quantenpotential (das Vakuum mit seiner unendlichen Energie) der Urgrund der Holobewegung, im Buddhismus ist die Leerheit ohne Akzidentien das Allumfassende, in dem alle Trennungen aufgehoben und alle Vielheiten annulliert sind. "Alle Wesen sind Leerheit, und da diese unteilbar ist, sind sie miteinander identisch."5 Nach dem buddhistischen Wiedergeburtsgedanken ist das Leben zwischen Sein und Nichtsein die Mitte, nämlich ständiges Werden. Die Dinge und die Menschen haben keine Eigennatur, sie sind leer. "Es gibt kein Ding an sich hinter den Erscheinungen, überall ist Leerheit ..., ja man kann die Leerheit als die Eigennatur der Dinge bezeichnen ... Eine Welt mit Eigennatur wäre eine ewige, steinerne Welt, eine Welt des stagnanten Seins, aber nicht des Lebens, denn Leben ist Fließen und Wandlung."6 Die Annahme, daß Dinge eine eigenständige Substanz besäßen, daß Subjektivität existiere oder eine Seele, ist im buddhistischen Denken eine Illusion. Die Alltagssprache bewegt sich im Illusionären, Leerheit kann nur ganzheitlich durch Weisheit und Meditation erlebt werden.

Das Bild, das Bohm von dem sich nach und nach manifestierenden Tintentropfen entwirft, der uns nur so erscheint, als sei er getrennt von seinem Urgrund, und den Bohm für eine partielle Manifestation des Gesamten hält, findet eine Analogie im buddhistischen Wiedergeburtsgedanken. Der Buddhismus verwirft den Gedanken an eine Substanz ebenso wie den Gedanken an eine Seele. Es gibt nicht ein Etwas, das wiedergeboren wird, sondern die Kontinuität der Kette von Wiedergeburten liegt im Konditionismus der Daseinsformen.7 Bewußtsein wird nicht als Erscheinungsweise einer (ewigen) Seele verstanden, sondern als Anstoß, der im Schoß der künftigen Mutter als ein Katalysator wirkt, der im Endprodukt - dem Kind - nicht mehr enthalten ist. Das als Anstoß gedachte Bewußtsein ist gleichsam etwas drittes zwischen zeugendem Vater und empfangender Mutter, es veranlaßt die Entwicklung des Embryos, ohne selbst in ihn einzugehen.8 Die künftige Existenz ist eine andere als die vorhergehende, sie ist aber auch nicht völlig von ihr verschieden, denn jede Existenzform ist von ihrer Präexistenz bedingt und geprägt. "Zwischen Identität und Isoliertheit liegt die Wahrheit in der Mitte: In der konditionalen Abhängigkeit",9 die ihren Ursprung in der Leerheit hat. Bohm nahm das Subtilere als Quelle an, der alles Manifeste entstammt. Er meinte, das Subtilere könne das weniger Subtile transformieren. Wie sich die Wellenbewegung in einem Seil fortpflanzt, ohne daß sich die Teile des Seils fortbewegen, so ist in Bohms Interpretation der Quantenphysik das Quantenpotential das, was die Bewegungen der Teilchen anschiebt.10

In Bohms Universum ist alles mit allem verflochten. Im Einklang mit Krishnamurti nimmt Bohm an, daß Einsicht Einfluß auf die Materie nehmen kann, so wie die transzendenten Buddhas auf die irdischen Buddhas.11 "Wir könnten annehmen, daß es eine Art Einsicht gibt, die sich aus dieser unbekannten Totalität erhebt und unmittelbar auf die Gehirnmasse einwirkt, entweder auf der subtilen nichtmanifesten oder vielleicht auch auf der manifesten Ebene. Wahrscheinlicher wirkt sie im subtilen Nichtmanifesten, das dann das Manifeste verändert. Die Materie des Gehirns kann sich also verändern und durch Einsicht in Ordnung gebracht werden. Und in diesem Fall ändert sich auch das Denken, nicht durch den Vorgang des Denkens, nicht durch vernünftiges Abwägen; vielmehr findet im Denken eine unmittelbare Veränderung statt."12

Es ist hier nicht der Ort, die Glaubwürdigkeit von Bohms Ausführungen in physikalisch-philosophischen Zusammenhängen zu beurteilen. Vielmehr dienen sie im Zusammenhang mit der Holographie und den holographischen Installationen Boissonnets als Analogie zu einem Kunstverständnis, das sich nicht in der illustrierenden Wiedergabe von Begrifflichem erschöpft, sondern vielmehr erst im und durch den erlebnishaften Vollzug der Rezeption 'Sinnspuren' aufscheinen läßt - die gleichwohl bis zu Bohms Modell reichen können. Das kann man als Vermittlungsstrategie begreifen, durch die nichtbegriffliches Potential deutlich werden soll, doch nicht - denn das führte jenes Potential zugleich wieder ad absurdum - erklärt. Bohms Modell verdeutlicht auch dies.


