Die Auren
Die Schattenkörper der Frau und des Mannes im zweiten
Hologramm sind umgeben von feinen farbigen Ringen, und sie erscheinen
vor und in einem nicht genau definierbaren Raum, der gleichfalls
von lichthaften Ringen gebildet wird (Abb.
34) . Im Grunde handelt es sich hier um - teils mit Absicht
herbeigeführte - Aufzeichnungsfehler, die mit den wellenoptischen
Grundlagen der Holographie erklärt werden können.
Hologramme sind fixierte Abbilder von Wellenbewegungen. Zu den
Voraussetzungen für die Aufzeichnung von Hologrammen gehört,
daß die durch die Überlagerung der Wellenfelder sich
ausbildenden Interferenzmuster zeitlich und räumlich stabil
bleiben. Die Objekte dürfen sich während der manchmal
Minuten dauernden Belichtungszeit nicht bewegen. Die Subtilität
und Feinheit des aufzunehmenden Hell-Dunkel-Musters sind der
Grund dafür: Die Größe der in diesen Mustern
vorhandenen Details liegt ungefähr zwischen 1 und 0,1 Mikrometern
(1 Mikrometer = 1/1000 mm). Um ein Hologramm aufnehmen zu können,
müssen die Teile der Aufnahmeapparatur und das Objekt fixiert
werden. Schon bei Bewegungen im Bereich von Bruchteilen von Mikrometern
verwischen sich die feinen Hell-Dunkel-Konturen auf dem Film.
"Die holographische Information geht dann verloren, und
man erhält nicht etwa ein unscharfes Bild, sondern gar keines.
Bewegungen in der eben angegebenen Größenordnung sind
mit dem bloßen Auge gar nicht erkennbar. Erschütterungen
durch Umherlaufen, Straßenverkehr und durch laute Musik
in Nebenräumen reichen aus, um Hologrammaufnahmen unmöglich
zu machen."1
Auch Wärmeentwicklung erzeugt Luftbewegungen. Für die
Aufnahmen zum zweiten Hologramm haben sich Boissonnet und sein
Modell nacheinander vor die Fotoplatte gelegt.2
Daß die Körper im Hologramm als Schatten erscheinen,
liegt auch daran, daß sie sich während der Belichtungszeit
minimal bewegt haben, dadurch haben sie 'Löcher' im Interferenzmuster
erzeugt. Zugleich strahlten die Körper während der
drei Sekunden dauernden Belichtungszeit Wärme ab. Dadurch
gerieten die Luftschichten um sie in thermische Bewegung. Diese
minimale Bewegung war stark genug, um die Ausbildung der Interferenzmuster
zu beeinflussen. Die thermischen Bewegungen erscheinen im fertigen
Hologramm als aureolen- und streifenartige Abstrahlung der Körper.
Die Abstrahlungen bewegen sich von links nach rechts, da das
Modell, das später nach rechts gewandt aufrecht erscheint,
während der Aufnahme auf dem Rücken lag, und Boissonnet,
der später nach links gewandt aufrecht erscheint, mit dem
Gesicht nach unten. Die Körperwärme stieg jeweils nach
oben und wird nun sichtbar als nahezu waagrecht fließende
strahlenartige Erscheinung. Am deutlichsten zu sehen ist ein
Lichtstrom, der von der Stirn der Frau ausgeht und sich bis über
Gesicht und Kopf des Mannes zieht.
Zu den Lichtlinien um die Schattenfiguren treten annähernd
konzentrische Lichtkreise im Hintergrund. Diese Lichterscheinungen
entsprechen ungefähr den Phänomenen, wie sie in der
Interferometrie 3 zutage treten. Die Muster
waren nicht beabsichtigt, sondern, so Boissonnet, glücklicher
Zufall. Sie kamen wohl zustande durch die Überlagerung der
Hintergründe während der Mehrfachbelichtungen im zweiten
Schritt der Herstellung des Hologramms, oder sie resultieren
eventuell aus der Bewegung eines der Elemente - wohl des Films,
mit dem der Frauenkörper aufgezeichnet wurde - während
der Aufnahme. Die Umraumerscheinungen und die ringförmigen
Abstrahlungen der Körper liegen auf verschiedenen, fließend
miteinander verbundenen räumlichen Ebenen. Die Wellenerscheinungen
verändern sich mit den verschiedenen Positionen, die Betrachter
vor der Platte einnehmen können. Sie verändern, da
die Platten schräg im Raum stehen, ihre Farbigkeit mit dem
Abstand von der Platte. Mit der seitlichen Bewegung vor der Platte
scheinen sich nicht nur die Schatten zu bewegen. Zugleich verändern
sich die Formationen im Umraum, und immer neue Gesamträume
erscheinen. Die schlierenartigen Gebilde überlagern aus
bestimmten Positionen die Silhouette der Frau, sie bilden moiréartige
Muster um die Figur des Mannes. Sie sind nicht nur Hintergrund
für die Silhouetten, vielmehr bilden sie einen lichterfüllten
Raum, in den sich die Figuren vollständig einfügen
und den sie mit ihren Abstrahlungen zugleich bilden. Figur und
Grund sind nicht voneinander geschieden, sie stehen in einem
Verhältnis gegenseitiger Bedingtheit.