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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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RENDEZVOUS

 

Holographische Installationen von Philippe Boissonnet

 

                                                                  Die Wirklichkeit, die ist ein Film,
                                                                  auf einer Haut, den sich ein
                                                                  Körper hat gedreht.

Werner Schwab
Faustmusik

 

Der frankokanadische Künstler Philippe Boissonnet hat seit 1984 eine Reihe von Installationen unter der Verwendung von Hologrammen erstellt. Jede Installation von Boissonnet, schreibt die kanadische Kritikerin Louise Poissant, zeige eine Einrichtung des Sehens, die die Sensibilisierung der Betrachter hervorrufen könne.1 Wie viele Holographiekünstler legt auch Boissonnet besonderes Augenmerk auf die aktive Rolle der Betrachter, auf die hin er in den letzten Jahren immer mehr seine Installationen konzipiert hat. Ein interaktives Beleuchtungssystem hat er in die drei Installationen integriert, die hier zur Sprache kommen sollen: 'Galileo', 'In-Between' und 'Gaia'. Die drei Werke thematisieren in unterschiedlicher Weise den Werk/Betrachter Bezug, und sie sind auf verschiedene Rezeptionsweisen hin angelegt. Eine eher kognitive Lesart legt das Vermittlungsangebot von 'Galileo' nahe, tendenziell kommunikationsbezogen und erlebnishaft sind die Rezeptionsweisen die 'In-Between' und 'Gaia' befördern.

Ein weiterer Schwerpunkt Boissonnets ist die Auseinandersetzung mit den spezifischen Eigenschaften, den Wirkungsweisen und den inhaltlichen Implikationen des Mediums Holographie und ferner dessen Verhältnis und Wechselwirkung mit traditionellen Kunstmedien wie Malerei und Skulptur. Als 'regard médiateur' - vermittelnden Blick - hat der kanadische Kunstkritiker Laurier Lacroix das Anliegen Boissonnets und die Leistung seiner Werke beschrieben.2 Die Vermittlungsleistung der Installationen führt, so meine ich, weit über das visuelle Angebot hinaus. Welche zunächst disparat erscheinenden Stränge im Medium Holographie zusammengesehen werden können, versuche ich hier an den technischen Grundlagen der Holographie, den Installationen Boissonnets und einigen, mit der Holographie zusammenhängenden naturwissenschaftlich-philosophischen Entwürfen zu erläutern.

Für ein tieferes Verständnis des Phänomens 'Holographie' und seiner Wirkung wesentlich halte ich die Kenntnis seiner physikalischen und technischen Voraussetzungen. Sie werden im Eingang des Kapitels ausführlich erläutert, bis hin zu den verschiedenen Ausformungen von Hologrammen (Allerdings kommen nur Techniken zur Sprache, die Boissonnet in den hier besprochenen Installationen verwendet hat.).3 Vor diesem Hintergrund beschreibe ich als erste von Boissonnets Installationen 'Galileo' und deute sie im Zusammenhang mit der verwendeten Technik und den durch Vermittlungsstrategie und Motiv nahegelegten Lesarten. Nach diesem ersten Teil kommt Boissonnets interaktive Installation 'In-Between' zur Sprache. Hier erläutere ich Erscheinungsweise und Motive der Hologramme und das interaktive Beleuchtungssystem, das in besonderer Weise die Kommunikation der Betrachter miteinander erfordert. Auf die Spur des holographischen Universums führt das Motiv eines der Hologramme, die Darstellung von Auren. Im Folgenden referiere ich ausführlich die physikalischen Grundlagen der Theorie von einem holographischen Universum, sowie deren Zusammenhänge mit mystischen Weltbildern zum einen und klassischer Naturwissenschaft zum andern. Vor dem Hintergrund solcher Theorien deute ich die auratischen Darstellungen in 'In-Between' im Blick auf ihre Rezeption als auratisches Ereignis. Im letzten Teil kommt Boissonnets Installation, 'Gaia', zur Sprache, deren Ausformung eine Deutung im Zusammenhang mit partizipatorisch verstandener Wissenschaft und Kunst nahelegt.

