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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Veränderliche Erscheinung und Delokalisierung

 

Die Erscheinung des Hologramms ändert sich nicht nur mit der Annäherung des Betrachters, sondern ebenfalls, wenn man sich horizontal oder vertikal vor ihm bewegt. Hebt oder senkt man den Kopf, ändern sich die Farben des Hologramms, je nach Augenhöhe erscheinen die Worte oder das Bild des aufgeblasenen Globusses, oder beide überlagern sich (Selbstverständlich sehen auch Menschen verschiedener Körpergrößen immer verschiedene Bilder, insofern ist meine Beschreibung subjektiv.). Mit der seitlichen Bewegung vor dem Hologramm wird die Sequenz der Einzelbilder des Stereogramms dramatisiert. Die Umrisse der Kontinente beginnen sich, ebenso wie die Faltungen des Plastikballs, zu bewegen. Weltteile erscheinen und verschwinden, dehnen sich aus oder schrumpfen zusammen. Mit dem Erscheinen des Globusses vermischen und überlagern sich die kartographischen Repräsentationen. Bewegt man sich in der entsprechenden Beleuchtungssituation von links nach rechts, zieht das Wort 'PART' sehr rasch über das Wort 'NULLE' hinweg (Abb. 26).

Der Versuch jedoch, geographische Logik aus den vorüberziehenden und veränderlichen Bildern herausdestillieren zu wollen, die Landkarte und Globus gewöhnlich repräsentieren, schlägt fehl. Boissonnet präsentiert den Sinnen eine Welt, deren Bestandteile delokalisiert sind. Sie kann weniger von einem geopolitischen Standpunkt aus begriffen werden, als von einem wahrnehmenden oder phänomenologischen, wie er realen Reisenden entspricht. Die von Karten repräsentierte Totalität können Reisende nie kennenlernen, wenn sie das repräsentierte Gebiet durchwandern. Christine Buci-Glucksmann bezeichnet deshalb in ihrer Untersuchung des 'kartographischen Blicks der Kunst' die Karte als "das Simulakrum des absoluten Reisenden."1 In Galileo verändert die reale Bewegung des Betrachters die repräsentierte Totalität. Der Zuschauer-Reisende ist physikalisch in realem Raum und mental in repräsentiertem Raum, aber er kann sich, interpretiert Boissonnet, nicht länger sicher sein, wo die Grenze liegt. Das Gebilde lege nahe, daß "being HERE or THERE will lead to NOWHERE but the very spot where we are at the very moment."2 Die Besucher werden nicht in einen virtuellen Raum entführt. Vielmehr wird in der Installation die Relativität physischer und mentaler Standpunkte deutlich, die die Betrachter in ihren je eigenen Wirklichkeitsbezügen und beeinflußt von ihren verschiedenen Wissenszusammenhängen einnehmen. Von allen hier untersuchten Installationen weist Galileo am deutlichsten auf den relativen Charakter mentaler Repräsentationen, und entsprechend nutzt Boissonnet hier Vermittlungsstrategien, die mit kognitiven, mehr oder weniger curricular erworbenen Wissensbeständen operieren.


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1 Buci-Glucksmann, 1996, S. 25.

2 Boissonnet, 1996, S. 7.


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