Kontext: 'beige cube' und rezeptionsästhetische Folgerungen
Zusammenfassend kann man sagen, daß der ehemals gegliederte
Raum einem homogenen Einerlei gewichen ist und daß die
Anbindung an den urbanen Raum heute versperrt ist, so sehr, daß
auch das Licht keinen Weg mehr ins jetzt kellerartige Seerosenverließ
findet. Das ist durch die praktischen Notwendigkeiten, die sich
durch den Zuzug der Sammlung Guillaume ergaben, allein nicht
erklärbar. Viel mehr sind die Umbauten Indiz für eine
veränderte Rezipientenhaltung.1 Monets
Nymphéas wurden in den fünfziger und sechziger
Jahren dieses Jahrhunderts wiederentdeckt (in Gang gebracht durch
André Masson) - im Zusammenhang mit Informel, amerikanischer
Farbfeldmalerei und abstraktem Expressionismus. Jene großformatigen,
gestischen oder flächigen Gemälde des 20. Jahrhunderts
aber haben eine völlig andere Beziehung zum Galerieraum,
als sie Monet mit seiner environmentartigen Anlage intendierte.
Wie O'Doherty in 'Inside the white cube' nachweist, verlangt
das objekthafte, flächenbetonte, autonome - und vor allem
nicht illusionäre - Farbfeld nach einem homogenen
Umraum, der ihm als Rahmen dient. Dagegen waren die Gemälde
der vorherigen Jahrhunderte, durch Rahmen und perspektivische
Anlage vom Umfeld abgeschottete, "hübsch verschnürte
Raumpäckchen".2 Sie waren wesentlich
unabhängig vom Umfeld. Der weiße Galerieraum, der
als das Bild der Kunst des 20. Jahrhunderts gelten darf,
"hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, die die Tatsache,
daß es 'Kunst' ist, stören könnten... Die äußere
Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster
normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht.
Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fußboden ... wird mit
Teppichboden belegt ... Hier erreicht die Moderne die endgültige
Umwandlung der Alltagswahrnehmung zu einer Wahrnehmung rein formaler
Werte."3 In solchem Kunstverständnis
wird das Werk unabhängig von seinem Kontext betrachtet,
ja, der Kontext wird so weit als möglich unsichtbar gemacht.
Damit einher geht, daß solche Kunst idealerweise unabhängig
von Rezipienten existiert. Von Interesse ist nicht, was das Werk
an Erfahrungsmöglichkeiten für Betrachter bereithalten
könnte, sondern das Werk wird zum Medium, durch das sich
"Ideen kundtun - eine populäre Form des Akademismus
der späten Moderne."4 Betrachter sind
in solchen Räumen überflüssig. "Der Galerieraum
legt den Gedanken nahe, daß Augen und Geist willkommen
sind, raumgreifende Körper dagegen nicht."5
Monet hat sich mit dem Gedanken der 'Grandes Décorations'
gegen solches Verständnis verwahrt. Seine Dekorationen waren
adressiert an Betrachter, den sie Erholung und Entspannung bieten
sollten. Für die Kritiker war dieser dekorative Aspekt von
Monets Malerei am schwersten faßbar. Schienen doch die
Gemälde Bilder über nichts zu sein, sie hatten offenbar
nur den einen Zweck, betrachtet zu werden. Monet hat seine Werke
nicht mit anderer Kunst vergleichen wollen, sondern mit dem ursprünglichen
Sehereignis. Das Wichtigste blieb für Monet, "seine
Sicht umzusetzen. Er hat ständig seine Werke und die anderer
mit der Natur verglichen und nicht mit anderen Gemälden.
Renoir erzählte, daß er als ganz junger Mann vor einem
Canaletto im Louvre bemerkte: 'Er hat nicht einmal die Spiegelungen
der Boote gemalt!'"6
Monets Nymphéas können weder als 'geschnürte
Raumpäckchen', noch als autonome, rein flächige Farbfelder
betrachtet werden, die eine Präsentation im 'beige cube'
rechtfertigten. Die impressionistische Bildkomposition erzeugt
eine mehrdeutige Oberfläche, die Bilder changieren zwischen
Flächigkeit und unendlicher Tiefe. Die Tendenz zur Flächigkeit
trägt zu ihrer Autonomie bei.7 Der illusionäre
Tiefenraum, der wegen der Abwesenheit von Perspektive und Horizont
nicht auf einen Rahmen bezogen ist, tendiert zur Anbindung an
den gebauten Raum - und zur Verbindung mit den darin sich bewegenden
Betrachtern. Monets Bilder können ganz wesentlich als Sehereignisse
bestimmt werden, die in einem dafür geschaffenen Umraum
regelrecht inszeniert wurden. Auf der Inszenierung der schwebend
visionären Landschaften, ohne menschlich zweckgebundenen
Maßstab, und auf ihrer kontrastierenden Anbindung an einen
sehr ausgezeichneten Ort mitten in der geschäftigen, steinernen
Stadt, basiert die eigentümlich stille, eindrückliche
Wirkung der Nymphéas: "Es sind die Brunnennymphen,
die bis ins Zentrum der Stadt kommen, um uns zu zwingen, ein
anderer zu werden."8