 

Physikalische Voraussetzungen der Holographie


Interferenz und Beugung von Lichtwellen bilden die physikalischen Grundlagen der Holographie. Die im Wortsinne 'ganzheitliche' holographische Aufzeichnungsmethode beruht auf dem Phänomen der Interferenz: Aufeinandertreffende Lichtwellen erzeugen Muster, die mit Hilfe einer lichtempfindlichen Schicht aufgezeichnet werden. Solche Interferenzmuster sind zu fein, um mit dem bloßen Auge wahrgenommen werden zu können. Sie haben keine Ähnlichkeit mit den Lichtquellen, doch sie bergen die Information über deren Ort. Diese Orte, das ist das Wiedergabeprinzip der Holographie, kann man mittels der aufgezeichneten Interferenzmuster rekonstruieren.
Die holographische Aufzeichnungsmethode ist zwar fotografischen Verfahren ähnlich - hier wie dort wird von Objekten reflektiertes Licht auf einem Film aufgezeichnet - doch geschieht in der Holographie schon physikalisch gesehen mehr und anderes als in der Fotografie. Fotografische Verfahren projizieren mit Hilfe von Linsensystemen Bilder von Objekten. Aufgezeichnet wird die Intensität des Lichts, die Helligkeitsverteilung wird vom fotografischen Film als verschiedene Grautöne wiedergegeben. Die Intensität des Lichts wird auch in der Holographie aufgezeichnet, doch sie ist nicht maßgeblich für die räumliche Registrierung des Objekts. Die Information über die Räumlichkeit ist in der Phasenlage geborgen, die die am Gegenstand gestreute Welle in einem bestimmten Abstand vom Ausgangspunkt der Lichtwelle hat. Dort kann beispielsweise die Fotoplatte stehen. Die Information über die Phase geht in der Fotografie verloren. "Bei einer normalen photographischen Aufnahme kann daher die Objektwelle niemals vollständig rekonstruiert werden, man erhält immer nur ein zweidimensionales Bild."4 Die Holographie ermöglicht die Aufzeichnung der Objektwelle - der gesamten Information des Lichts, das von einem Gegenstand ausgeht -, und die aufgezeichnete Information kann zur Erscheinung des Gegenstands rekonstruiert werden.

Die vom Gegenstand gestreute Objektwelle ist es, die beim Sehen ins Auge tritt. In der holographischen Platte ist eine Information geborgen, die sich dem menschlichen Wahrnehmungapparat nur in einer raumzeitlichen Bewegung erschließen kann, in einer Bewegung, wie sie der Wahrnehmung der Wirklichkeit analog ist. Deutlicher als andere Kunstformen ermöglicht die raumzeitliche Rezeption von Hologrammen die Erfahrung, daß Wahrnehmung wesentlich erlebnishaft ist. Darin liegt ihr pädagogisches Potential. Erlebnishafte Wahrnehmung kann man auch als lebensgeschichtliches Lernen bezeichnen, denn der prozeßhafte Vollzug der Erfahrung führt über kognitiv erfassbaren und objektiv feststellbaren Wissenserwerb immer schon hinaus, indem sie den Betrachter in seinem gesamten Lebens- und Wissenszusammenhang affiziert.

Über die unmittelbare prozeßhafte Teilnahme am Wahrnehmungsangebot der Werke werden im Sichtbaren Spuren gelegt, deren Betrachtung in den Theoriebereichen Physik und Philosophie analogiehaft verdeutlichen kann, inwiefern das Medium Holographie über sich selbst hinausweist und in ein holistisches Wirklichkeitsverständnis mündet. Ein solches Wirklichkeitsverständnis liegt in der Tendenz den Installationen Boissonnets zugrunde, wenngleich es sie nicht illustriert. Die Beschäftigung mit dem Medium Holographie jedoch hat Boissonnet, wie andere mit der Holographie befaßte Künstler auch, auf die Spur eines Wirklichkeitsverständnisses geführt, das eng mit den Tendenzen neuer physikalischer Forschungen zusammenhängt. Die Erläuterung der komplexen Natur des Lichts und der Weise, wie es konstitutiv ist für die holographische Aufzeichnungsmethode, soll hier eine erste Annäherung an ein komplexes Phänomen ermöglichen.


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1 Vgl. Poissant, 1998, S. 4.

2 Vgl. Lacroix, 1994, S. 1.

3 Alle technischen und physikalischen Teile dieses Kapitels hat Prof. Dr. Gerhard Ackermann von der Technischen Fachhochschule Berlin gegengelesen und korrigiert.

4 Eichler/Ackermann, 1993, S. 5.


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