Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Orangerie und Panorama

 

Der ovale Grundriß und die Zweiteilung der Räume unterscheidet die Anlage in der Orangerie von den kreisförmigen Panoramarotunden. Ob Monet ursprünglich eine panoramaähnliche Illusion hat erzeugen wollen, ist kaum mehr zu entscheiden, es gibt lediglich einige Hinweise darauf. Die Panoramen lagen historisch noch nicht allzulange zurück, und so ist es kaum verwunderlich, daß Clemenceau schon in Monets Seerosenatelier in Giverny eine Panoramaassoziation hatte: Clemenceau "drehte sich im Atelier um, berauschte sich an dem Gemälde und rief plötzlich aus: 'Natürlich! Die Tür stört mich! Man müßte mit einem Aufzug ins Atelier kommen, der einen genau in die Mitte bringt!' Und Clemenceau hat recht: Wie es scheint, entspricht allein das Panorama diesem Gedicht blühenden Wassers".1 Thiébault-Sisson berichtet, daß es Monets Absicht gewesen sei, eine Panorama-Illusion zu erzeugen: "Die Ellipsenform, die der Architekt der Nationalmuseen gewählt hat, entspricht nicht den ursprünglichen Absichten Monets. Ihm hatte eine riesige Rotunde vorgeschwebt, in deren Mauern seine Bildtafeln eingelassen wären wie ein Panorama, und es bedurfte mancher Gespräche zwischen ihm und seinem 'Regisseur', um ihn zu bewegen, in die Ansichten des Architekten einzuwilligen."2 Auch Jean Villemar beschreibt Monets Pläne als den Versuch, eine panoramaartige Illusion zu erzeugen: Monet "möchte einen gesonderten Pavillon im Garten des Hôtel de Biron, einen runden Saal, wo seine Bilder an den Boden stoßen und ohne die geringste Trennung nebeneinander angebracht werden, so daß der in der Mitte dieses Saales stehende Betrachter sich auf die Insel des japanischen Sees versetzt glauben kann und um sich herum das sehen wird, was er im Garten von Giverny sehen würde."3 Und Thiébault-Sisson schränkte die beabsichtigte Wirkung noch auf einen bestimmten Zeitraum im Tagesablauf ein: "Wenn der Besucher in der Mitte des Saales steht, wird er die Illusion haben, um die Mittagszeit in der Sommersonne auf der kleinen, mit zitterndem Bambus bewachsenen Insel zu stehen, die auf dem Besitz des Künstlers in Giverny in der Mitte des Seerosenteichs liegt."4

Solch einheitliche Illusion kann die in der Orangerie realisierte Installation schon deshalb nicht erzeugen, weil - zumindest im vorderen Raum - es sich um Tafeln mit sehr unterschiedlichen Lichtstimmungen handelt. Der grundlegende Unterschied zum Panorama besteht aber in der anderen Raumsituation. Zunächst sind die Nymphéas in zwei ovalen Räumen installiert. Das polyzentrische Oval hat keinen geometrischen Mittelpunkt, der einen bestimmten Betrachterstandpunkt festlegte. Daraus folgen unmittelbar Polyfokalität und Bewegung. Im ovalen Raum befindet sich der Betrachter immer in unterschiedlichen Entfernungen von den Bildtafeln. Im ständigen Wechsel zwischen Nähe und Ferne definiert sich das Bild nicht mehr als Gegenüber des Auges, "es verliert seine Überschaubarkeit... Die Identität zwischen der veränderlichen Natur und der Impression, dieses alte Ziel schon der früheren impressionistischen Jahre, wird jetzt auf neue Weise formulierbar."5 Monets Zeitgenossen hatten geraten, die Bilder von Ferne zu betrachten. Masson, der 1976 vor dem Hintergrund eines anderen Bildverständnisses mehr den gestischen Aspekt von Monets Malerei im Auge hatte, riet: "Heute sollte man den Rat umkehren: tretet näher heran und berührt mit den Augen den heftigsten Beweis des Wirbels, den der malerische Instinkt hervorruft."6 Aus der Nähe erst wird die Malerei zur "sichtbaren Spur der Bewegungen des Malers".7


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Lucien Descaves: Bei Claude Monet. Zuerst in: Paris-Magazine vom 25. August 1920. In: Stuckey, 1994, S. 278f.

2 Thiébault-Sisson: Die Seerosen von Claude Monet in der Orangerie der Tuilerien. Zuerst in: La Revue de l'art ancien et moderne vom Juni 1927. In: Stuckey, 1994, S. 292.

3 Jean Villemar (Le Monde Illustré, 23. Oktober 1920), zit. nach: Hoog, 1984, S. 39.

4 Thiébault-Sisson: Eine Schenkung Claude Monets an den Staat. Zuerst in: Le Temps vom 14. Oktober 1920. In: Stuckey, 1994, S. 302f.

5 Boehm, 1986, S. 122.

6 Masson (Le rebelle, 1976, S. 131), zit. nach: Rahn, 1978, S. 123.

7 Stoll, 1986, S. 130.


Home

Inhalt

Weiter