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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Ambivalenz der holographischen Erscheinung

 

Allen Hologrammen eigen ist eine merkwürdige Ambivalenz zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Holographische Erscheinungen können nur aus ganz bestimmten Positionen vor der Platte wahrgenommen werden (vgl. Abb. 16). Verläßt man dieses Betrachterfeld oder tritt man zu nahe an die Platte heran, verschwindet das immaterielle holographische Bild. Boissonnet arbeitet schon seit einigen Jahren mit dieser Ambiguität des holographischen Bildes, die er für symptomatisch hält für alle Formen von Repräsentationen. Boissonnets Äußerungen zu diesem Thema weisen auf ästhetische Differenz, auf die grundsätzliche Nichtübereinstimmung der Darstellung mit dem Dargestellten.1 Die Erkenntnis der Differenz und der Nichtübereinstimmung von Anschauung und Begriff sind grundlegend für den Aufbau von Bedeutungen. Vergegenständlichungen mittels eines Mediums verstärken das Auseinandersprengen der antrainierten Alltagseinheit von Anschauung und Begriff. Boissonnet sieht im Medium Holographie, dem die gleichzeitige An- und Abwesenheit implizit ist, eine Parallele zur Idee des Zweifels, die erst Unterscheidungen und damit Bedeutungszuweisungen ermöglicht: "Die An-/Abwesenheit eines Hologramms," schreibt Boissonnet bereits 1989, "das grundlegend ein nicht substantielles Bild ist, gibt ihm eine Verwandtschaft mit Halluzinationen und Luftspiegelungen. Um eine Parallele ziehen zu können zwischen dem Hologramm und der Idee des Zweifels, versuchte ich das holographische Bild des Körpers so zu benutzen, daß man den Eindruck haben konnte, als sei man in einem Zwischenraum, in einem Raum zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Man hält eine Hand hinter das Plexiglas, versucht das verschwindende Bild zu fangen, aber die Hand durchdringt es, ohne darauf einzuwirken. Die Figur ist immer da, auch wenn man sie nicht berühren kann, aber zugleich ist sie niemals da, weil keine taktile Gewißheit über ihre Anwesenheit zu erlangen ist."2

Die Ambiguität des holographischen Bildes wird deutlich, wenn es mit dem Realen konfrontiert wird. Die Zweideutigkeit bezüglich Anwesenheit und Abwesenheit wird, schreibt Boissonnet, "besonders offensichtlich, wenn Hologramme direkt mit anderen Typen der Repräsentation des Realen oder mit dem Realen verglichen werden. Das Spiel zwischen Differenz und Ähnlichkeit in der Holographie reicht weit über einfache Reproduktion hinaus."3 Pädagogisch interpretieren kann man dieses Spiel als Training zur Unterscheidungsfähigkeit; als Lernprozeß, der darauf basiert und lebensgeschichtlich vollzogen werden kann, daß nicht nur an kognitives Wissen sondern zugleich an die Alltagserfahrungen von Betrachtern angeknüpft wird. Die andere Erfahrung vor den Hologrammen kann so, und das ist eine der Hauptintentionen Boissonnets in Galileo, zur Reflexion vertrauter, immer ideologisch besetzter und deshalb im buchstäblichen Sinne fragwürdiger Modelle und Repräsentationen führen.

Die Hinterfragung etablierter Modelle ist in der Geschichte illusionistischer Medien nicht neu. Sie wird immer wieder vollzogen. Eberhard Roters zieht eine Parallele zwischen Hologrammen und den Illusionsmedien im Barock, denn beide gründeten im Zweifel an der Verläßlichkeit perspektivischer Weltbilder. Solches Mißtrauen sei durch die wissenschaftliche Untersuchung technischer Bildproduktionsvorgänge verstärkt worden. Das zeige sich in der Fotografie, und führe in der impressionistischen Malerei zur Begründung des Bildes im subjektiven Sehen und schließlich "zum Neo-Impressionismus, der das Bild der Wirklichkeit aus den Perzeptionspartikeln des Seherlebnisses positivistisch zu analysieren und auf der Projektionsfläche des Gemäldes wieder zur Synthese des Gesamtbildes zu fügen sucht ... Der Neu-Impressionismus ist mit seiner Malweise schon dicht an der Erkenntnis der Interferenzstruktur, die der Funktion des Hologramms zugrundeliegt."4 Roters sieht in solcher Fortentwicklung eine Tendenz zur Annäherung an die Bewußtseinsstruktur: "Die spezifische Wirkung des holographischen Bildes beruht darauf, daß es deutlich greifbar und von wechselnden Standpunkten aus körperlich betrachtbar vor unseren Augen steht und daß es sich dennoch zugleich als ein stofflich ungreifbares Phänomen zu erkennen gibt, eine Lichterscheinung, die zunichte wird, wenn man sich ihr handgreiflich zu nähern versucht... Das holographische Bild ist eine reine Erscheinung, geboren aus den Schwingungsstrukturen des 'leeren' Raums, die sich in der Provokation des Lichts manifestiert. Das holographische Bild antwortet damit auf die Schwingungsstruktur unserer Bewußtseinstätigkeit."5 Je näher die bildhafte Erscheinung dem leeren, von Schwingungsstrukturen erfüllten Raum kommt, desto näher kommt sie - interpretiert man Roters im Blick auf das Verhältnis von Bewußtseinstätigkeit und Weltbildern - zugleich der Komplexität der Bewußtseinstätigkeit, die in jenen Welterklärungsmodellen zu kurz kommt, die auf der grundsätzlichen Erklärbarkeit der Welt und auf der Übereinstimmung von Welt und Modell beharren. Solch naive Annahme von Übereinstimmungenzu stören ist die Vermittlungsleistung, die dem holographischen Bild als mediale Eigenart implizit ist. Sie verstärkt Boissonnet durch die mediale Bearbeitung und die Wahl des Motivs.


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1 Vgl. Stratmann, 1995, S. 80ff.

2 "The presence-absence of the hologram, which essentially is an unsubstantial image, gives it a kinship with hallucination and mirage. To establish a parallel between the hologram and the idea of doubt, I tried to use the ... holographic image in such a way that one might have the impression of being sent into an interspace, a space between the visible and the invisible. One slides a hand behind the plexiglass, trying to capture the disturbing image, but the hand penetrates and crosses without affecting it. The figure is always there, even if one cannot touch it; but at the same time, it is never there, because there is no tactile certainty of its presence. Therefore the tension is alternately created and dissolved according to the position of the spectator." (Boissonnet, 1989, S. 376.)

3 "One of the principal qualities of holography is the ambiguity between presence and absence. This is especially evident when holographic images are compared directly with other types of representation of the real or with the real itself; the play of difference and similarity in holography extends far beyond simple reproduction." (Boissonnet, 1989, S. 375.)

4 Roters, 1984, S. 349.

5 Roters, 1984, S. 350.


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