Galileo Galilei und die Perspektive
In Galileis System gibt es nurmehr relative Standpunkte, doch
sie werden als perspektivische gleichwohl als 'wahre' begriffen.
Galilei hat das Verstehen der Perspektive und den Gebrauch eines
einzigen richtigen Standpunkts als Teil der Renissancehinterlassenschaft
geerbt. Einen monadischen Blickwinkel zu haben war für ihn
selbstverständlich als eine Sehstrategie, die verlangt wurde,
um perspektivische Darstellungen in Renaissancegemälden
entziffern zu können. Die wissenschaftliche, mathematisch
errechenbare Zentralperspektive ist Ausdruck dafür, so Eberhard
Roters in einem Text über das holographische Werk Dieter
Jungs, "daß der Mensch in der Renaissance sein selbstbewußtes
Ich fand, das einen festen Standpunkt gewann und von diesem festen
Standpunkt her die Umwelt in ihrer gegenseitigen Bezogenheit
der Gegenstände gemäß einer rational gegliederten
Ordnung aus der überschaubaren Distanz erfuhr. Ich und die
Welt, dieses Verhältnis beruht auf der Notwendigkeit eines
Abstandes zwischen mir und den Gegenständen im Raum. Die
Perspektive ist der Beweis für die Entdeckung des Diesseits
als den mich umgebenden Raum. Die Perspektive ist ein Prinzip,
das den Eindruck der Objektivität meines individuellen Standpunktes
im Diesseits des Umraums nach den Regeln einer geordneten Verzerrung
vermittelt. Das war ein Konsensus, der bei allen wechselnden
Aspekten sozusagen ein für alle Mal galt, ja er lieferte
geradezu die Voraussetzung für einen geregelten Wechsel
der Gesichtspunkte aus dem Abstand der betrachtenden Subjekte."1 Der Gebrauch der Perspektive führt letztlich
zur radikalen Unterscheidung zwischen einer objektiven Welt und
subjektiven Reaktionen.
Galileis Relativierung von Gesichtspunkten führt - das ist
die Kehrseite - zur Regelung und Festlegung der Blickweise auf
die Welt, und er führt zur tendenziellen Negierung des immer
auch vorhandenen unmittelbaren Bezugs der Bewohner zum
Territorium. Die Entdeckung des kopernikanischen Weltsystems,
die ganz aus dem Geist der Renaissance stammt, "indem sie
uns das Planetensystem im Raum zum erstenmal aus deperspektivischer
Sicht in die objektiven Verhältnisse rückt, führt
zugleich vom perspektivischen Erlebnis weg, indem es das anthropozentrische
Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert... Anstelle eines
auf den Menschen orientierten überschaubaren kosmischen
Räderwerks trat der Schauder vor der nun erahnten Unendlichkeit
der leeren Räume."2 In der Folge wurde
versucht die unendliche Leere zu fassen, das Chaos zu verdrängen:
Die Welt wurde zum Gegenstand geographischer Beschreibungen.
Geometrisierte und deskriptive Karten lösten die symbolischen
und religiösen Weltkarten des Mittelalters ab, deren Zentrum
das himmlische Jerusalem war, so wie die Erde der Mittelpunkt
des Universums.
Boissonnet nutzt für das Stereogramm in Galileo die
an der Perspektive erlernten Sehstrategien, auf denen letztlich
die Wahrnehmung der ursprünglich zweidimensionalen stereoskopischen
Bilder beruht. Doch er stellt den Betrachtern nicht, wie es perspektivisch
organisierte Bilder nahelegen, eine klar geordnete Welt gegenüber.
Vielmehr erfahren die Betrachter, indem sie aus verschiedenen
Standpunkten verschiedene Perspektiven erzeugen, die relative
Reichweite des perspektivischen Betrachtens. Perspektivisches
Sehen führt vor dem Hologramm ins 'Nirgendwo', und es läßt
das Eintreten in die Welt nicht zu: Bei zu großer Annäherung
erlischt das Licht, und die Repräsentationen verschwinden.