Orangerie und Panorama
Der ovale Grundriß und die Zweiteilung der Räume
unterscheidet die Anlage in der Orangerie von den kreisförmigen
Panoramarotunden. Ob Monet ursprünglich eine panoramaähnliche
Illusion hat erzeugen wollen, ist kaum mehr zu entscheiden, es
gibt lediglich einige Hinweise darauf. Die Panoramen lagen historisch
noch nicht allzulange zurück, und so ist es kaum verwunderlich,
daß Clemenceau schon in Monets Seerosenatelier in Giverny
eine Panoramaassoziation hatte: Clemenceau "drehte sich
im Atelier um, berauschte sich an dem Gemälde und rief plötzlich
aus: 'Natürlich! Die Tür stört mich! Man müßte
mit einem Aufzug ins Atelier kommen, der einen genau in die Mitte
bringt!' Und Clemenceau hat recht: Wie es scheint, entspricht
allein das Panorama diesem Gedicht blühenden Wassers".1 Thiébault-Sisson berichtet, daß
es Monets Absicht gewesen sei, eine Panorama-Illusion zu erzeugen:
"Die Ellipsenform, die der Architekt der Nationalmuseen
gewählt hat, entspricht nicht den ursprünglichen Absichten
Monets. Ihm hatte eine riesige Rotunde vorgeschwebt, in deren
Mauern seine Bildtafeln eingelassen wären wie ein Panorama,
und es bedurfte mancher Gespräche zwischen ihm und seinem
'Regisseur', um ihn zu bewegen, in die Ansichten des Architekten
einzuwilligen."2 Auch Jean Villemar beschreibt
Monets Pläne als den Versuch, eine panoramaartige Illusion
zu erzeugen: Monet "möchte einen gesonderten Pavillon
im Garten des Hôtel de Biron, einen runden Saal, wo seine
Bilder an den Boden stoßen und ohne die geringste Trennung
nebeneinander angebracht werden, so daß der in der Mitte
dieses Saales stehende Betrachter sich auf die Insel des japanischen
Sees versetzt glauben kann und um sich herum das sehen wird,
was er im Garten von Giverny sehen würde."3
Und Thiébault-Sisson schränkte die beabsichtigte
Wirkung noch auf einen bestimmten Zeitraum im Tagesablauf ein:
"Wenn der Besucher in der Mitte des Saales steht, wird er
die Illusion haben, um die Mittagszeit in der Sommersonne auf
der kleinen, mit zitterndem Bambus bewachsenen Insel zu stehen,
die auf dem Besitz des Künstlers in Giverny in der Mitte
des Seerosenteichs liegt."4
Solch einheitliche Illusion kann die in der Orangerie realisierte
Installation schon deshalb nicht erzeugen, weil - zumindest im
vorderen Raum - es sich um Tafeln mit sehr unterschiedlichen
Lichtstimmungen handelt. Der grundlegende Unterschied zum Panorama
besteht aber in der anderen Raumsituation. Zunächst sind
die Nymphéas in zwei ovalen Räumen installiert.
Das polyzentrische Oval hat keinen geometrischen Mittelpunkt,
der einen bestimmten Betrachterstandpunkt festlegte. Daraus folgen
unmittelbar Polyfokalität und Bewegung. Im ovalen Raum befindet
sich der Betrachter immer in unterschiedlichen Entfernungen von
den Bildtafeln. Im ständigen Wechsel zwischen Nähe
und Ferne definiert sich das Bild nicht mehr als Gegenüber
des Auges, "es verliert seine Überschaubarkeit... Die
Identität zwischen der veränderlichen Natur und der
Impression, dieses alte Ziel schon der früheren impressionistischen
Jahre, wird jetzt auf neue Weise formulierbar."5
Monets Zeitgenossen hatten geraten, die Bilder von Ferne zu betrachten.
Masson, der 1976 vor dem Hintergrund eines anderen Bildverständnisses
mehr den gestischen Aspekt von Monets Malerei im Auge hatte,
riet: "Heute sollte man den Rat umkehren: tretet näher
heran und berührt mit den Augen den heftigsten Beweis des
Wirbels, den der malerische Instinkt hervorruft."6
Aus der Nähe erst wird die Malerei zur "sichtbaren
Spur der Bewegungen des Malers".7