Kontext: Tageslicht versus künstliche Beleuchtung
Bezüglich der Beleuchtungssituation sind die Folgen des
Umbaus gravierend. Die Besucher müssen gleichsam ein Fegefeuer
verschiedener Lichttemperaturen durchschreiten: Mit Kunstlicht
durchsetztes Tageslicht im ersten Stock, dämmriges Oberlicht
im Treppenhaus, gelbliches Kunstlicht im Vestibül (von dort
sieht man noch in einen bläulich neonbeleuchteten Nebenraum,
Abb. 17). Vom Vestibül aus muß
ein neonbeleuchteter Durchgang durchschritten werden (Abb. 19), dann ist man in den Sälen
selbst (Abb. 1,
Abb. 21/22,
23/24). Dort ist das ehemals natürliche
Oberlicht mit seinen wetterbedingt wechselnden Zuständlichkeiten
durch eine eingezogene Decke ersetzt. Hinter den Milchglasscheiben
sieht man Neonröhren mit verschiedener Farbtemperatur -
rötlich und grünlich.1 Nun kann sich
das menschliche Auge zwar an verschiedene Lichttemperaturen anpassen,
doch das geschieht nicht sofort und vor allem nicht vollständig.
Sicher ist - aufgrund des subjektiven Charakters des Sehens -
nicht genau zu sagen, welche Änderungen der subjektiven
Farbempfindung sich aus der objektiv veränderten Lichtsituation
ergeben. Helmholtz sagt dazu lapidar, das einzige was sicher
gesagt werde könne ist, daß "gleiches Licht
... unter gleichen Umständen die gleiche Farbenempfindung
[erregt]. Licht, welches unter gleichen Umständen ungleiche
Farbenempfindung erregt, ist ungleich."2
Gewiß ist, daß im Bereich der feinen Farbnuancen
die Verhältnisse sich unter veränderter Beleuchtung
ändern. Und im hochkomplexen System der subtilen Farbabstufungen
beeinflußt jeder geänderte Faktor die Gesamtwirkung.
Vor Monets Gemälden ist neben der Helligkeit die Farbtemperatur
der Beleuchtung von besonderem Interesse. Sie beeinflußt
wesentlich die Erscheinung der Phänomene. "Die Farbe
der Beleuchtung kann sich merklich ändern, sei es, dass
wir künstliche Beleuchtung anwenden durch Flammen, die immer
mehr oder weniger rothgelbes Licht geben, sei es, dass wir uns
unter dem grünlichen Schatten eines Laubdachs oder in einem
Zimmer mit stark gefärbten Tapeten und Fenstervorhängen
befinden. Mit der Helligkeit und Farbe der Beleuchtung ändert
sich natürlich auch Helligkeit und Farbe der Lichtmenge,
welche die beleuchteten Körper in unser Auge senden. Alle
Verschiedenheit der Körperfarbe beruht nämlich darauf,
dass die verschiedenen Körper verschieden grosse Antheile
der verschiedenen einfachen Strahlungen der Sonne theils zurückwerfen,
theils verschlucken."3 Die scheinbare Farbe
der beleuchteten Körper ändert sich mit der Farbe der
Beleuchtung. Wenn die Farbe der künstlichen Beleuchtung
gegenüber dem Tageslicht in den grünen oder rötlichen
Bereich verschoben ist, wie das in der Orangerie der Fall ist,
so werden im Bereich der sensiblen Farbnuancen die verschiedenen
farbigen Anteile in anderer Verhältnismäßigkeit
zurückgeworfen oder verschluckt. Dadurch ändert sich
die gesamte Verhältnismäßigkeit der Farbnuancen
zueinander.4
Ginge es nur darum, weiße Kleckse als solche zu erkennen,
spielte das keine Rolle. Denn die Konstanztendenz in den Empfindungsorganen
sorgt dafür, daß wir Weißes immer als weiß
erkennen, von welchem Licht es auch getroffen wird. Für
das wiedererkennende Sehen ist die Konstanzleistung des Sehapparats
hinreichend.5 Nicht aber, das meint auch Helmholtz,
für ästhetische Betrachtung: "Was uns beim Sehen
hauptsächlich interessirt, ist die uns umgebenden Körper
zu erkennen und wiederzuerkennen; nur selten, höchstens
aus ästhetischen oder physikalischen Rücksichten, wenden
wir wohl auch einmal unsere Aufmerksamkeit der Beleuchtung zu."6 Schon die sich im Tagesablauf ändernde spektrale
Zusammensetzung des Tageslichts verändert den Eindruck der
Dinge. Doch solche Veränderung zeigt sich eher als andere
Lichtstimmung, während die Beleuchtung mit künstlichem
Licht, so wie es in der Orangerie installiert ist, den natürlichen
Eindruck zu keiner Zeit ermöglicht. Beispielsweise können
Farbpigmente fluoreszierende Stoffe enthalten, die die sichtbare
Detailgenauigkeit und den Kontrast beeinflussen. Doch das geschieht
nur dann, wenn die Beleuchtungsquelle UV-Strahlung enthält,
so wie das im natürlichen Tageslicht der Fall ist. Herkömmliche
Leuchtstoffröhren enthalten diese Strahlung nicht. Aufgrund
ihrer vom Tageslicht verschiedenen spektralen Zusammensetzung
verfälscht solche Beleuchtung die Farben, oder läßt
einige sogar überhaupt nicht erscheinen.
Nun könnte man meinen, wenn in der Orangerie Beleuchtungskörper
installiert würden, die der spektralen Zusammensetzung eines
günstigen Tageslichts genau entsprächen (das wäre
technisch möglich), so wäre damit Monets Wünschen
entsprochen. Doch im Falle der Orangerie ist es für die
von Monet wohl intendierte Anbindung an den Außenraum gleichfalls
von Bedeutung, daß sich das Licht mit den Tageszeiten und
den Wetterbedingungen ändert. Herrschen im Galerieraum dieselben
Lichtbedingungen wie im Außenraum, so wird ersterer nicht
als vom Naturraum völlig getrennt erfahren werden.