Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Kontext: Tageslicht versus künstliche Beleuchtung

 

Bezüglich der Beleuchtungssituation sind die Folgen des Umbaus gravierend. Die Besucher müssen gleichsam ein Fegefeuer verschiedener Lichttemperaturen durchschreiten: Mit Kunstlicht durchsetztes Tageslicht im ersten Stock, dämmriges Oberlicht im Treppenhaus, gelbliches Kunstlicht im Vestibül (von dort sieht man noch in einen bläulich neonbeleuchteten Nebenraum, Abb. 17). Vom Vestibül aus muß ein neonbeleuchteter Durchgang durchschritten werden (Abb. 19), dann ist man in den Sälen selbst (Abb. 1, Abb. 21/22, 23/24). Dort ist das ehemals natürliche Oberlicht mit seinen wetterbedingt wechselnden Zuständlichkeiten durch eine eingezogene Decke ersetzt. Hinter den Milchglasscheiben sieht man Neonröhren mit verschiedener Farbtemperatur - rötlich und grünlich.1 Nun kann sich das menschliche Auge zwar an verschiedene Lichttemperaturen anpassen, doch das geschieht nicht sofort und vor allem nicht vollständig. Sicher ist - aufgrund des subjektiven Charakters des Sehens - nicht genau zu sagen, welche Änderungen der subjektiven Farbempfindung sich aus der objektiv veränderten Lichtsituation ergeben. Helmholtz sagt dazu lapidar, das einzige was sicher gesagt werde könne ist, daß "gleiches Licht ... unter gleichen Umständen die gleiche Farbenempfindung [erregt]. Licht, welches unter gleichen Umständen ungleiche Farbenempfindung erregt, ist ungleich."2 Gewiß ist, daß im Bereich der feinen Farbnuancen die Verhältnisse sich unter veränderter Beleuchtung ändern. Und im hochkomplexen System der subtilen Farbabstufungen beeinflußt jeder geänderte Faktor die Gesamtwirkung.

Vor Monets Gemälden ist neben der Helligkeit die Farbtemperatur der Beleuchtung von besonderem Interesse. Sie beeinflußt wesentlich die Erscheinung der Phänomene. "Die Farbe der Beleuchtung kann sich merklich ändern, sei es, dass wir künstliche Beleuchtung anwenden durch Flammen, die immer mehr oder weniger rothgelbes Licht geben, sei es, dass wir uns unter dem grünlichen Schatten eines Laubdachs oder in einem Zimmer mit stark gefärbten Tapeten und Fenstervorhängen befinden. Mit der Helligkeit und Farbe der Beleuchtung ändert sich natürlich auch Helligkeit und Farbe der Lichtmenge, welche die beleuchteten Körper in unser Auge senden. Alle Verschiedenheit der Körperfarbe beruht nämlich darauf, dass die verschiedenen Körper verschieden grosse Antheile der verschiedenen einfachen Strahlungen der Sonne theils zurückwerfen, theils verschlucken."3 Die scheinbare Farbe der beleuchteten Körper ändert sich mit der Farbe der Beleuchtung. Wenn die Farbe der künstlichen Beleuchtung gegenüber dem Tageslicht in den grünen oder rötlichen Bereich verschoben ist, wie das in der Orangerie der Fall ist, so werden im Bereich der sensiblen Farbnuancen die verschiedenen farbigen Anteile in anderer Verhältnismäßigkeit zurückgeworfen oder verschluckt. Dadurch ändert sich die gesamte Verhältnismäßigkeit der Farbnuancen zueinander.4

Ginge es nur darum, weiße Kleckse als solche zu erkennen, spielte das keine Rolle. Denn die Konstanztendenz in den Empfindungsorganen sorgt dafür, daß wir Weißes immer als weiß erkennen, von welchem Licht es auch getroffen wird. Für das wiedererkennende Sehen ist die Konstanzleistung des Sehapparats hinreichend.5 Nicht aber, das meint auch Helmholtz, für ästhetische Betrachtung: "Was uns beim Sehen hauptsächlich interessirt, ist die uns umgebenden Körper zu erkennen und wiederzuerkennen; nur selten, höchstens aus ästhetischen oder physikalischen Rücksichten, wenden wir wohl auch einmal unsere Aufmerksamkeit der Beleuchtung zu."6 Schon die sich im Tagesablauf ändernde spektrale Zusammensetzung des Tageslichts verändert den Eindruck der Dinge. Doch solche Veränderung zeigt sich eher als andere Lichtstimmung, während die Beleuchtung mit künstlichem Licht, so wie es in der Orangerie installiert ist, den natürlichen Eindruck zu keiner Zeit ermöglicht. Beispielsweise können Farbpigmente fluoreszierende Stoffe enthalten, die die sichtbare Detailgenauigkeit und den Kontrast beeinflussen. Doch das geschieht nur dann, wenn die Beleuchtungsquelle UV-Strahlung enthält, so wie das im natürlichen Tageslicht der Fall ist. Herkömmliche Leuchtstoffröhren enthalten diese Strahlung nicht. Aufgrund ihrer vom Tageslicht verschiedenen spektralen Zusammensetzung verfälscht solche Beleuchtung die Farben, oder läßt einige sogar überhaupt nicht erscheinen.

