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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Holobewegung

 

Im Hologramm sah Bohm eine noch treffendere Metapher für seine Gedanken: "Wie der im Glyzerin verteilte Tintentropfen erscheinen die Interferenzmuster, die ein holographischer Film aufzeichnet, dem bloßen Auge ungeordnet. Doch beide besitzen Ordnungen, die weitgehend auf die gleiche Weise verborgen oder verhüllt sind".1 In Bohm wuchs die Überzeugung, daß das Universum nach holographischen Prinzipien funktioniert, ja, daß es selbst etwas wie ein ständig im Fluß befindliches Riesenhologramm ist.2 Ein Hologramm ist ein fixiertes Abbild eines elektromagnetischen Feldes, das ein Zustand der Bewegung ist. "Ich nenne das die Holobewegung ... Auch Elektronenstrahlen können dasselbe bewirken, oder Klangwellen können Hologramme erzeugen. Jede Form von Bewegung könnte ein Hologramm erzeugen. Wir wollen eine undefinierte Totalität von Bewegungen, Holobewegung genannt, in Betracht ziehen und sagen: Die Holobewegung ist der Urgrund dessen, was manifest ist... Und das, was manifest ist, ist gleichermaßen abstrahiert und schwimmt in der Holobewegung. Die grundlegende Bewegung der Holobewegung ist Einfalten und Entfalten. Ich behaupte, das gesamte Sein ist im Grunde sich in relativ stabiler Form manifestierende Holobewegung."3 In Bohms Denkmodell sind Elektronen keine Elementarteilchen, sondern bestimmte Aspekte der Holobewegung. Subatomare Teilchen sind nicht voneinander getrennt, sondern Teil eines Kontinuums. Überhaupt ist die Unterteilung der verschiedenen Aspekte der Holobewegung in Dinge stets eine Abstraktion. Alle Erscheinungsformen im Universum sind das Ergebnis unzähliger Verhüllungen und Enthüllungen. Ein Elektron ist nicht ein Einzelding, sondern eine Totalität, die sich im gesamten Weltraum verhüllt. "Wenn ein Instrument ein einzelnes Elektron aufspürt, dann nur deshalb, weil sich ein Aspekt des Elektronenensembles an diesem bestimmten Ort enthüllt, ähnlich wie ein Tintentropfen in Glyzerin sichtbar wird. Und wenn sich ein Elektron zu bewegen scheint, so ist das auf eine zusammenhängende Folge solcher Enthüllungen und Verhüllungen zurückzuführen."4 Gegenüber der impliziten Ordnung ist die konkrete Realität unserer alltäglichen Erfahrung eine Illusion. "Ihr zugrunde liegt eine tiefere Seinsordnung, eine unermeßliche und ursprünglichere Wirklichkeitsebene, die alle Objekte und Erscheinungen unserer physischen Welt auf ganz ähnliche Weise hervorbringt, wie ein holographischer Film ein Hologramm erzeugt."5 Hier festzuhalten ist, daß Bohm nicht glaubt, die implizite Ordnung im Hologramm wiederzufinden, sondern daß er das Hologramm als eine mögliche Metapher begreift für eine umfassende Denkweise.

Der eingefalteten Ordnung gehört alles an. Alle Materie und alles Mentale. Bewußtsein und Materie sind Aspekte der Holobewegung, die sich nur durch den unterschiedlichen Grad an Subtilität unterscheiden. "Deshalb ist Bewußtsein nicht eine und Materie eine andere Sache. Bewußtsein ist vielmehr ein materieller Prozeß, befindet sich wie alle Materie in der eingefalteten Ordnung und manifestiert sich in irgendeiner entfalteten Ordnung ... Möglicherweise ist Bewußtsein eine subtilere Form von Materie und Bewegung, ein subtilerer Aspekt der Holobewegung."6 Bewußtsein ist in unterschiedlichen Graden der Verhüllung und Enthüllung in der gesamten Materie gegenwärtig, das ist vielleicht der Grund dafür, daß Plasmen einige Merkmale von Lebewesen haben. "Die Fähigkeit der Form, aktiv zu sein, ist das charakteristischste Kennzeichen des Geistes, und bereits im Elektron haben wir etwas, das geistähnlich ist."7 Die Einteilung des Universums in lebendige und leblose Dinge hält Bohm für bedeutungslos. Beide sind untrennbar ineinander verwoben. Leben und Intelligenz stecken nicht allein in der gesamten Materie, sondern auch in Energie, Raum und Zeit.

Das Denken und alles, was dem Denken in irgendeiner Weise zugänglich ist, versteht Bohm als materiell. Innerhalb des Materiellen existieren Abstufungen. Das Mentale ist subtiler und feinstofflicher, als das grobstoffliche Manifeste. Alles was jenseits des Materiellen liegt, können wir gedanklich nicht fassen, denn die Reichweite des Denkens ist beschränkt. Zugänglich ist das, was jenseits des Denkens liegt, der Einsicht. Einsicht erfordert die Abwesenheit von Denken: "Ich möchte behaupten, daß man das, was jenseits des Denkens liegt, nur wahrnehmen kann, wenn Denken tatsächlich nicht da ist."8 Bohm bietet keine einfache Lösung an, wie eine Weltwahrnehmung aussehen könnte, in der das Kognitive abwesend ist; ist westlichem Verständnis doch schon die Abwesenheit von 'Denken' kaum vorstellbar. Doch er weist, und das hat er mit Boissonnet gemein, auf die Grenzen und Beschränktheiten kognitiv reflexiven Denkens.


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1 Talbot, 1992, S. 57.

2 Bohm veröffentlichte die ersten Aufsätze über sein holographisches Bild des Universums in den frühen siebziger Jahren. 1980 legte er mit 'Wholeness and the Implicated Order' ein Destillat seiner Gedanken vor.

3 Bohm, 1988, S. 56f.

4 Talbot, 1992, S. 58.

5 Talbot, 1992, S. 57.

6 Bohm, 1988, S. 68f.

7 Bohm, zit. nach: Talbot, 1992, S. 61.

8 Bohm, 1988, S. 73.


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