Die
Wirklichkeit, die ist ein Film,
auf
einer Haut, den sich ein
Körper
hat gedreht.
Werner Schwab
Faustmusik
Der frankokanadische Künstler Philippe Boissonnet
hat seit 1984 eine Reihe von Installationen unter der Verwendung
von Hologrammen erstellt. Jede Installation von Boissonnet, schreibt
die kanadische Kritikerin Louise Poissant, zeige eine Einrichtung
des Sehens, die die Sensibilisierung der Betrachter hervorrufen
könne.1 Wie viele Holographiekünstler
legt auch Boissonnet besonderes Augenmerk auf die aktive Rolle
der Betrachter, auf die hin er in den letzten Jahren immer mehr
seine Installationen konzipiert hat. Ein interaktives Beleuchtungssystem
hat er in die drei Installationen integriert, die hier zur Sprache
kommen sollen: 'Galileo', 'In-Between' und 'Gaia'. Die drei Werke
thematisieren in unterschiedlicher Weise den Werk/Betrachter
Bezug, und sie sind auf verschiedene Rezeptionsweisen hin angelegt.
Eine eher kognitive Lesart legt das Vermittlungsangebot von 'Galileo'
nahe, tendenziell kommunikationsbezogen und erlebnishaft sind
die Rezeptionsweisen die 'In-Between' und 'Gaia' befördern.
Ein weiterer Schwerpunkt Boissonnets ist die Auseinandersetzung
mit den spezifischen Eigenschaften, den Wirkungsweisen und den
inhaltlichen Implikationen des Mediums Holographie und ferner
dessen Verhältnis und Wechselwirkung mit traditionellen
Kunstmedien wie Malerei und Skulptur. Als 'regard médiateur'
- vermittelnden Blick - hat der kanadische Kunstkritiker Laurier
Lacroix das Anliegen Boissonnets und die Leistung seiner Werke
beschrieben.2 Die Vermittlungsleistung der Installationen
führt, so meine ich, weit über das visuelle Angebot
hinaus. Welche zunächst disparat erscheinenden Stränge
im Medium Holographie zusammengesehen werden können, versuche
ich hier an den technischen Grundlagen der Holographie, den Installationen
Boissonnets und einigen, mit der Holographie zusammenhängenden
naturwissenschaftlich-philosophischen Entwürfen zu erläutern.
Für ein tieferes Verständnis des Phänomens 'Holographie'
und seiner Wirkung wesentlich halte ich die Kenntnis seiner physikalischen
und technischen Voraussetzungen. Sie werden im Eingang des Kapitels
ausführlich erläutert, bis hin zu den verschiedenen
Ausformungen von Hologrammen (Allerdings kommen nur Techniken
zur Sprache, die Boissonnet in den hier besprochenen Installationen
verwendet hat.).3 Vor diesem Hintergrund beschreibe
ich als erste von Boissonnets Installationen 'Galileo' und deute
sie im Zusammenhang mit der verwendeten Technik und den durch
Vermittlungsstrategie und Motiv nahegelegten Lesarten. Nach diesem
ersten Teil kommt Boissonnets interaktive Installation 'In-Between'
zur Sprache. Hier erläutere ich Erscheinungsweise und Motive
der Hologramme und das interaktive Beleuchtungssystem, das in
besonderer Weise die Kommunikation der Betrachter miteinander
erfordert. Auf die Spur des holographischen Universums führt
das Motiv eines der Hologramme, die Darstellung von Auren. Im
Folgenden referiere ich ausführlich die physikalischen Grundlagen
der Theorie von einem holographischen Universum, sowie deren
Zusammenhänge mit mystischen Weltbildern zum einen und klassischer
Naturwissenschaft zum andern. Vor dem Hintergrund solcher Theorien
deute ich die auratischen Darstellungen in 'In-Between' im Blick
auf ihre Rezeption als auratisches Ereignis. Im letzten Teil
kommt Boissonnets Installation, 'Gaia', zur Sprache, deren Ausformung
eine Deutung im Zusammenhang mit partizipatorisch verstandener
Wissenschaft und Kunst nahelegt.
