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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Monet und gesteigerte Erlebnisbereitschaft

 

Monet sprach sich entschieden dagegen aus, als Visionär bezeichnet zu werden: "Welche Idealvorstellung treibt Sie; und wozu soll es gut sein, mich als Visionär einzustufen? ... Unterstellen Sie mir keinesfalls, ich hätte abwegige, phantastische Absichten. Die Wahrheit ist ganz einfach; meine einzige Tugend ist, daß ich dem Instinkt folge; weil ich die intuitiven, geheimen Kräfte wiederentdeckt und sie habe walten lassen, konnte ich mich mit der Schöpfung identifizieren und in sie vertiefen... Jene, die Abhandlungen über meine Malerei schreiben, meinen, 'ich sei zur höchsten Stufe der Abstraktion und Imagination vorgedrungen, die mit dem Realen verbunden sei.' Mir würde es besser gefallen, wenn sie meine Aufopferung, meine völlige Hingabe sähen. Diese Bilder, ich habe sie gemalt, wie die Mönche in früheren Zeiten ihre Meßbücher ausmalten; sie sind nichts anderem zu verdanken als der Mitwirkung der Einsamkeit und der Stille, nichts anderem als der fieberhaften, ausschließlichen Aufmerksamkeit, die an Hypnose grenzt... Und was bedeutet da schon das Sujet! Ein Moment, ein Aspekt der Natur ist alles, dessen es zum Malen bedarf."1

Monet beschreibt hier seine Apperzeption im Grunde als 'gesteigerte Erlebnisbereitschaft'. Solches kann auch der Haschisch hervorrufen. Alle vom Haschisch ausgelösten Halluzinationen wurzeln im zeitlich und örtlich Gegebenen. Baudelaire bezeichnete den Hanf als 'Vergrößerungsspiegel' von Empfindungen, Neuschöpfer ist er nicht. Die Wirkung des Haschisch äußert sich als erhöhte Schärfe in allen Sinnen. Details erfahren eine gesteigerte Aufmerksamkeit. "Geruch, Gesicht, Gehör und Tastsinn haben in gleicher Weise teil an dieser Steigerung. Die Augen sehen das Unendliche. Das Ohr hört fast unvernehmbare Töne inmitten des größten Tumults. Hier beginnen die Halluzinationen. Die Gegenstände der Außenwelt nehmen langsam, nach und nach, seltsame Erscheinung an; sie deformieren sich und bilden neue Formen. Dann stellen die Zweideutigkeiten sich ein, die Mißdeutungen und die Sinnverlagerungen. Die Töne kleiden sich in Farben, und die Farben enthalten eine Musik. Das, wird man sagen, ist nur etwas durchaus Natürliches, und jedes dichterische Hirn nimmt in seinem gesunden und normalen Zustand leicht diese Analogien wahr. Aber ich habe den Leser ja schon darauf vorbereitet, daß es im Haschischrausch nichts wirklich Übernatürliches gebe. Allein diese Analogien nehmen dann eine ganz ungewohnte Lebhaftigkeit an; sie durchdringen den Geist, füllen ihn aus, übermannen ihn mit ihrem despotischen Wesen."2 Besonders glänzende und leuchtende Dinge können halluzinatorische Empfindungen auslösen. Dazu gehört auch die Vorliebe für schimmernde Reflexe auf stehenden und fließenden Gewässern, "die sich im zerebralen Rausch einiger Künstler so erstaunlich offenbart. Die Spiegel werden ein Scheingrund für diese Träumerei, die einem geistigen Durst ähnlich ist ... Die fliehenden Wasser, die Wasser-Spiele, die harmonisch rauschenden Kaskaden, die blaue Unermeßlichkeit des Meeres: sie wogen, singen, schlummern mit einem unaussprechlichen Reiz. Das Wasser dehnt sich hin wie eine wahre Zauberin, und obwohl ich nicht sehr an die närrischen Rasereien glaube, die der Haschisch verursachen soll, möchte ich doch nicht behaupten, daß die Betrachtung eines klaren, tiefen Brunnens so ganz gefahrlos sei für einen Geist, der die kristallenen Räume liebt, und daß die alte Fabel von der Undine für den Verzückten nicht zu tragischer Wirklichkeit werden könnte."3 Daß Baudelaire hier gleichnishaft poetische Erfahrungen im Angesicht von Naturerscheinungen ausspricht, ist nicht zufällig, denn "Haschisch verdichtet nur gleichsam die Realität - in grundsätzlich gleicher Weise, wie der Künstler das tut - und läßt sie uns in Analogien erleben".4 Gesteigerte Erlebnisbereitschaft kann dazu führen, daß die Persönlichkeit verschwindet, daß es "also zu jener participation mystique [kommt], in der das Ich im Schauen sich selber vergißt, sich selbst in das Geschaute verwandelt, in der das Subjekt mit dem Objekt verschmilzt".5 Es stellt sich eine gleichsam pantheistische Objektivität ein, in der die Betrachtung der Dinge die eigene Existenz vergessen macht. Innen und Außen verschmelzen.


