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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Galileo, Karte und Schrift

 

Landkarten und Globen sind kognitiv lesbare Ordnungsgefüge. Als zeichenhafte Gebilde, die auf bestimmte geopolitische Ordnungen verweisen, sind sie kommentarbedürfig. Reine Bilder sind Karten deshalb nicht, wie Buci-Glucksmann feststellt: "Die Karte ist ihrer Natur nach unrein, weil sie Schrift und Bild koexistieren läßt."1 Schrift und Kartenbild sind rationale Zeichen gesammelten geopolitischen Wissens, mit dessen Hilfe die Entzifferbarkeit der Totalität der Welt sichergestellt werden soll.

In Galileo koexistieren Bild und Schrift mehrfach: Die mit Schrift durchsetzten Bilder der Globen werden ihrerseits überlagert von holographierten Schriftzeichen. Die in Landkarten gemeinte Übereinstimmung von Schrift, Bild und Territorium thematisiert und unterläuft Boissonnet zugleich, indem er den Globus und die veränderlichen und fragmentarischen Bilder vom Globus mischt mit der Negierung jeder Ortsbezeichnung: NULLE PART. Und in der Tat ist die kartographische Projektion nicht von einem Standpunkt im 'Territorium' aus denkbar. Das kartographische Verfahren setzt eine tendenziell unendliche Distanz voraus. Es unterscheidet sich vom perspektivischen Verfahren der Renaissance, denn der Globus und die Karte bilden keinen Projektionsraum, der auf Betrachter bezogen wäre. Globus und Karte, das sind reine Oberflächen. "Die kartographische Projektion", schreibt Buci-Glucksmann, "unterschlägt den Horizont und eliminiert den Blickpunkt des Betrachters. Sie ist in der Tat ein Blick von nirgendwo... Anders als auf einem Gemälde ist es weder möglich durch eine Karte 'hindurch', noch auf ihr einem Fluchtpunkt 'nach'zusehen."2 Karten und Globen bieten dem Betrachterkörper keinen Gesichtspunkt, auf den er sich beziehen könnte. Ihre Repräsentationsformen sind rein mental.

Das Stereogramm in der Installation Galileo repräsentiert nicht die vom Globus uns vertraute Sphäre, sondern in der ovalen Plansphäre finden wir eine sich anamorphotisch verändernde 'Landkartenlandschaft'. Die Ortsbezeichnungen 'hier' (ICI) und 'dort' (LA) in den beiden Plexiglasteleskopen enden buchstäblich 'nirgendwo' (NULLE PART). So weist die Vermittlungsstrategie des Werks auf den relativen Charakter mentaler Repräsentationen. "Die Installation lädt ein", schreibt de Kerckhove, "zu verstehen, daß keine unserer Repräsentationen etwas exakt repräsentiert. Sie sind alle Metaphern oder weisen auf etwas, das nicht mehr und nicht weniger als die Sammlung all unserer Repräsentationen ist. Wir haben alle 'Tunnelblicke' entwickelt, Wissenschaft und Technologie eingeschlossen. Unsere Sichtweise besteht aus einer Sammlung solcher Tunnel."3 Landkarten kann man als Metaphern solch fragmentarischer Sichtweisen betrachten. Ihr Gesicht ändert sich mit wachsendem Wissen oder nach geographisch beliebigen, politisch-ideologischen Gesichtspunkten. "Die Karte ist offen, sie kann in all ihren Dimensionen verbunden, zerlegt und umgekehrt werden, sie kann ständig neue Veränderungen aufnehmen".4

Ebenso wie Verbildlichungen kann man wissenschaftliche Modelle metaphorisch verstehen. Eine solche doppelte Metapher bildet der aufblasbare Globus in Galileo. Boissonnet nutzt die galileische Repräsentation der Welt, so wie er erlernte Sehstrategien der Besucher nutzt. Doch Boissonnet vervielfältigt und verunklärt mit seiner Installation den einen Gesichtspunkt der Renaissance. Während Galileo Galilei die Relativität privater Subjektivität in ein monotheistisches Universum einführte, möchte Boissonnet, schreibt de Kerckhove, ein vereintes kollektives Bewußtsein wiederentdecken, das die Relativität subjektiver Gesichtspunkte transzendiert. Boissonnets Galileo weise, so interpretiert de Kerckhove, auf die relative Größe und die unsichere Existenz unseres Planeten ebenso wie auf die Schwierigkeiten, auf die wir stoßen, wenn wir ihn beschreiben wollen.5 Dem Betrachter deutlich wird diese Problematik, indem Boissonnet in vielfacher Weise Ambivalenzen herstellt.


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1 Buci-Glucksmann, 1996, S. 24.

2 Buci-Glucksmann, 1996, S. 40.

3 "Thus we are invited to understand that none of our representations accurately represents anything at all, they are merely metaphors or account for something that is no more and no less than the collection of all our representations. We have all developped 'tunnel vision', science and technology too. However, what we are looking at is a vision of something that is made up only of the collection of tunnels." (de Kerckhove, 1995, S. 43.)

4 Buci-Glucksmann, 1996, S. 30.

5 Vgl. de Kerckhove, 1995, S. 42.


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