Ambivalenz der holographischen Erscheinung
Allen Hologrammen eigen ist eine merkwürdige Ambivalenz
zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Holographische Erscheinungen
können nur aus ganz bestimmten Positionen vor der Platte
wahrgenommen werden (vgl. Abb.
16). Verläßt man dieses Betrachterfeld oder tritt
man zu nahe an die Platte heran, verschwindet das immaterielle
holographische Bild. Boissonnet arbeitet schon seit einigen Jahren
mit dieser Ambiguität des holographischen Bildes, die er
für symptomatisch hält für alle Formen von Repräsentationen.
Boissonnets Äußerungen zu diesem Thema weisen auf
ästhetische Differenz, auf die grundsätzliche Nichtübereinstimmung
der Darstellung mit dem Dargestellten.1 Die
Erkenntnis der Differenz und der Nichtübereinstimmung von
Anschauung und Begriff sind grundlegend für den Aufbau von
Bedeutungen. Vergegenständlichungen mittels eines Mediums
verstärken das Auseinandersprengen der antrainierten Alltagseinheit
von Anschauung und Begriff. Boissonnet sieht im Medium Holographie,
dem die gleichzeitige An- und Abwesenheit implizit ist, eine
Parallele zur Idee des Zweifels, die erst Unterscheidungen und
damit Bedeutungszuweisungen ermöglicht: "Die An-/Abwesenheit
eines Hologramms," schreibt Boissonnet bereits 1989, "das
grundlegend ein nicht substantielles Bild ist, gibt ihm eine
Verwandtschaft mit Halluzinationen und Luftspiegelungen. Um eine
Parallele ziehen zu können zwischen dem Hologramm und der
Idee des Zweifels, versuchte ich das holographische Bild des
Körpers so zu benutzen, daß man den Eindruck haben
konnte, als sei man in einem Zwischenraum, in einem Raum zwischen
dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Man hält eine Hand
hinter das Plexiglas, versucht das verschwindende Bild zu fangen,
aber die Hand durchdringt es, ohne darauf einzuwirken. Die Figur
ist immer da, auch wenn man sie nicht berühren kann, aber
zugleich ist sie niemals da, weil keine taktile Gewißheit
über ihre Anwesenheit zu erlangen ist."2
Die Ambiguität des holographischen Bildes wird deutlich,
wenn es mit dem Realen konfrontiert wird. Die Zweideutigkeit
bezüglich Anwesenheit und Abwesenheit wird, schreibt Boissonnet,
"besonders offensichtlich, wenn Hologramme direkt mit anderen
Typen der Repräsentation des Realen oder mit dem Realen
verglichen werden. Das Spiel zwischen Differenz und Ähnlichkeit
in der Holographie reicht weit über einfache Reproduktion
hinaus."3 Pädagogisch interpretieren
kann man dieses Spiel als Training zur Unterscheidungsfähigkeit;
als Lernprozeß, der darauf basiert und lebensgeschichtlich
vollzogen werden kann, daß nicht nur an kognitives Wissen
sondern zugleich an die Alltagserfahrungen von Betrachtern angeknüpft
wird. Die andere Erfahrung vor den Hologrammen kann so, und das
ist eine der Hauptintentionen Boissonnets in Galileo, zur Reflexion
vertrauter, immer ideologisch besetzter und deshalb im buchstäblichen
Sinne fragwürdiger Modelle und Repräsentationen führen.
Die Hinterfragung etablierter Modelle ist in der Geschichte illusionistischer
Medien nicht neu. Sie wird immer wieder vollzogen. Eberhard Roters
zieht eine Parallele zwischen Hologrammen und den Illusionsmedien
im Barock, denn beide gründeten im Zweifel an der Verläßlichkeit
perspektivischer Weltbilder. Solches Mißtrauen sei durch
die wissenschaftliche Untersuchung technischer Bildproduktionsvorgänge
verstärkt worden. Das zeige sich in der Fotografie, und
führe in der impressionistischen Malerei zur Begründung
des Bildes im subjektiven Sehen und schließlich "zum
Neo-Impressionismus, der das Bild der Wirklichkeit aus den Perzeptionspartikeln
des Seherlebnisses positivistisch zu analysieren und auf der
Projektionsfläche des Gemäldes wieder zur Synthese
des Gesamtbildes zu fügen sucht ... Der Neu-Impressionismus
ist mit seiner Malweise schon dicht an der Erkenntnis der Interferenzstruktur,
die der Funktion des Hologramms zugrundeliegt."4
Roters sieht in solcher Fortentwicklung eine Tendenz zur Annäherung
an die Bewußtseinsstruktur: "Die spezifische Wirkung
des holographischen Bildes beruht darauf, daß es deutlich
greifbar und von wechselnden Standpunkten aus körperlich
betrachtbar vor unseren Augen steht und daß es sich dennoch
zugleich als ein stofflich ungreifbares Phänomen zu erkennen
gibt, eine Lichterscheinung, die zunichte wird, wenn man sich
ihr handgreiflich zu nähern versucht... Das holographische
Bild ist eine reine Erscheinung, geboren aus den Schwingungsstrukturen
des 'leeren' Raums, die sich in der Provokation des Lichts manifestiert.
Das holographische Bild antwortet damit auf die Schwingungsstruktur
unserer Bewußtseinstätigkeit."5
Je näher die bildhafte Erscheinung dem leeren, von Schwingungsstrukturen
erfüllten Raum kommt, desto näher kommt sie - interpretiert
man Roters im Blick auf das Verhältnis von Bewußtseinstätigkeit
und Weltbildern - zugleich der Komplexität der Bewußtseinstätigkeit,
die in jenen Welterklärungsmodellen zu kurz kommt, die auf
der grundsätzlichen Erklärbarkeit der Welt und auf
der Übereinstimmung von Welt und Modell beharren. Solch
naive Annahme von Übereinstimmungenzu stören ist die
Vermittlungsleistung, die dem holographischen Bild als mediale
Eigenart implizit ist. Sie verstärkt Boissonnet durch die
mediale Bearbeitung und die Wahl des Motivs.