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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Monets Garten

 

Vor dem Malen der Seerosenbilder stand die Anlage des Sujets, des Seerosengartens in Giverny (Abb. 9, 10). Monet lebte von 1883 bis zu seinem Tod im ungefähr achtzig Kilometer nördlich von Paris im Seinetal gelegenen Giverny. Er mietete dort ein Haus mit dazugehörigem Grundstück, das mehr als einen Hektar umfaßt und schräg abfallend bis zum 'Chemin du Roy', einer kleinen Eisenbahnstrecke, verläuft. Monets Garten war eine bewußt gestaltete Umwelt, an der er jahrelang gearbeitet hat. Schon bald nach seinem Einzug ließ er in dem ehemaligen Obst- und Gemüsegarten Blumenrabatten anlegen. Später kaufte Monet das Anwesen und dazu ein Stück Land jenseits der Eisenbahnlinie. Dort legte er 1895 nach zahlreichen administrativen Schwierigkeiten einen Seerosenteich an und ließ eine Holzbrücke bauen. Wassergarten und Brücke sind im Gegensatz zum Blumengarten im japanischen Stil angelegt.1 Die Brücke erhielt ein Spalier für Glyzinien. Die Pflanzen in und um den Wassergarten beschrieb Georges Truffaut 1924 in der Zeitschrift 'Jardinage': "Der von der Epte mit Wasser versorgte Teich ist von Trauerweiden mit goldglänzenden kleinen Zweigen umgeben. Auf seinem Grund und an seinen Ufern spriessen die Pflanzen in grosser Fülle: Heide, Farn, Lorbeerrosen, Rhododendron, Azaleen und Stechpalmen. Die Ufer des Teichs auf der einen Seite sind schattig durch üppige Rosensträucher, und den Teich selbst schmücken alle bekannten Arten von Seerosen. An den kleinen Böschungen blühen sibirische, virginische, japanische Lilien und Gewürzlilien, hervorgehoben durch baumförmige, japanische und einjährige Pfingstrosen, Gruppen von Goldregen, Judasbäume... Eine grosse Bambuspflanzung bildet einen dichten Wald. An den Ufern auch Pestwurz mit riesigen Blättern, verschiedene Farnarten mit zarten und flaumigen rosa und weissen Blüten".2

Monets Garten ist von zahlreichen Besuchern begeistert beschrieben worden. Marcel Proust ließ sich zu Spekulationen verleiten, obgleich er nie dort gewesen ist.3 Arsène Alexandre lieferte eine poetische Beschreibung des Wassergartens: Von den großen runden Blättern der Seerosen bedeckt, sei der Teich verziert "mit den Edelsteinen ihrer Blüten". Er wirke, "wenn die Sonne auf seiner Oberfläche spielt, wie das Meisterwerk eines Goldschmieds, der Legierungen der zauberhaftesten Metalle kombiniert hat."4 Die intensive Wirkung des Gartens hat Monet geplant und gezielt umgesetzt: "In solchen Beeten steckt viel Planung, Können und Wissen um die Gesetze der Harmonie, und durchaus nicht jeder könnte sie so schaffen. Selbst wenn das Prinzip erklärt ist, würde ich meinen Lesern, so geschickte Gärtner sie auch sein mögen, nicht empfehlen, einen Garten à la Monet zu versuchen."5
Der Vergleich mit Monets Werk lag nahe: "Logischerweise", schrieb der Duc de Trévise, "sollte man meinen, daß sich der Garten eines Malers eher aus den Werken erahnen ließe als der eines Schriftstellers, da der eine kopiert und der andere beschreibt; ich ... [hätte gedacht], Renoir liebe die Natur in gepflegtem Zustand, bei ihm hätten die Sträucher glatt gestriegeltes Blattwerk wie es das Gefieder mancher Vögel ist; ich hätte nie geglaubt, daß er die Unordnung braucht und auf seinem Kiesweg Gras wächst; ich hätte gedacht, daß Claude Monet, den das Wirrwarr der Blätter fasziniert, in einem Frühlingswust lebt, und hier zeugt alles von der schönsten Ordnung. Alles ist durchdacht, selbst der Überschwang, selbst die Wildnis: diese fragilen Seerosen ... verdanken wir der sachkundigen Beharrlichkeit des Meisters... Er leitete den Nebenarm der Epte um, und da er wußte, daß die Strömung für seine Wasserpflanzen zu stark war, hat er sie mit einem Gitter vermindert, das er ins Wasser gesteckt hat wie einen Kamm ins Haar. Er entwarf auch die gewölbte Brücke und vervollständigte sie später wie in Japan durch einen Laubengang; und seit alles auf diese Weise angelegt ist, läßt sich der Besitzer, nachdem sein Gärtner morgens in einem kleinen Boot jedes Seerosenblatt untergetaucht hat, um es von Staub zu befreien, dort nieder, ist nur noch Maler und malt mit Feuereifer die Anlage, die er geduldig geschaffen hat."6

