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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Wirkung: Die Inszenierung der Nymphéas

 

Die Wirkung von Monets Nymphéas hängt nicht nur mit der spezifischen Malweise und der Organisation der Bildtafeln zusammen, sondern zugleich in hohem Maße mit dem für sie geschaffenen Kontext: mit der Inszenierung der Tafeln in den eigens für sie entworfenen Räumen. Der Kontext ist im rezeptionsäthetischen Sinne eine wesentliche Betrachterfunktion von Monets Nymphéas.

Gemalt hat Monet die Nymphéas in seinem Oberlichtatelier in Giverny. Er ließ dieses 12 x 23 m große Atelier 1915 neben seinem Wohnhaus errichten. Dort pflegte Monet die Panneaux kreisförmig nebeneinander aufzustellen (Abb. 2). René Gimpel beschrieb 1918 die Wirkung dieser Anordnung der Panneaux: "Ein Panorama von Wasser und Seerosen, von Licht und Himmel. In dieser Unendlichkeit hatten Wasser und Himmel weder Anfang noch Ende. Es war so, als wären wir in einer der ersten Stunden der Erschaffung der Welt gegenwärtig. Es war geheimnisvoll, poetisch, köstlich unwirklich. Die Wirkung war eigenartig: Es war gleichzeitig angenehm und beunruhigend, auf allen Seiten von Wasser umgeben zu sein und doch nicht davon berührt zu werden."1

Die Vorstellung, Seerosenbilder als panoramaartige Dekoration zu installieren, hatte Monet schon bevor er um 1915 anfing, an den großen Tafeln zu arbeiten. Maurice Guillemot veröffentlichte 1898 einen Bericht über Monets Planungen zu einer Seerosendekoration: "Man stelle sich einen kreisförmigen Raum vor, dessen Wand unterhalb des Stützsockels völlig von einem mit Vegetation übersäten Wasserhorizont eingenommen wird."2 Bereits 1909 läßt Roger Marx Monet von dem Plan berichten, einen kreisförmigen Raum mit einem einzigen Gemälde auszugestalten: "Einmal war ich versucht, dieses Thema der Seerosen für die Ausstattung eines Salons zu nehmen: Über alle Wände hinweg hätte dieses eine Thema die Flächen überzogen und die Illusion eines endlosen Ganzen geschaffen, eines Wassers ohne Horizont und Ufer".3

Die heutige Installation der Nymphéas hatte zuerst einen politischen Anlaß. Monet, dessen Bilder vom Staat nie angekauft worden waren, der nie einen staatlichen Auftrag oder eine Auszeichnung erhalten hatte, machte im Alter von 78 Jahren dem Staat ein erstaunliches Geschenk: 4 Am Tag nach dem Waffenstillstandsabkommen, das den 1. Weltkrieg beendete, schrieb er an Clemenceau: "Ich stehe kurz vor dem Abschluss zweier dekorativer Panneaux, die ich am Tag des Sieges signieren will, und möchte Sie bitten, sie, durch Ihre Vermittlung, dem Staat zu schenken. Es ist nicht viel, aber es ist die einzige Weise, auf die ich am Sieg teilnehmen kann. Ich wünsche, dass diese beiden Bilder im Musée des Arts Décoratifs plaziert werden, und ich wäre glücklich, wenn sie von Ihnen ausgewählt würden."5 Aus diesem Einfall entwickelte sich in Gesprächen mit Clemenceau und Geffroy die Idee zu den 'Grandes Décorations', wie Monet seine Seerosenbilder nannte.

Der Kunsthändler René Gimpel berichtete am 11. Oktober 1920 von einem Besuch bei Claude Monet, der sich nun entschlossen hatte, seine Schenkung auf 12 Gemälde zu erweitern: "Ich werde dem Hôtel de Biron zwölf meiner letzten dekorativen Gemälde schenken, von denen jedes vier Meter zwanzig mißt, aber sie müßten einen Saal bauen, wie ich ihn haben will, nach meinen Plänen".6 Am 14. Oktober 1920 schließlich konnte François Thiébault-Sisson in 'Le Temps' von der Schenkung Monets berichten: "Der Maler Claude Monet hat soeben dem Staat eine Schenkung von unschätzbarem Wert gemacht. Es ist bekannt, daß er seit 1914 seine gesamte Zeit einer Neubearbeitung seiner Serie Seerosen gewidmet hat, die er vergrößert und einem rein dekorativen Zweck angepaßt hat. Die dreißig oder vierzig so entstandenen Kompositionen in einem Format von zwei Metern Höhe und vier Metern Breite unterteilen sich in acht oder zehn Serien, die jeweils einer anderen Farb- oder Lichtwirkung gewidmet sind. Vier dieser Serien schenkt Claude Monet dem Staat, insgesamt 12 Bildtafeln. Nach der Sitzungspause von Senat und Abgeordnetenhaus wird die Regierung ihnen einen Finanzierungsplan für den Bau eines eigenen Gebäudes auf dem Gelände des Hôtel de Biron vorlegen, in dem die Stiftung Claude Monets untergebracht werden soll. In diesem Gebäude, das als Rotunde geplant ist, sollen die zwölf Gemälde fortlaufend nach Serien so an den Wänden angebracht werden, daß für das Auge der Eindruck eines einzigen Bildes entsteht. Zwischen den einzelnen Serien bleiben nur kleine Zwischenräume, die als Ein- und Ausgänge dienen, beziehungsweise dem Eingang und Ausgang symmetrisch gegenüberliegen. Das Glasdach wird so hoch angebracht, daß zwischen dem unteren Rand der Verglasung und den Gemälden genügend Platz bleibt, den Claude Monet jeweils oberhalb der Zwischenräume zwischen den einzelnen Serien mit dekorativen Motiven ausfüllen wird. Der Künstler hat sogar vor, das Vestibül vor der Rotunde mit einer recht großen Komposition zu schmücken."7 Aus Thiébault-Sissons Bericht geht hervor, wie sehr Monet an der Präsentation seiner Arbeit interessiert war, und wie wichtig ihm der Kontext erschien, der seine Nymphéas zur Geltung bringen sollte und der erst eigentlich die Bilder zu den 'Grands Décorations' vervollständigt.

