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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Empfindung und Gegenstand

 

In seinem 'Handbuch der physiologischen Optik' beschäftigt sich Helmholtz eingehend mit dem Verhältnis von Wahrnehmungsgegenstand und dessen Empfindung. Helmholtz definiert Empfindungen als Wirkungen, die durch äußere Ursachen hervorgebracht werden. Insofern sind sie Zeichen. Dem Begriff 'Wahrnehmung' ist implizit, daß wir die uns durch die Wahrnehmung vermittelten Vorstellungen von der Außenwelt 'wahr' nennen, wenn sie sich praktisch bestätigen. Das Urteil der Wahrheit beruht auf der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Das Konstante in einer veränderlichen Erscheinung, sagt Helmholtz, nennen wir 'Substanz', das gleichbleibende Verhältnis zwischen veränderlichen Größen 'Gesetz'. Substanz und Gesetz sind Folgerungen aus Empfindungen. Erreichen können wir damit die Kenntnis "der gesetzlichen Ordnung im Reich des Wirklichen, diese freilich nur dargestellt in dem Zeichensystem unserer Sinneseindrücke. Daß unser Denken und Wahrnehmen in Bezug auf Erkenntniß des Wirklichen mehr als dieses Ziel erreiche, muß ich verneinen. Aber wie ich schon bemerkt habe, schliße ich auch die Vorgänge, von denen uns unsere innere Anschauung berichtet, unter den Begriff der wirklichen Vorgänge ein."1 Das Zurückführen von Erscheinungen auf zugrunde liegende Substanzen "erlaubt weder die Lückenhaftigkeit unseres Wissens, noch die Natur der Inductionsschlüsse, auf denen all unsere Wahrnehmung des Wirklichen vom ersten Schritte an beruht."2 Das Prinzip unseres Denkens ist das Kausalgesetz, sagt Helmholtz (daß gerade durch physikalische Erkenntnisse die Allgemeingültigkeit des Kausalgesetzes einmal würde infrage gestellt werden, konnte Helmholtz sich noch nicht vorstellen). Das Kausalgesetz "spricht das Vertrauen auf die vollkommene Begreifbarkeit der Welt aus."3 Für die Anwendbarkeit des Kausalgesetzes spricht sein Erfolg. Lebten wir in einer akausalen Welt, so würden wir keine Regelmäßigkeit finden, und unsere Denktätigkeit müßte ruhen. "Das Causalgesetz ist wirklich ein a priori gegebenes, ein transcendentales Gesetz. Ein Beweis desselben aus der Erfahrung ist nicht möglich, denn die ersten Schritte der Erfahrung sind nicht möglich, wie wir gesehen haben, ohne die Anwendung von Inductionsschlüssen, d.h. ohne das Causalgesetz; und aus der vollendeten Erfahrung, wenn sie auch lehrte, daß alles bisher Beobachtete gesetzmäßig verlaufen ist, - was zu versichern wir doch lange noch nicht berechtigt sind, - würde immer nur erst durch einen Inductionsschluß, d.h. unter Voraussetzung des Causalgesetz, folgen können, daß nun auch in Zukunft das Causalgesetz giltig sein werde. Hier gilt nur der eine Rath: Vertraue und handle!"4 Auf diese Weise erzeugen Erfahrungen - und darin ist curricular Erlerntes und lebensgeschichtlich Erfahrenes gleichermaßen inbegriffen - Deutungsmuster, mit denen fernere Erfahrungen abgeglichen werden.


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 1 Helmholtz, 1896, S. 593.

2 Helmholtz, 1896, S. 593.

3 Helmholtz, 1896, S. 593f.

4 Helmholtz, 1896, S. 594.


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