Alles Gärtnern sei Landschaftsmalerei, soll Alexander Pope gesagt haben, und Clemenceau bestand darauf, daß Monets Garten zu seinen Werken gezählt werden müsse. Der Garten kann gleichsam als Vorform der gemalten Bilder betrachtet werden: "Die Szenerien, die Monet um den Seerosenteich und entlang der Blumenbeete beobachtete, waren bereits gemalt - das heißt, von seiner Landschaftsgärtnerei erschaffen."7 Die Parallele von Monets Garten zu seinen Gemälden besteht darin, daß auch hier das Geschaute nicht spontan und ohne Ordnung auf die Leinwand geworfen wurde, wie unmittelbar und impulsiv die Bilder auf den ersten Blick auch wirken mögen.


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1 Christian Geelhaar vermutet, daß Monet bei der Anlage seiner Gartens von der japanischen Gartenkunst und ihren Grundsätzen beeinflußt gewesen sein könnte (Monet sammelte seit 1871 japanische Holzschnitte. Seine Sammlung ist heute im ehemaligen Wohnhaus in Giverny ausgestellt.). Die Idee der japanischen Landschaftsgärtner ist, "dass der Garten wie ein Bild erscheinen soll, vollkommen in sich selbst, jede Einzelheit in Harmonie mit dem Übrigen und gleichsam Teil eines Ganzen bildend. In Japan ist der Gärtner eine Art Landschaftsmaler, der wirkliche Bäume, Felsen und Wasser statt Leinwand, Farben und Pinsel braucht." (Charles Holme, 1893 in der Kunstzeitschrift 'The Studio', zit. nach: Geelhaar, 1986, S. 18.)

2 Georges Truffaut in: van der Kemp, 1996, S. 70.

3 "Wenn ich eines Tages ... den Garten von Claude Monet sehen darf, bin ich sicher, daß ich mehr noch als einen Blumengarten einen Garten der Farben und Farbschattierungen sehen werde, einen Garten, der weniger der althergebrachte Garten eines Floristen als der eines Koloristen sein muß, wenn man so sagen kann, Blumen, die ein Ensemble bilden, das nicht ganz der Natur entspringt, da sie so ausgesät sind, daß zur gleichen Zeit nur solche blühen, deren Farbnuancen zueinander passen, die sich endlos zu einer blauen oder rosa Fläche vereinen, und da diese gekonnt umgesetzte Intention des Malers gewissermaßen alles in Nichts auflöst, das nicht Farbe ist, Blumen der Erde und des Wassers, jene zarten Seerosen, die der Maler in erlesenen Bildern gemalt hat für die dieser Garten - der eher eine echte Umsetzung von Kunst als das Modell für ein Gemälde ist, ein Bild, bereits unmittelbar gemalt von der Natur, die vor den Augen eines großen Malers aufleuchtet - eine Art erste, lebendige Skizze ist, oder zumindest die fertige, reizvolle Palette, auf der die harmonischen Farbtöne schon vorbereitet sind." (Marcel Proust: Blendende Pracht. Zuerst in: Le Figaro - Supplément littéraire vom 15. Juni 1907. In: Stuckey, 1994, S. 249.)

4 Arsène Alexandre: Monets Garten. Zuerst in: Le Figaro vom 9. August 1901. In: Stuckey, 1994, S. 221.

5 Arsène Alexandre: Neues von unseren Pariser Korrespondenten. Zuerst in: Courrier de L'Aisne vom 9. Juni 1904. In: Stuckey, 1994, S. 224.

6 Trévise: Die Pilgerfahrt nach Giverny. Zuerst in: La Revue de l'Art ancien et moderne, Januar-Februar 1927. In: Stuckey, 1994, S. 320.

7 "The scenes [Monet] observed around the lily pond and along the flower beds were already painted - that is, created by his landscape gardening." (Shattuck, 1982, S. 37.)


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