Nun könnte man meinen, wenn in der Orangerie Beleuchtungskörper installiert würden, die der spektralen Zusammensetzung eines günstigen Tageslichts genau entsprächen (das wäre technisch möglich), so wäre damit Monets Wünschen entsprochen. Doch im Falle der Orangerie ist es für die von Monet wohl intendierte Anbindung an den Außenraum gleichfalls von Bedeutung, daß sich das Licht mit den Tageszeiten und den Wetterbedingungen ändert. Herrschen im Galerieraum dieselben Lichtbedingungen wie im Außenraum, so wird ersterer nicht als vom Naturraum völlig getrennt erfahren werden.


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Um die verschiedenen Beleuchtungssituationen zu verifizieren, habe ich vor und in der Orangerie Lichttemperaturmessungen durchgeführt.

 1  Vor der Orangerie (6. März, 13 Uhr, bewölkt)  6000 k
 2  1. Stock, Saal vor dem Abgang zu den Monetsälen (Kunstlicht)  4600 k
 3  am Fenster (Mischlicht)  5050 k
 4  im Treppenabgang (Tagesoberlicht)  4850 k
 5  Vestibül  3030 k
 6  Vestibül rechter Nebenraum (Telefon)  4500 k
 7  Zugang zu den Monetsälen  4150 k
 8  vorderer Saal Mitte  3920 k
 9  hinterer Saal hinten  3950 k
 10  hinterer Saal Mitte  3930 k
 11  vorderer Saal hinterer Rand (Streulicht)  3890 k
 12  Durchgang zwischen den Sälen (keine Beleuchtung, Streulicht)  3410 k
 13  In beiden Sälen direkt vor den Panneaux  ca. 3860 k


Im Durchgang (7.) befindet sich ein dunkelbrauner Teppichboden und die Wände sind taubenblau gestrichen, wodurch sich der Eindruck einer bläulichen Beleuchtung verstärkt. Das Vestibül (5.) ist in derselben Farbe gestrichen, die Wände wirken jedoch wegen der gelblichen Beleuchtungskörper und wegen des beigen Steinbodens heller und wärmer.

2 Helmholtz, 1868, S. 285f.

3 Helmholtz, 1868, S. 289.

4 Die in der Orangerie gemessene Farbtemperatur von ca. 3900-4000 Kelvin läßt Rückschlüsse auf die Art der verwendeten Beleuchtungskörper zu. Als mögliches Beispiel führe ich hier zur Illustration der Differenz zwischen künstlichem Licht und Tageslicht eine Hellweiße Neonröhre an. Beide Lichtarten unterscheiden sich wesentlich durch ihre spektrale Strahlungsverteilung. Während Tageslicht eine recht gleichmäßige spektrale Zusammensetzung aufweist, hat Neonlicht sogenannte 'Peaks', d.h. es sind die Spektren besonders vertreten, für die das menschliche Auge am empfindlichsten ist, und die deshalb als besonders hell empfunden werden (Abb. 11, 12). Aus der veränderten spektralen Beschaffenheit geht hervor, daß die reflektierten farbigen Anteile wesentlich verschieden sind und mithin verschieden wirken.

5 Die Farbkonstanz, d.h. die Fähigkeit, die Farbe von Gegenständen relativ unabhängig von der aktuellen spektralen Zusammensetzung des reflektierten Lichts zu erkennen, ist zum Teil angeboren, aber auch unsere Erfahrung im Umgang mit Gegenständen spielt eine Rolle bei der Farbwahrnehmung. "Farbempfindung entsteht ... nicht deshalb, weil etwa ein Farbrezeptor eine bestimmte Lichtwellenlänge codiert. Vielmehr weist das Gehirn den relativen Aktivitäten der Farbrezeptoren und der nachgeschalteten Zellen innerhalb des gesamten Aktivitätszustands bestimmte Farbempfindungen zu." (Roth, 1994, S. 105.) Es gibt keine festgelegten Zuordnungen von Lichtwellenlängen zu Farbempfindungen. Vielmehr können dieselben Farbempfindungen durch unterschiedliche Erregungsmuster auf der Ebene der Farbrezeptoren hervorgerufen werden. Dies entspricht der Veränderung der spektralen Zusammensetzung des Lichts im Tagesverlauf: Während mittags der kurzwellige Anteil überwiegt, verschiebt sich am Abend das Spektrum zugunsten der langwelligeren, röteren Anteile. Das visuelle System interpretiert "unter den jeweils gerade herrschenden Lichtverhältnissen die jeweils kürzeste Wellenlänge als 'blau-violett' und die jeweils längsten als 'rot' und zwar (innerhalb der natürlichen Grenzen des Tageslichtwechsels) unabhängig davon, ob die gerade vorliegende kürzeste Wellenlänge tatsächlich bei etwa 400 nm liegt und die längste bei 700 nm." (Roth, 1994, S. 107.) Wäre der Wahrnehmungsapparat nicht so eingerichtet, wären die Unterschiede zwischen Morgendämmerung und hellem Mittagslicht bezüglich der Farbwahrnehmung gravierend. Die Farbkonstanz ist präkognitiv und läuft automatisch ab, sie kann durch Erfahrung nicht verändert werden.

6 Helmholtz, 1868, S. 290.

 


Home

Inhalt

Weiter