Physikalische Voraussetzungen
der Holographie
Interferenz und Beugung von Lichtwellen bilden die physikalischen
Grundlagen der Holographie. Die im Wortsinne 'ganzheitliche'
holographische Aufzeichnungsmethode beruht auf dem Phänomen
der Interferenz: Aufeinandertreffende Lichtwellen erzeugen Muster,
die mit Hilfe einer lichtempfindlichen Schicht aufgezeichnet
werden. Solche Interferenzmuster sind zu fein, um mit dem bloßen
Auge wahrgenommen werden zu können. Sie haben keine Ähnlichkeit
mit den Lichtquellen, doch sie bergen die Information über
deren Ort. Diese Orte, das ist das Wiedergabeprinzip der Holographie,
kann man mittels der aufgezeichneten Interferenzmuster rekonstruieren.
Die holographische Aufzeichnungsmethode ist zwar fotografischen
Verfahren ähnlich - hier wie dort wird von Objekten reflektiertes
Licht auf einem Film aufgezeichnet - doch geschieht in der Holographie
schon physikalisch gesehen mehr und anderes als in der Fotografie.
Fotografische Verfahren projizieren mit Hilfe von Linsensystemen
Bilder von Objekten. Aufgezeichnet wird die Intensität des
Lichts, die Helligkeitsverteilung wird vom fotografischen Film
als verschiedene Grautöne wiedergegeben. Die Intensität
des Lichts wird auch in der Holographie aufgezeichnet, doch sie
ist nicht maßgeblich für die räumliche Registrierung
des Objekts. Die Information über die Räumlichkeit
ist in der Phasenlage geborgen, die die am Gegenstand gestreute
Welle in einem bestimmten Abstand vom Ausgangspunkt der Lichtwelle
hat. Dort kann beispielsweise die Fotoplatte stehen. Die Information
über die Phase geht in der Fotografie verloren. "Bei
einer normalen photographischen Aufnahme kann daher die Objektwelle
niemals vollständig rekonstruiert werden, man erhält
immer nur ein zweidimensionales Bild."4
Die Holographie ermöglicht die Aufzeichnung der Objektwelle
- der gesamten Information des Lichts, das von einem Gegenstand
ausgeht -, und die aufgezeichnete Information kann zur Erscheinung
des Gegenstands rekonstruiert werden.
Die vom Gegenstand gestreute Objektwelle ist es, die beim Sehen
ins Auge tritt. In der holographischen Platte ist eine Information
geborgen, die sich dem menschlichen Wahrnehmungapparat nur in
einer raumzeitlichen Bewegung erschließen kann, in einer
Bewegung, wie sie der Wahrnehmung der Wirklichkeit analog ist.
Deutlicher als andere Kunstformen ermöglicht die raumzeitliche
Rezeption von Hologrammen die Erfahrung, daß Wahrnehmung
wesentlich erlebnishaft ist. Darin liegt ihr pädagogisches
Potential. Erlebnishafte Wahrnehmung kann man auch als lebensgeschichtliches
Lernen bezeichnen, denn der prozeßhafte Vollzug der Erfahrung
führt über kognitiv erfassbaren und objektiv feststellbaren
Wissenserwerb immer schon hinaus, indem sie den Betrachter in
seinem gesamten Lebens- und Wissenszusammenhang affiziert.
Über die unmittelbare prozeßhafte Teilnahme am Wahrnehmungsangebot
der Werke werden im Sichtbaren Spuren gelegt, deren Betrachtung
in den Theoriebereichen Physik und Philosophie analogiehaft verdeutlichen
kann, inwiefern das Medium Holographie über sich selbst
hinausweist und in ein holistisches Wirklichkeitsverständnis
mündet. Ein solches Wirklichkeitsverständnis liegt
in der Tendenz den Installationen Boissonnets zugrunde, wenngleich
es sie nicht illustriert. Die Beschäftigung mit dem Medium
Holographie jedoch hat Boissonnet, wie andere mit der Holographie
befaßte Künstler auch, auf die Spur eines Wirklichkeitsverständnisses
geführt, das eng mit den Tendenzen neuer physikalischer
Forschungen zusammenhängt. Die Erläuterung der komplexen
Natur des Lichts und der Weise, wie es konstitutiv ist für
die holographische Aufzeichnungsmethode, soll hier eine erste
Annäherung an ein komplexes Phänomen ermöglichen.