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1 Vgl. Capra, 1987, S. 66f.
Krishnamurti (1897-1986) war ein südindischer Brahmane. Er wurde sowohl als wiederkehrender Christus als auch als Maitreya (kommender Buddha) bezeichnet, legte diesen Titel jedoch 1929 nieder. Krishnamurti verkündete eine pantheistische Erkenntnis von Welt und Gott.

2 Vgl. Schumann, 1993, S. 73.

3 Schumann, 1993, S. 136.

4 Schumann, 1993, S. 174.

5 Schumann, 1993, S. 147.
Aus dem Identitätserlebnis, meint Schumann, rühre die Gefühlswärme, die für den Mahayana-Buddhismus kennzeichnend ist.

6 Schumann, 1993, S. 197.

7 Schumann verbildlicht diesen Gedanken mit der Vorstellung einer Reihe von Billardkugeln. Es genügt, eine Kugel anzustoßen, um die nächste Kugel in Bewegung zu versetzen - und so fort. (Vgl. Schumann, 1993, S. 87.)

8 Vgl. Schumann, 1993, S. 94.

9 Schumann, 1993, S. 96f.

10 Die Drei-Leiber-Lehre im Mahayana-Buddhismus unterscheidet Grobstoffliches von Feinstofflichem. Die vollendetste Stufe, der Dharmakaya, ist nur den Erleuchteten zugänglich, er ist jedoch allen Buddhas gemeinsam. Die irdischen Buddhas sind grobstofflicher Natur, über ihnen stehen solche überirdisch-feinstofflicher Natur, die transzendenten Buddhas. Transzendent heißt, daß sie nicht mit den Sinnesorganen wahrgenommen werden können, sondern nur spirituell erfahrbar sind. Der fortgeschrittene Bodhisattava erschaut sie als strahlende Wesenheiten. Es gibt unzählige irdische Buddhas, zahlreiche transzendente Buddhas, doch durch alle Zeiten nur ein Dharmakaya. Der Dharmakaya kann nicht mit Worten umrissen werden, er ist ohne Kennzeichen und auch nicht durch Negationen anzudeuten. Er ist die absolute Wirklichkeit, neben der keine andere Wirklichkeit existiert. (Das Dharmakaya wurde im 6. oder 7. Jahrhundert als Urbuddha personifiziert, das bot die Möglichkeit, das Buddhaprinzip in Skulptur und Malerei künstlerisch darzustellen. (Vgl. Schumann, 1993, S. 155.)) Obgleich der von Akzidentien freie Dharmakaya nur Erleuchteten einsichtig ist, haben "auch weniger perfekte Wesen die Möglichkeit ihn zu erleben. Je nach dem Grade ihrer Vollkommenheit erschauen sie ihn in feinstofflicher Erscheinungsform als Sambhogakaya oder in grobstofflicher Sichtbarwerdung als Nirmanakaya." (Schumann, 1993, S. 155.) Der Drei-Leiber-Lehre immanent ist die innere Einheit der drei Aspekte. Entscheidend ist, daß prinzipiell alle Ebenen allen zugänglich sind.

11 Die transzendenten Buddhas können Einfluß nehmen auf die materielle Welt, beispielsweise, indem sie durch Meditation die irdischen Buddhas in die Welt projizieren. Zudem haben die transzendenten Buddhas zum Teil irdische Präexistenzen.

12 Bohm, 1988, S. 73f.
Für Bohm liegt hier der ethische (der buddhistischen Ethik verwandte) Aspekt der impliziten Ordnung begründet. Die holographische Theorie schließt die Vermutung ein, daß harmonische Zustände näher an den Urzustand der Wirklichkeit reichen, an eine Dimension von Ordnung. Eine solche Ordnung, eine Kohärenz im Sinne von Gleichklang, wird durch Ärger und Furcht behindert, durch Liebe und Einfühlungsvermögen aber erleichtert.


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