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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Die Auren

 

Die Schattenkörper der Frau und des Mannes im zweiten Hologramm sind umgeben von feinen farbigen Ringen, und sie erscheinen vor und in einem nicht genau definierbaren Raum, der gleichfalls von lichthaften Ringen gebildet wird (Abb. 34) . Im Grunde handelt es sich hier um - teils mit Absicht herbeigeführte - Aufzeichnungsfehler, die mit den wellenoptischen Grundlagen der Holographie erklärt werden können.

Hologramme sind fixierte Abbilder von Wellenbewegungen. Zu den Voraussetzungen für die Aufzeichnung von Hologrammen gehört, daß die durch die Überlagerung der Wellenfelder sich ausbildenden Interferenzmuster zeitlich und räumlich stabil bleiben. Die Objekte dürfen sich während der manchmal Minuten dauernden Belichtungszeit nicht bewegen. Die Subtilität und Feinheit des aufzunehmenden Hell-Dunkel-Musters sind der Grund dafür: Die Größe der in diesen Mustern vorhandenen Details liegt ungefähr zwischen 1 und 0,1 Mikrometern (1 Mikrometer = 1/1000 mm). Um ein Hologramm aufnehmen zu können, müssen die Teile der Aufnahmeapparatur und das Objekt fixiert werden. Schon bei Bewegungen im Bereich von Bruchteilen von Mikrometern verwischen sich die feinen Hell-Dunkel-Konturen auf dem Film. "Die holographische Information geht dann verloren, und man erhält nicht etwa ein unscharfes Bild, sondern gar keines. Bewegungen in der eben angegebenen Größenordnung sind mit dem bloßen Auge gar nicht erkennbar. Erschütterungen durch Umherlaufen, Straßenverkehr und durch laute Musik in Nebenräumen reichen aus, um Hologrammaufnahmen unmöglich zu machen."1
Auch Wärmeentwicklung erzeugt Luftbewegungen. Für die Aufnahmen zum zweiten Hologramm haben sich Boissonnet und sein Modell nacheinander vor die Fotoplatte gelegt.2 Daß die Körper im Hologramm als Schatten erscheinen, liegt auch daran, daß sie sich während der Belichtungszeit minimal bewegt haben, dadurch haben sie 'Löcher' im Interferenzmuster erzeugt. Zugleich strahlten die Körper während der drei Sekunden dauernden Belichtungszeit Wärme ab. Dadurch gerieten die Luftschichten um sie in thermische Bewegung. Diese minimale Bewegung war stark genug, um die Ausbildung der Interferenzmuster zu beeinflussen. Die thermischen Bewegungen erscheinen im fertigen Hologramm als aureolen- und streifenartige Abstrahlung der Körper. Die Abstrahlungen bewegen sich von links nach rechts, da das Modell, das später nach rechts gewandt aufrecht erscheint, während der Aufnahme auf dem Rücken lag, und Boissonnet, der später nach links gewandt aufrecht erscheint, mit dem Gesicht nach unten. Die Körperwärme stieg jeweils nach oben und wird nun sichtbar als nahezu waagrecht fließende strahlenartige Erscheinung. Am deutlichsten zu sehen ist ein Lichtstrom, der von der Stirn der Frau ausgeht und sich bis über Gesicht und Kopf des Mannes zieht.

Zu den Lichtlinien um die Schattenfiguren treten annähernd konzentrische Lichtkreise im Hintergrund. Diese Lichterscheinungen entsprechen ungefähr den Phänomenen, wie sie in der Interferometrie 3 zutage treten. Die Muster waren nicht beabsichtigt, sondern, so Boissonnet, glücklicher Zufall. Sie kamen wohl zustande durch die Überlagerung der Hintergründe während der Mehrfachbelichtungen im zweiten Schritt der Herstellung des Hologramms, oder sie resultieren eventuell aus der Bewegung eines der Elemente - wohl des Films, mit dem der Frauenkörper aufgezeichnet wurde - während der Aufnahme. Die Umraumerscheinungen und die ringförmigen Abstrahlungen der Körper liegen auf verschiedenen, fließend miteinander verbundenen räumlichen Ebenen. Die Wellenerscheinungen verändern sich mit den verschiedenen Positionen, die Betrachter vor der Platte einnehmen können. Sie verändern, da die Platten schräg im Raum stehen, ihre Farbigkeit mit dem Abstand von der Platte. Mit der seitlichen Bewegung vor der Platte scheinen sich nicht nur die Schatten zu bewegen. Zugleich verändern sich die Formationen im Umraum, und immer neue Gesamträume erscheinen. Die schlierenartigen Gebilde überlagern aus bestimmten Positionen die Silhouette der Frau, sie bilden moiréartige Muster um die Figur des Mannes. Sie sind nicht nur Hintergrund für die Silhouetten, vielmehr bilden sie einen lichterfüllten Raum, in den sich die Figuren vollständig einfügen und den sie mit ihren Abstrahlungen zugleich bilden. Figur und Grund sind nicht voneinander geschieden, sie stehen in einem Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit.


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1 Heiß, 1988, S. 40f.

2 Regenbogenhologramme können nicht von der Seite beleuchtet werden, daher muß man bei der Aufnahme des Hologramms den Referenzstrahl von oben auf den holographischen Film fallen lassen. Da holographische Aufbauten aber außerordentlich stabil sein müssen, dreht man im allgemeinen das Objekt um 90 Grad und nimmt es auf der Seite liegend auf.

3 Die Interferometrie ist eine holographische Meßtechnik, die auf der Abweichung zweier Zustände von Objekten beruht. Materialverformungen beispielsweise sind an moiréähnlichen Mustern ablesbar.


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