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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Galileo Galilei

 

Den Gedanken der phänomenologisch fundierten Relativierung von Gesichtspunkten hat Boissonnet mit der historischen Figur des Mathematikers, Physikers und Philosophen Galileo Galilei (1564-1642) verbunden. Galileo Galilei hat versucht, mit Hilfe der Wahrnehmung die scholastisch-aristotelische Physik und das geozentristische ptolemäische Weltbild zu widerlegen. Er baute 1609 eine verbesserte Version des ein Jahr zuvor in Holland erfundenen Fernrohrs und richtete es auf Himmelsobjekte. Aus der bergigen Landschaft des Mondes schloß Galilei, daß ferne Gestirne keineswegs eine vollkommene Form haben, sondern die gleichen Unregelmäßigkeiten zeigen wie die Dinge auf der Erde. Aus der Entdeckung der Jupitermonde schloß er, daß Himmelskörper auch um andere Planeten als die Erde kreisen können. Das schien die Richtigkeit des kopernikanischen heliozentrischen Weltbilds zu bestätigen.1

Indem Galilei aus den Beobachtungen ferner Sterne auf die Erde schloß, machte er die Grenzen eines rein terristrischen Standpunkts von einem externen Standpunkt aus bewußt. Boissonnet beschreibt Kopernikus' und Galileis Abwendung vom geozentrischen Weltbild als einen Wendepunkt in der Geschichte des Denkens. Galilei etablierte einen "Mechanismus der Gedanken-Dezentralisierung, mit dem er den Blick auf ein Konzept eröffnete, das territoriale Exklusivität ersetzt durch die Relativität der Idee von Wahrheit."2 Galileis und Kopernikus' Relativierung einsinniger Standpunkte hat Boissonnet in seiner Installation aktualisiert und diesen Gedanken als Erfahrung den Betrachtern zugänglich zu machen gesucht.


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1 Der Astronom Nikolaus Kopernikus (1473-1543) erkannte, daß das geozentrische, ptolemäische System für die Vorhersage der Planetenpositionen über längere Zeiträume ungeeignet war. An den physikalischen Grundlagen dieses Systems - den aristotelischen Forderungen nach Kreisförmigkeit der Bahnen und Gleichförmigkeit der Bewegungen - rüttelte Kopernikus nicht. Um 1507 griff er auf die von Aristarchos von Samos überlieferte Idee zurück, statt der Erde die Sonne als ruhendes Zentrum des Planetensystems anzunehmen. Er entwarf ein heliozentrisches System, in dem er die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne beschrieb und die tägliche Umdrehung des Fixsternhimmels als Rotation der Erde um ihre eigene Achse erklärte. Die Resultate seiner Arbeit lagen zum Teil bereits 1514 als Manuskript vor, doch er veröffentlichte sie erst kurz vor seinem Tod in seinem Hauptwerk 'De revolutionibus orbium coelestium libri VI' (1543, dt.: Über die Kreisbewegungen der Weltkörper 1879). Durch ein verfälschendes Vorwort des Theologen A. Osiander wurde das neue Weltsystem jedoch nicht als Tatsachenbeschreibung, sondern lediglich als astronomisches Denkmodell ausgegeben. Das Werk wurde von kirchlicher Seite angegriffen und 1616 im Zuge der Auseinandersetzungen mit Galilei auf den Index gesetzt. Das kopernikanische System blieb aufgrund der Annahme von kreisförmigen Bewegungen der Himmelskörper in seinen Voraussagen unpräzise. Zum Durchbruch gelangte es erst nach der Einführung der Ellipsenbahnen durch Johannes Kepler (1571-1630).

2 "When Copernicus broke away from the geocentric conception of the world, he marked a real turning point in the history of thought. Galileo, by confirming this system of the universe through the introduction of the astronomic telescope and his own observations and calculations, effectively established a thought-decentering mechanism, which constituted an open window onto the concept of doing away with territorial exclusivity, replacing it with the relativization of the idea of truth." (Boissonnet, 1996, S. 3f.)


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