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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Kontext: 'beige cube' und rezeptionsästhetische Folgerungen

 

Zusammenfassend kann man sagen, daß der ehemals gegliederte Raum einem homogenen Einerlei gewichen ist und daß die Anbindung an den urbanen Raum heute versperrt ist, so sehr, daß auch das Licht keinen Weg mehr ins jetzt kellerartige Seerosenverließ findet. Das ist durch die praktischen Notwendigkeiten, die sich durch den Zuzug der Sammlung Guillaume ergaben, allein nicht erklärbar. Viel mehr sind die Umbauten Indiz für eine veränderte Rezipientenhaltung.1 Monets Nymphéas wurden in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts wiederentdeckt (in Gang gebracht durch André Masson) - im Zusammenhang mit Informel, amerikanischer Farbfeldmalerei und abstraktem Expressionismus. Jene großformatigen, gestischen oder flächigen Gemälde des 20. Jahrhunderts aber haben eine völlig andere Beziehung zum Galerieraum, als sie Monet mit seiner environmentartigen Anlage intendierte. Wie O'Doherty in 'Inside the white cube' nachweist, verlangt das objekthafte, flächenbetonte, autonome - und vor allem nicht illusionäre - Farbfeld nach einem homogenen Umraum, der ihm als Rahmen dient. Dagegen waren die Gemälde der vorherigen Jahrhunderte, durch Rahmen und perspektivische Anlage vom Umfeld abgeschottete, "hübsch verschnürte Raumpäckchen".2 Sie waren wesentlich unabhängig vom Umfeld. Der weiße Galerieraum, der als das Bild der Kunst des 20. Jahrhunderts gelten darf, "hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, die die Tatsache, daß es 'Kunst' ist, stören könnten... Die äußere Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fußboden ... wird mit Teppichboden belegt ... Hier erreicht die Moderne die endgültige Umwandlung der Alltagswahrnehmung zu einer Wahrnehmung rein formaler Werte."3 In solchem Kunstverständnis wird das Werk unabhängig von seinem Kontext betrachtet, ja, der Kontext wird so weit als möglich unsichtbar gemacht. Damit einher geht, daß solche Kunst idealerweise unabhängig von Rezipienten existiert. Von Interesse ist nicht, was das Werk an Erfahrungsmöglichkeiten für Betrachter bereithalten könnte, sondern das Werk wird zum Medium, durch das sich "Ideen kundtun - eine populäre Form des Akademismus der späten Moderne."4 Betrachter sind in solchen Räumen überflüssig. "Der Galerieraum legt den Gedanken nahe, daß Augen und Geist willkommen sind, raumgreifende Körper dagegen nicht."5

Monet hat sich mit dem Gedanken der 'Grandes Décorations' gegen solches Verständnis verwahrt. Seine Dekorationen waren adressiert an Betrachter, den sie Erholung und Entspannung bieten sollten. Für die Kritiker war dieser dekorative Aspekt von Monets Malerei am schwersten faßbar. Schienen doch die Gemälde Bilder über nichts zu sein, sie hatten offenbar nur den einen Zweck, betrachtet zu werden. Monet hat seine Werke nicht mit anderer Kunst vergleichen wollen, sondern mit dem ursprünglichen Sehereignis. Das Wichtigste blieb für Monet, "seine Sicht umzusetzen. Er hat ständig seine Werke und die anderer mit der Natur verglichen und nicht mit anderen Gemälden. Renoir erzählte, daß er als ganz junger Mann vor einem Canaletto im Louvre bemerkte: 'Er hat nicht einmal die Spiegelungen der Boote gemalt!'"6

Monets Nymphéas können weder als 'geschnürte Raumpäckchen', noch als autonome, rein flächige Farbfelder betrachtet werden, die eine Präsentation im 'beige cube' rechtfertigten. Die impressionistische Bildkomposition erzeugt eine mehrdeutige Oberfläche, die Bilder changieren zwischen Flächigkeit und unendlicher Tiefe. Die Tendenz zur Flächigkeit trägt zu ihrer Autonomie bei.7 Der illusionäre Tiefenraum, der wegen der Abwesenheit von Perspektive und Horizont nicht auf einen Rahmen bezogen ist, tendiert zur Anbindung an den gebauten Raum - und zur Verbindung mit den darin sich bewegenden Betrachtern. Monets Bilder können ganz wesentlich als Sehereignisse bestimmt werden, die in einem dafür geschaffenen Umraum regelrecht inszeniert wurden. Auf der Inszenierung der schwebend visionären Landschaften, ohne menschlich zweckgebundenen Maßstab, und auf ihrer kontrastierenden Anbindung an einen sehr ausgezeichneten Ort mitten in der geschäftigen, steinernen Stadt, basiert die eigentümlich stille, eindrückliche Wirkung der Nymphéas: "Es sind die Brunnennymphen, die bis ins Zentrum der Stadt kommen, um uns zu zwingen, ein anderer zu werden."8


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1 Nach dem Entstehen dieser Arbeit wurde begonnen - Indiz für erneut gewandelte Rezipientenhaltung - die Orangerie erneut umzubauen, und man darf hoffen, daß ein Teil der Umbauten wieder zurückgenommen wird.

2 O'Doherty, 1976, S. 338.

3 O'Doherty, 1976, S. 335f.

4 O'Doherty, 1976, S. 336.
O'Doherty spielt hier auf die Methodik und Zielvorstellungen der Ikonologie an.

5 O'Doherty, 1976, S. 336.
Das wird durch das Ausstellungsfoto ohne Menschen bekräftigt. Es ist kein Zufall, daß auf frühen Fotografien der Seerosensäle - ähnlich den Gemälden von Galerieräumen des 19. Jahrhunderts - die Betrachter mit abgebildet sind, während in aktuellen Dokumentationen die störenden Körper eliminiert wurden (und im allgemeinen eigens eine schattenlose, fotogene Beleuchtung inszeniert wird).

6 Trévise: Die Pilgerfahrt nach Giverny. Zuerst in: La Revue de l'Art ancien et moderne, Januar-Februar 1927. In: Stuckey, 1994, S. 333.

7 Der Tendenz zur Flächigkeit Monetscher Bilder hat William C. Seitz versucht zu entsprechen, als er für die Monet-Ausstellung 1960 im Museum of Modern Art, New York, die Rahmen entfernen ließ und die Leinwände teilweise direkt auf der Wand aufbrachte. "In einer Ebene mit der Wandfläche nahmen die Monets etwas vom strengen Charakter kleiner Wandgemälde an. Die Oberflächen erhärteten sich, als man die Bildfläche ganz wörtlich nahm. (O'Doherty, 1976, S. 342.)

8 Michel Butor (Art de France, 1963, S. 198-300), in: Hoog, 1984, S. 83.


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