Veränderliche Erscheinung und Delokalisierung
Die Erscheinung des Hologramms ändert sich nicht nur
mit der Annäherung des Betrachters, sondern ebenfalls, wenn
man sich horizontal oder vertikal vor ihm bewegt. Hebt oder senkt
man den Kopf, ändern sich die Farben des Hologramms, je
nach Augenhöhe erscheinen die Worte oder das Bild des aufgeblasenen
Globusses, oder beide überlagern sich (Selbstverständlich
sehen auch Menschen verschiedener Körpergrößen
immer verschiedene Bilder, insofern ist meine Beschreibung subjektiv.).
Mit der seitlichen Bewegung vor dem Hologramm wird die Sequenz
der Einzelbilder des Stereogramms dramatisiert. Die Umrisse der
Kontinente beginnen sich, ebenso wie die Faltungen des Plastikballs,
zu bewegen. Weltteile erscheinen und verschwinden, dehnen sich
aus oder schrumpfen zusammen. Mit dem Erscheinen des Globusses
vermischen und überlagern sich die kartographischen Repräsentationen.
Bewegt man sich in der entsprechenden Beleuchtungssituation von
links nach rechts, zieht das Wort 'PART' sehr rasch über
das Wort 'NULLE' hinweg (Abb. 26).
Der Versuch jedoch, geographische Logik aus den vorüberziehenden
und veränderlichen Bildern herausdestillieren zu wollen,
die Landkarte und Globus gewöhnlich repräsentieren,
schlägt fehl. Boissonnet präsentiert den Sinnen eine
Welt, deren Bestandteile delokalisiert sind. Sie kann weniger
von einem geopolitischen Standpunkt aus begriffen werden, als
von einem wahrnehmenden oder phänomenologischen, wie er
realen Reisenden entspricht. Die von Karten repräsentierte
Totalität können Reisende nie kennenlernen, wenn sie
das repräsentierte Gebiet durchwandern. Christine Buci-Glucksmann
bezeichnet deshalb in ihrer Untersuchung des 'kartographischen
Blicks der Kunst' die Karte als "das Simulakrum des absoluten
Reisenden."1 In Galileo verändert
die reale Bewegung des Betrachters die repräsentierte Totalität.
Der Zuschauer-Reisende ist physikalisch in realem Raum und mental
in repräsentiertem Raum, aber er kann sich, interpretiert
Boissonnet, nicht länger sicher sein, wo die Grenze liegt.
Das Gebilde lege nahe, daß "being HERE or THERE will
lead to NOWHERE but the very spot where we are at the very moment."2 Die Besucher werden nicht in einen virtuellen
Raum entführt. Vielmehr wird in der Installation die Relativität
physischer und mentaler Standpunkte deutlich, die die Betrachter
in ihren je eigenen Wirklichkeitsbezügen und beeinflußt
von ihren verschiedenen Wissenszusammenhängen einnehmen.
Von allen hier untersuchten Installationen weist Galileo
am deutlichsten auf den relativen Charakter mentaler Repräsentationen,
und entsprechend nutzt Boissonnet hier Vermittlungsstrategien,
die mit kognitiven, mehr oder weniger curricular erworbenen Wissensbeständen
operieren.