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1 Monet nach Roger Marx: Claude Monets Seerosen. Zuerst in: Gazette des Beaux-Arts, Juni 1909. In: Stuckey, 1994, S. 265.
Albert Wolff schrieb 1886 im Zusammenhang der Einschätzung Monets als Visionär: "Monet ist durchweg ein merkwürdiger Künstler. Manche schätzen ihn als Naturalisten ein, aber im Grunde ist er vor allem ein Träumer. Seine Landschaften sind gewöhnlich eine Ohrfeige in das Gesicht der Natur..., sie ähneln weniger der Natur als einer Art von Vegetation, wie sie ein Halluzinierender erblickt." (Albert Wolff: Internationale Ausstellung. Zuerst in: Le Figaro vom 19. Juni 1886. In: Stuckey, 1994, S. 125.)
Clement Greenberg meint 1957, Monet habe sich zu sehr auf Naturtreue verlassen. Doch "buchstäbliche Naturtreue, die sich allerdings mehr auf seine eigenen Sinneseindrücke als auf die Natur bezog, konnte gelegentlich ein Bild der Kunst erhalten. Monet besaß eher Abenteuergeist als aktive Phantasie, der ihn veranlaßte, seinen Sinneseindrücken auf dem Fuß analytisch zu folgen, wohin sie ihn auch führen mochten. Manchmal war die Genauigkeit, mit der er sie registrierte, so extrem, daß es schon einer Halluzination nahekam und ihn nicht zu gefälliger Schönheit führte, sondern am anderen Ende der erwarteten Wirklichkeit stranden ließ, wo die visuellen Tatsachen zur Phantasmagorie wurden, einer um so überzeugenderen und als Kunst konsistenteren Phantasmagorie, als sie bar jeden Fünkchens Phantasie war." (Clement Greenberg: Claude Monet: Der späte Monet. Zuerst in: Art News, 1957. In: Stuckey, 1994, S. 379.)

2 Baudelaire, 1860, S. 251.
Die von Baudelaire angesprochenen Analogien sind synästhetische Erlebnisse. Untersuchungen zur Synästhesie gibt es bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts, heute erfährt das Phänomen erneut erhöhte Aufmerksamkeit. Synästhesie ist die Miterregung eines Sinnesorgans bei Reizung eines anderen. "Manche Synästhetiker können Buchstaben fühlen, andere Töne in bunten Farben sehen. Die meisten sehen Texte und Zahlen in Farbe. Manchen erscheint die zusätzliche Information wie auf einem Bildschirm vor Augen, bei anderen findet sie im Kopf statt. Eine synästhetische Wahrnehmung ist immer etwas Zusätzliches, niemals überlagert sie andere Wahrnehmungskanäle wie Hören, Sehen oder Schmecken. Sie ist einfach da." (Lange, 1996.) Das Interesse des amerikanischen Neurologen Richard Cytowic an der Synästhesie wurde geweckt, als er in der Kunstgeschichte und Literatur zahlreiche Fälle von Synästhesie entdeckte - Rimbaud beispielsweise, Kandinsky, Rimski-Korsakow und David Hockney waren bzw. sind Synästhetiker. Cytowic entwickelte ein Testsystem, mit dessen Hilfe er die Koppelung von auslösendem Reiz und synästhetischer Wahrnehmung neurologisch untersuchen konnte. Er stellte fest, daß bei einer synästhetischen Wahrnehmung der Stoffwechsel im Kortex, also der Gehirnregion, in der das rationale Denken vermutlich angesiedelt ist, dramatisch zurückging. "Der Neurologe schloß daraus, daß Synästhesie eine Funktion des limbischen Systems sei, also jenes Teils des Gehirns, das für Gefühle und Erinnerungen zuständig ist." (Lange, 1996.) Cytowic vermutet, daß bei Synästhetikern die Zensur im limbischen System durchlässiger ist als bei der Mehrzahl der Menschen. Möglicherweise existiert im Gehirn von Synästhetikern eine ungewöhnliche Verdrahtung, die genetisch bedingt ist.

3 Baudelaire, 1860, S. 265.

4 Gelpke, 1966, S. 137.

5 Gelpke, 1966, S. 137.
Das, was wir 'Ich-Auflösung' nennen, nennt der Mystiker 'Selbst-Transzendenz', was für uns 'Regression' bedeutet, ist für den Mystiker die 'Unio mystica', wir nennen 'Rückzug' was für sie 'Abkehr von der Illusion der Realität' ist. (Vgl. Gelpke, 1966, S. 130.)


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