Wirkung der Auren
Die Lichtlinien um die Figuren erzeugen eine Wirkung, die
gemalten Gegenlichtsituationen nicht unähnlich ist. Doch
der Versuch, dieses Phänomen mit der mitgebrachten Erfahrungswelt
der Betrachter in Deckung zu bringen, führt dazu, im rezeptionsästhetischen
Sinne Unbestimmtes mit etablierten Interpretationsmustern zu
normalisieren. Das Phänomen wird dann zum Spiegel bereits
vollzogener Erfahrungen, seine künstlerische Qualität
verlischt.1
Die Lichterscheinungen in In-Between sind nur in holographischem
Sinne abbildend, eher den schwer einzuordnenden Licht- und Farbphänomenen
Monets vergleichbar als den abgebildeten Lichtsituationen im
Panorama. Gegenüber den schattenhaft dunklen Körpern
scheinen die farbigen Ringe wirklicher zu sein. Sind sie auch
nicht im vertrauten Sinne abbildend, im Sinne des holographischen
Paradigmas, wie es unten erläutert werden wird, legen sie
- ohne bloß illustrativ zu sein - eine Spur aus zu einem
Wirklichkeitsverständnis, das sich als Erweiterung einer
utilitaristischen Alltagserfahrung fassen läßt und
das, wie zu zeigen sein wird, in der erlebnishaften Rezeption
der Hologramme eine Entsprechung findet. Das holographische Paradigma
ist hierfür analogiehafte Entsprechung im Bereich eines
Naturwissenschaftsverständnisses, das nach der Entsprechung
physikalischer Erkenntnisse in Erfahrungs- und Denkprozessen
fragt.
Fragt man nach der Medienangemessenheit der Arbeit, so ist sie
hier mehr als in vielen anderen abbildenden Hologrammen verwirklicht.2 Was hier geschieht, ist in Begriffen der Rezeption
traditioneller oder anderer technischer Medien nicht zu fassen,
denn nichts ist eindeutig beschreibbar und objektivierbar. Neben
dem, was auf der ikonographischen Ebene dargestellt ist, zeigt
sich hier - wie schon in der Inszenierung der Platten - die ausgezeichnete
Rolle des Betrachters. Der Betrachter verändert durch seine
Bewegungen die Erscheinung der Hologramme. Diese Erscheinungen
und Veränderungen sind ganz an ihn gebunden und nicht teilbar
(höchstens mitteilbar), denn "beim Betrachten eines
Hologramms bewirkt die kleinste Veränderung des Betrachtungswinkels
eine Wahrnehmung, die von der unseres Nachbarn verschieden ist,
egal wie nah er oder sie sein mögen."3
Der Betrachter bewirkt die je einzigartige Erscheinung der Bilder,
zugleich wird die Choreographie seiner Bewegungen durch die Komposition
der Bilder beeinflußt. Hier setzt sich auf einer tieferen
Ebene fort, was die Beleuchtungseinrichtung verdeutlicht: die
Interaktivität der Installation.
In der Rede von der holographischen Erscheinung, die ich oben
erläutert habe, scheint die besondere Natur jener Bilder
auf, die keine Bilder sind, denn sie erscheinen an keinen materiellen
Träger gebunden, und ihre Komposition ist nahezu unabhängig
vom Format der holographischen Tafeln.4 Sie
erscheinen skulptural und sind doch keine Skulpturen, denn sie
sind nicht taktil erfaßbar und nicht der Schwerkraft unterworfen.
Die Bildelemente bewegen sich gegeneinander, überlagern
und durchdringen sich, doch immer abhängig von der räumlichen
Relation zwischen Betrachter, Beleuchtung und Film; es ist keine
filmische Bewegung mit vorgegebener Choreographie, die vor den
Betrachtern abläuft. Die Holographie hat Aspekte mit Malerei,
Fotografie, Skulptur und Film gemein, doch immer in modifizierter
Weise. Vielleicht, meint Boissonnet, "sind es die interdisziplinäre
Natur der Holographie und ihre Überlappung mit bereits von
anderen Medien besetzen Gebieten, die es so schwierig machen,
die Einzigartigkeit der Holographie zu definieren. Doch wenn
wir aufhören in der Fotografie entlehnter Begrifflichkeit
über die Holographie nachzudenken, und stattdessen beginnen
darüber nachzudenken, wie holographische Bilder die Wahrnehmung
von Zeit und Raum bilden, dann wird die Holographie nachdrücklich
die Relativität, Instabilität, Immaterialität
und Komplexität des Realen betonen. Dies würde die
Holographie (zusammen mit elektronischer Kunst und anderen interaktiven
Formen der Kunst) zu einem der relevantesten Medien machen für
die Evolution des wissenschaftlichen und philosophischen Denkens
zu Beginn des 21. Jahrhunderts."5
Boissonnets Bewertung der Holographie, die zugleich die konzeptuelle
Basis bildet für sein künstlerisches Werk, wird erst
verständlicher, wenn man etwas tiefer eintaucht in die neurophysiologischen
und physikalischen Modelle, die Naturwissenschaftler, ausgehend
von Erkenntnissen der neuen Physik, im Zusammenhang mit der Holographie
entwickelt haben. Schwebender Kern dieser Modelle ist die Absage
an lineare Zeitlichkeit und an die feste Ortsgebundenheit von
Geschehnissen, nichts weniger also als der raumzeitliche Zusammenhang
der Dinge. Die Weise, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, soll
hier erste Hinweise liefern.