Die ursprünglichen Pläne zur Unterbringung der Nymphéas in einer eigenen Rotunde scheiterten an den Kosten. Clemenceau schlug die Orangerie in den Tuileriengärten als möglichen Ausstellungsort vor. Monet hielt die Räume zunächst für zu klein - im Gegensatz zu der geplanten Rotunde, die einen Durchmesser von 18,5 m hätte haben sollen, maß die Orangerie nur 13,5 m in der Breite - doch schließlich stimmte er zu.

Monet war an der nun folgenden Ausarbeitung der Grundrißpläne beteiligt. Die endgültigen Entwürfe zeigen zwei hintereinanderliegende ovale Räume, verbunden durch zwei seitlich liegende Durchgänge (Abb. 13). In die Räume gelangte man durch ein ebenfalls oval angelegtes Vestibül (Abb. 14). Nach dem Tod Monets wurden die Bildtafeln im April 1927 in den Orangerieräumen installiert. In jedem Raum wurden vier Serien unterschiedlicher Größe - die größeren an den Längswänden setzen sich aus mehreren Tafeln zusammen - direkt auf die Wände geleimt. Zwischen den Tafeln liegen echte oder blinde Durchgänge. Beleuchtet wurde das Ensemble durch natürliches Oberlicht (Abb. 25-27).


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1 René Gimpel, zit. nach: Gordon/Forge, 1985, S. 233.

2 Maurice Guillemot, zit. nach: Gordon/Forge, 1985, S. 223.

3 Monet nach Roger Marx: Claude Monets Seerosen. Zuerst in: Gazette des Beaux-Arts, Juni 1909. In: Stuckey, 1994, S. 266.

4 "Jamais l'État français n'a acheté un tableau à Claude Monet. Jamais il ne lui a fait une commande. S'il a laissé entrer des toiles de lui dans ses Musées, ce fut par l'effet de legs et de donations. Il en a été de même pour les distinctions honorifiques. Manet avait reçu le ruban de la Légion d'honneur par l'initiative, jugée alors très hardie, du ministre Antonin Proust, deux ans avant sa mort. Au cours des années, ce ruban fut donné à Guillaumin, à mis Cassatt, et dans sa viellesse Renoir se vit donner le ruban, puis assez rapidement la rosette et enfin la cravate de commandeur. Rien pour Pissarro, Sisley, Degas, rien pour Monet. A la fin, on y pensa, mais on comprit le ridicule d'offrir le ruban rouge, prodigué à des centaines de petits exposants, à un homme glorieux dans tout l'univers. On essaya aussi de lui désigner un fauteuil à l'académie des Beaux-Arts: il déclina cette politesse tardive et superflue, en souriant. Jusqu'au bout, le patriarche de l'impressionisme sera resté Claude Monet tout court. Et, à quatre-vingt-trois ans, au moment où j'écris ces pages, il met les dernières touches à sa vaste frise décorative des Nymphéas pour en faire cadeau, avec une sereine élégance peut-être mêlée de quelque ironie, à cet État qui ne fit rien pour lui. Ce détachement complète sa belle physionomie morale." (Mauclair, 1924, S. 16.)

5 Monet, zit. nach: Geelhaar, 1986, S. 63.

6 Monet nach René Gimpel: Tagebuch eines Kunsthändlers. 1818-1923. In: Stuckey, 1994, S. 309.

7 François Thiébault-Sisson: Eine Schenkung Claude Monets an den Staat. Zuerst in: Le Temps vom 14. Oktober 1920. In: Stuckey, 1994, S. 302f.


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