Wirkung: Die Inszenierung der Nymphéas
Die Wirkung von Monets Nymphéas hängt nicht
nur mit der spezifischen Malweise und der Organisation der Bildtafeln
zusammen, sondern zugleich in hohem Maße mit dem für
sie geschaffenen Kontext: mit der Inszenierung der Tafeln in
den eigens für sie entworfenen Räumen. Der Kontext
ist im rezeptionsäthetischen Sinne eine wesentliche Betrachterfunktion
von Monets Nymphéas.
Gemalt hat Monet die Nymphéas in seinem Oberlichtatelier
in Giverny. Er ließ dieses 12 x 23 m große Atelier
1915 neben seinem Wohnhaus errichten. Dort pflegte Monet die
Panneaux kreisförmig nebeneinander aufzustellen (Abb. 2). René Gimpel beschrieb
1918 die Wirkung dieser Anordnung der Panneaux: "Ein Panorama
von Wasser und Seerosen, von Licht und Himmel. In dieser Unendlichkeit
hatten Wasser und Himmel weder Anfang noch Ende. Es war so, als
wären wir in einer der ersten Stunden der Erschaffung der
Welt gegenwärtig. Es war geheimnisvoll, poetisch, köstlich
unwirklich. Die Wirkung war eigenartig: Es war gleichzeitig angenehm
und beunruhigend, auf allen Seiten von Wasser umgeben zu sein
und doch nicht davon berührt zu werden."1
Die Vorstellung, Seerosenbilder als panoramaartige Dekoration
zu installieren, hatte Monet schon bevor er um 1915 anfing, an
den großen Tafeln zu arbeiten. Maurice Guillemot veröffentlichte
1898 einen Bericht über Monets Planungen zu einer Seerosendekoration:
"Man stelle sich einen kreisförmigen Raum vor, dessen
Wand unterhalb des Stützsockels völlig von einem mit
Vegetation übersäten Wasserhorizont eingenommen wird."2 Bereits 1909 läßt Roger Marx Monet
von dem Plan berichten, einen kreisförmigen Raum mit einem
einzigen Gemälde auszugestalten: "Einmal war ich versucht,
dieses Thema der Seerosen für die Ausstattung eines Salons
zu nehmen: Über alle Wände hinweg hätte dieses
eine Thema die Flächen überzogen und die Illusion eines
endlosen Ganzen geschaffen, eines Wassers ohne Horizont und Ufer".3
Die heutige Installation der Nymphéas hatte zuerst
einen politischen Anlaß. Monet, dessen Bilder vom Staat
nie angekauft worden waren, der nie einen staatlichen Auftrag
oder eine Auszeichnung erhalten hatte, machte im Alter von 78
Jahren dem Staat ein erstaunliches Geschenk: 4
Am Tag nach dem Waffenstillstandsabkommen, das den 1. Weltkrieg
beendete, schrieb er an Clemenceau: "Ich stehe kurz vor
dem Abschluss zweier dekorativer Panneaux, die ich am Tag des
Sieges signieren will, und möchte Sie bitten, sie, durch
Ihre Vermittlung, dem Staat zu schenken. Es ist nicht viel, aber
es ist die einzige Weise, auf die ich am Sieg teilnehmen kann.
Ich wünsche, dass diese beiden Bilder im Musée des
Arts Décoratifs plaziert werden, und ich wäre glücklich,
wenn sie von Ihnen ausgewählt würden."5
Aus diesem Einfall entwickelte sich in Gesprächen mit Clemenceau
und Geffroy die Idee zu den 'Grandes Décorations', wie
Monet seine Seerosenbilder nannte.
Der Kunsthändler René Gimpel berichtete am 11. Oktober
1920 von einem Besuch bei Claude Monet, der sich nun entschlossen
hatte, seine Schenkung auf 12 Gemälde zu erweitern: "Ich
werde dem Hôtel de Biron zwölf meiner letzten dekorativen
Gemälde schenken, von denen jedes vier Meter zwanzig mißt,
aber sie müßten einen Saal bauen, wie ich ihn haben
will, nach meinen Plänen".6 Am 14.
