Karl Pribram: Hirnphysiologie und Holographie
Die Annahme, daß Erinnerungen möglicherweise delokalisiert
gespeichert werden, ist nicht neu. Der Hirnforscher Karl Pribram
hat seit Mitte der sechziger Jahre versucht, aus der Weise der
Erinnerungsspeicherung die umfassende Theorie eines holographisch
arbeitenden Gehirns und letztlich eines holographischen Universums
abzuleiten. Pribram arbeitete zu Beginn seiner Karriere unter
Karl Lashley, der dreißig Jahre nach dem Sitz und der Substanz
der Erinnerung, dem 'Engramm', forschte. Lashley trainierte Versuchtstiere
und zerstörte dann selektiv Teile des Gehirns, wobei er
annahm, irgendwann jene Stelle erwischen zu können, in der
das Gelernte gespeichert ist. Diese operativen Eingriffe verschlechterten
zwar die Leistungen der Versuchstiere, doch es war unmöglich,
das zu löschen, was man sie gelehrt hatte. Es schien, daß
das Erinnerungsvermögen nicht an einer einzelnen Stelle
sich befindet, sondern über das ganze Gehirn verteilt ist.
Pribram, der sich später dem Studienzentrum für Verhaltenswissenschaft
in Stanford anschloß, wurde Mitte der sechziger Jahre mit
den Prinzipien der Holographie bekannt. Hologramme stellen einen
Schnappschuß von interferierenden Energiefeldern dar, und
die holographische Platte speichert Informationen nicht lokal,
sondern über die gesamte Platte verteilt. Die Tatsache,
daß man mit jedem beliebigen Stück eines Hologramms
der 1. Generation das Ganze rekonstruieren kann, verführte
Pribram dazu, holographische Informationsspeicherung als Modell
für das Erinnerungsvermögen des Gehirns zu verwenden:
Das Gedächtnis scheint verteilt zu sein, und vielleicht
interpretiert es durch und durch bioelektrische Frequenzen. Pribram
veröffentlichte 1966 eine erste Abhandlung, die den Zusammenhang
von holographischer Speicherung und Hirnaktivitäten postulierte.
Als Dennis Gábor anfing, sein Holographiekonzept zu entwickeln,
war sein Ziel die Verbesserung des Elektronenmikroskops. Sein
Ansatz war mathematisch, und die Mathematik die er benutzte,
war ein Rechenmodus, den der Franzose Jean B. Fourier im 18.
Jahrhundert erfunden hatte. Fouriers Verfahren erlaubt, jedes
beliebige Muster, so komplex es auch sein mag, in eine Sprache
einfacher Wellenformen umzuwandeln. Zudem wies er nach, wie sich
diese Wellenformen wieder in das ursprüngliche Muster zurückverwandeln
lassen. Die von Fourier entwickelten Gleichungen - die Fourier-Transformationen
- ermöglichten Gábor, das Bild eines Objekts in Interferenzmuster
umzusetzen, aufzuzeichnen und zu rekonstruieren. Gestützt
auf experimentelle Ergebnisse der Neurophysiologie nahm Pribram
an, das visuelle System reagiere auf Frequenzen, die in der Fourierschen
Sprache erläutert werden könnten. Der visuelle Kortex,
meinte Pribram, reagiere nicht auf Muster, sondern auf Frequenzen
unterschiedlicher Wellenformen. Gestützt wurde diese Annahme
dadurch, daß bereits Helmholtz nachgewiesen hatte, daß
das Ohr ein Frequenzanalysator ist.1
Pribram nahm an, daß das Gehirn in seinem Netzwerk Erinnerungen
als ein Muster speichere, das ihre Dechiffrierung ermögliche,
so wie das feine Netz von Interferenzmustern im Hologramm die
Rekonstruktion des aufgezeichneten Objekts ermöglicht.2 Pribrams Theorie besagt im wesentlichen, "daß
das Gehirn in einem bestimmten Stadium der Verarbeitung Analysen
im Frequenzbereich vornimmt. Das geschieht an den Verbindungsstellen
zwischen Neuronen, nicht in den Neuronen. Für diese
analytische Tätigkeit sind also die graduellen Zu- und Abnahmen
neuraler Potentiale (Wellen) verantwortlich und nicht Nervenimpulse.
Nervenimpulse werden innerhalb von Neuronen erzeugt und dienen
dazu, die Signale ... mittels langer Nervenfasern über weite
Entfernungen zu übermitteln. An den Enden dieser Nervenfasern
werden abgestufte lokale Potentialveränderungen, Wellen,
gebildet... Einige Neuronen ... funktionieren vor allem im Bereich
der abgestuften Wellen und sind speziell für die horizontalen
Querverbindungen in Schichten des Nervengewebes verantwortlich.
Es sind diese Verknüpfungen, in denen holographie-ähnliche
Interferenzmuster zustande kommen können."3
Pribram nahm an, daß sich der sensorische Input als Veränderung
im Aufbau der Proteine auf den Membranoberflächen niederschlage
und zu Gedächtnisspuren verschlüsselt werde. Die Proteinmoleküle,
meinte Pribram, bildeten das Hologramm.