Holobewegung
Im Hologramm sah Bohm eine noch treffendere Metapher für
seine Gedanken: "Wie der im Glyzerin verteilte Tintentropfen
erscheinen die Interferenzmuster, die ein holographischer Film
aufzeichnet, dem bloßen Auge ungeordnet. Doch beide besitzen
Ordnungen, die weitgehend auf die gleiche Weise verborgen oder
verhüllt sind".1 In Bohm wuchs die
Überzeugung, daß das Universum nach holographischen
Prinzipien funktioniert, ja, daß es selbst etwas wie ein
ständig im Fluß befindliches Riesenhologramm ist.2 Ein Hologramm ist ein fixiertes Abbild eines
elektromagnetischen Feldes, das ein Zustand der Bewegung ist.
"Ich nenne das die Holobewegung ... Auch Elektronenstrahlen
können dasselbe bewirken, oder Klangwellen können Hologramme
erzeugen. Jede Form von Bewegung könnte ein Hologramm erzeugen.
Wir wollen eine undefinierte Totalität von Bewegungen, Holobewegung
genannt, in Betracht ziehen und sagen: Die Holobewegung ist der
Urgrund dessen, was manifest ist... Und das, was manifest ist,
ist gleichermaßen abstrahiert und schwimmt in der Holobewegung.
Die grundlegende Bewegung der Holobewegung ist Einfalten und
Entfalten. Ich behaupte, das gesamte Sein ist im Grunde sich
in relativ stabiler Form manifestierende Holobewegung."3 In Bohms Denkmodell sind Elektronen keine Elementarteilchen,
sondern bestimmte Aspekte der Holobewegung. Subatomare Teilchen
sind nicht voneinander getrennt, sondern Teil eines Kontinuums.
Überhaupt ist die Unterteilung der verschiedenen Aspekte
der Holobewegung in Dinge stets eine Abstraktion. Alle Erscheinungsformen
im Universum sind das Ergebnis unzähliger Verhüllungen
und Enthüllungen. Ein Elektron ist nicht ein Einzelding,
sondern eine Totalität, die sich im gesamten Weltraum verhüllt.
"Wenn ein Instrument ein einzelnes Elektron aufspürt,
dann nur deshalb, weil sich ein Aspekt des Elektronenensembles
an diesem bestimmten Ort enthüllt, ähnlich wie ein
Tintentropfen in Glyzerin sichtbar wird. Und wenn sich ein Elektron
zu bewegen scheint, so ist das auf eine zusammenhängende
Folge solcher Enthüllungen und Verhüllungen zurückzuführen."4 Gegenüber der impliziten Ordnung ist die
konkrete Realität unserer alltäglichen Erfahrung eine
Illusion. "Ihr zugrunde liegt eine tiefere Seinsordnung,
eine unermeßliche und ursprünglichere Wirklichkeitsebene,
die alle Objekte und Erscheinungen unserer physischen Welt auf
ganz ähnliche Weise hervorbringt, wie ein holographischer
Film ein Hologramm erzeugt."5 Hier festzuhalten
ist, daß Bohm nicht glaubt, die implizite Ordnung im Hologramm
wiederzufinden, sondern daß er das Hologramm als eine mögliche
Metapher begreift für eine umfassende Denkweise.
Der eingefalteten Ordnung gehört alles an. Alle Materie
und alles Mentale. Bewußtsein und Materie sind Aspekte
der Holobewegung, die sich nur durch den unterschiedlichen Grad
an Subtilität unterscheiden. "Deshalb ist Bewußtsein
nicht eine und Materie eine andere Sache. Bewußtsein ist
vielmehr ein materieller Prozeß, befindet sich wie alle
Materie in der eingefalteten Ordnung und manifestiert sich in
irgendeiner entfalteten Ordnung ... Möglicherweise ist Bewußtsein
eine subtilere Form von Materie und Bewegung, ein subtilerer
Aspekt der Holobewegung."6 Bewußtsein
ist in unterschiedlichen Graden der Verhüllung und Enthüllung
in der gesamten Materie gegenwärtig, das ist vielleicht
der Grund dafür, daß Plasmen einige Merkmale von Lebewesen
haben. "Die Fähigkeit der Form, aktiv zu sein, ist
das charakteristischste Kennzeichen des Geistes, und bereits
im Elektron haben wir etwas, das geistähnlich ist."7 Die Einteilung des Universums in lebendige und
leblose Dinge hält Bohm für bedeutungslos. Beide sind
untrennbar ineinander verwoben. Leben und Intelligenz stecken
nicht allein in der gesamten Materie, sondern auch in Energie,
Raum und Zeit.
Das Denken und alles, was dem Denken in irgendeiner Weise zugänglich
ist, versteht Bohm als materiell. Innerhalb des Materiellen existieren
Abstufungen. Das Mentale ist subtiler und feinstofflicher, als
das grobstoffliche Manifeste. Alles was jenseits des Materiellen
liegt, können wir gedanklich nicht fassen, denn die Reichweite
des Denkens ist beschränkt. Zugänglich ist das, was
jenseits des Denkens liegt, der Einsicht. Einsicht erfordert
die Abwesenheit von Denken: "Ich möchte behaupten,
daß man das, was jenseits des Denkens liegt, nur wahrnehmen
kann, wenn Denken tatsächlich nicht da ist."8
Bohm bietet keine einfache Lösung an, wie eine Weltwahrnehmung
aussehen könnte, in der das Kognitive abwesend ist; ist
westlichem Verständnis doch schon die Abwesenheit von 'Denken'
kaum vorstellbar. Doch er weist, und das hat er mit Boissonnet
gemein, auf die Grenzen und Beschränktheiten kognitiv reflexiven
Denkens.