Oktober 1920 schließlich konnte François Thiébault-Sisson
in 'Le Temps' von der Schenkung Monets berichten: "Der Maler
Claude Monet hat soeben dem Staat eine Schenkung von unschätzbarem
Wert gemacht. Es ist bekannt, daß er seit 1914 seine gesamte
Zeit einer Neubearbeitung seiner Serie Seerosen gewidmet
hat, die er vergrößert und einem rein dekorativen
Zweck angepaßt hat. Die dreißig oder vierzig so entstandenen
Kompositionen in einem Format von zwei Metern Höhe und vier
Metern Breite unterteilen sich in acht oder zehn Serien, die
jeweils einer anderen Farb- oder Lichtwirkung gewidmet sind.
Vier dieser Serien schenkt Claude Monet dem Staat, insgesamt
12 Bildtafeln. Nach der Sitzungspause von Senat und Abgeordnetenhaus
wird die Regierung ihnen einen Finanzierungsplan für den
Bau eines eigenen Gebäudes auf dem Gelände des Hôtel
de Biron vorlegen, in dem die Stiftung Claude Monets untergebracht
werden soll. In diesem Gebäude, das als Rotunde geplant
ist, sollen die zwölf Gemälde fortlaufend nach Serien
so an den Wänden angebracht werden, daß für das
Auge der Eindruck eines einzigen Bildes entsteht. Zwischen den
einzelnen Serien bleiben nur kleine Zwischenräume, die als
Ein- und Ausgänge dienen, beziehungsweise dem Eingang und
Ausgang symmetrisch gegenüberliegen. Das Glasdach wird so
hoch angebracht, daß zwischen dem unteren Rand der Verglasung
und den Gemälden genügend Platz bleibt, den Claude
Monet jeweils oberhalb der Zwischenräume zwischen den einzelnen
Serien mit dekorativen Motiven ausfüllen wird. Der Künstler
hat sogar vor, das Vestibül vor der Rotunde mit einer recht
großen Komposition zu schmücken."7
Aus Thiébault-Sissons Bericht geht hervor, wie sehr Monet
an der Präsentation seiner Arbeit interessiert war, und
wie wichtig ihm der Kontext erschien, der seine Nymphéas
zur Geltung bringen sollte und der erst eigentlich die Bilder
zu den 'Grands Décorations' vervollständigt.
Die ursprünglichen Pläne zur Unterbringung der Nymphéas
in einer eigenen Rotunde scheiterten an den Kosten. Clemenceau
schlug die Orangerie in den Tuileriengärten als möglichen
Ausstellungsort vor. Monet hielt die Räume zunächst
für zu klein - im Gegensatz zu der geplanten Rotunde, die
einen Durchmesser von 18,5 m hätte haben sollen, maß
die Orangerie nur 13,5 m in der Breite - doch schließlich
stimmte er zu.
Monet war an der nun folgenden Ausarbeitung der Grundrißpläne
beteiligt. Die endgültigen Entwürfe zeigen zwei hintereinanderliegende
ovale Räume, verbunden durch zwei seitlich liegende Durchgänge
(Abb. 13). In
die Räume gelangte man durch ein ebenfalls oval angelegtes
Vestibül (Abb. 14). Nach dem
Tod Monets wurden die Bildtafeln im April 1927 in den Orangerieräumen
installiert. In jedem Raum wurden vier Serien unterschiedlicher
Größe - die größeren an den Längswänden
setzen sich aus mehreren Tafeln zusammen - direkt auf die Wände
geleimt. Zwischen den Tafeln liegen echte oder blinde Durchgänge.
Beleuchtet wurde das Ensemble durch natürliches Oberlicht
(Abb. 25-27).