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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Galileo Galilei und die Perspektive

 

In Galileis System gibt es nurmehr relative Standpunkte, doch sie werden als perspektivische gleichwohl als 'wahre' begriffen. Galilei hat das Verstehen der Perspektive und den Gebrauch eines einzigen richtigen Standpunkts als Teil der Renissancehinterlassenschaft geerbt. Einen monadischen Blickwinkel zu haben war für ihn selbstverständlich als eine Sehstrategie, die verlangt wurde, um perspektivische Darstellungen in Renaissancegemälden entziffern zu können. Die wissenschaftliche, mathematisch errechenbare Zentralperspektive ist Ausdruck dafür, so Eberhard Roters in einem Text über das holographische Werk Dieter Jungs, "daß der Mensch in der Renaissance sein selbstbewußtes Ich fand, das einen festen Standpunkt gewann und von diesem festen Standpunkt her die Umwelt in ihrer gegenseitigen Bezogenheit der Gegenstände gemäß einer rational gegliederten Ordnung aus der überschaubaren Distanz erfuhr. Ich und die Welt, dieses Verhältnis beruht auf der Notwendigkeit eines Abstandes zwischen mir und den Gegenständen im Raum. Die Perspektive ist der Beweis für die Entdeckung des Diesseits als den mich umgebenden Raum. Die Perspektive ist ein Prinzip, das den Eindruck der Objektivität meines individuellen Standpunktes im Diesseits des Umraums nach den Regeln einer geordneten Verzerrung vermittelt. Das war ein Konsensus, der bei allen wechselnden Aspekten sozusagen ein für alle Mal galt, ja er lieferte geradezu die Voraussetzung für einen geregelten Wechsel der Gesichtspunkte aus dem Abstand der betrachtenden Subjekte."1 Der Gebrauch der Perspektive führt letztlich zur radikalen Unterscheidung zwischen einer objektiven Welt und subjektiven Reaktionen.

Galileis Relativierung von Gesichtspunkten führt - das ist die Kehrseite - zur Regelung und Festlegung der Blickweise auf die Welt, und er führt zur tendenziellen Negierung des immer auch vorhandenen unmittelbaren Bezugs der Bewohner zum Territorium. Die Entdeckung des kopernikanischen Weltsystems, die ganz aus dem Geist der Renaissance stammt, "indem sie uns das Planetensystem im Raum zum erstenmal aus deperspektivischer Sicht in die objektiven Verhältnisse rückt, führt zugleich vom perspektivischen Erlebnis weg, indem es das anthropozentrische Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert... Anstelle eines auf den Menschen orientierten überschaubaren kosmischen Räderwerks trat der Schauder vor der nun erahnten Unendlichkeit der leeren Räume."2 In der Folge wurde versucht die unendliche Leere zu fassen, das Chaos zu verdrängen: Die Welt wurde zum Gegenstand geographischer Beschreibungen. Geometrisierte und deskriptive Karten lösten die symbolischen und religiösen Weltkarten des Mittelalters ab, deren Zentrum das himmlische Jerusalem war, so wie die Erde der Mittelpunkt des Universums.

Boissonnet nutzt für das Stereogramm in Galileo die an der Perspektive erlernten Sehstrategien, auf denen letztlich die Wahrnehmung der ursprünglich zweidimensionalen stereoskopischen Bilder beruht. Doch er stellt den Betrachtern nicht, wie es perspektivisch organisierte Bilder nahelegen, eine klar geordnete Welt gegenüber. Vielmehr erfahren die Betrachter, indem sie aus verschiedenen Standpunkten verschiedene Perspektiven erzeugen, die relative Reichweite des perspektivischen Betrachtens. Perspektivisches Sehen führt vor dem Hologramm ins 'Nirgendwo', und es läßt das Eintreten in die Welt nicht zu: Bei zu großer Annäherung erlischt das Licht, und die Repräsentationen verschwinden.


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1 Roters, 1984, S. 348.

2 Roters, 1984, S. 349.


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