Impressionismus
Crarys und Hausers Äußerungen umreißen die
theoretischen Voraussetzungen des Impressionismus und zugleich
den wesentlichen Einwand gegen ihn. Die von den Impressionisten
angestrebte "reine Wahrnehmung", bemerkt Max Raphael,
enthalte nicht die Realität des Objekts.1
Deshalb bestimmt Raphael 1913 den Impressionismus als "eine
völlige Nivellierung des Inhalts ... auf ein Mittleres,
auf ein Unbedeutendes, Belangloses; eine Nivellierung nicht nur
des Stoffs, ... sondern vor allem des Gehalts".2
Solcher Mangel an Gehalt resultiere daraus, daß "alle
jene Gefühle [fehlen], die sich allein aus dem Dualismus
von Subjekt und Objekt und aus der Forderung einer zu schaffenden
Einheit herleiten: das Pathos und das Erhabene. Es fehlt aber
auch jene Mannigfaltigkeit von Beziehungen, die über das
individuelle Ich in größere Zusammenhänge hinausweisen:
das Religiöse und das Soziale."3 Aus
all diesen Mängeln heraus konstatiert Raphael, die impressionistische
Daseinsempfindung sei unreflektiert, und er kommt zu dem vernichtenden
Schluß, dem Impressionismus sei keinerlei schöpferische
Kraft zuzuschreiben.
Raphael steht mit seinem Urteil nicht allein. Arnold Hauser kam
vierzig Jahre später zu einem ähnlichen Urteil: "Eine
Welt, deren Erscheinungen sich stets ... verändern, erzeugt
den Eindruck eines Kontinuums, in dem alles zusammenfließt
und in dem es keine anderen Unterschiede gibt als die verschiedenen
Einstellungen und Gesichtspunkte des Beschauers. Eine dieser
Welt angemessene Kunst wird ... im Menschen nicht nur einfach
das Maß der Dinge erblicken, sondern im hic et nunc des
Individuums das Kriterium der Wahrheit suchen... Der Primat des
Augenblicks ... bedeutet ästhetisch ausgedrückt die
Herrschaft der Stimmung über das Leben ... Es äußert
sich in dieser Stimmungshaftigkeit der künstlerischen Darstellung
zugleich eine grundsätzlich passive Haltung dem Leben gegenüber,
ein Sichabfinden mit der Rolle des Zuschauers, des rezeptiven
und kontemplativen Subjekts, ein Standpunkt der Distanzhaltung,
des Zuwartens, des Nichtengagiertseins - mit einem Wort, die
ästhetische Attitüde schlechthin. Der Impressionismus
bedeutet die äußerste Konsequenz der romantischen
Verzichtleistung auf ein praktisch tätiges Leben."4
Nach Hauser bringt die impressionistische Methode eine Reihe
von Reduktionen, Beschränkungen und Vereinfachungen mit
sich. Sie beschränkt die Darstellung auf die Visualität
und eliminiert alles, was nicht optischer Natur ist. Sie verzichtet
auf alle literarischen Elemente. Sie reduziert die darzustellenden
Motive auf Landschaften und Stilleben - bzw. faßt alle
Sujets stillebenhaft auf. Farben zeigt der Impressionismus nicht
gegenstandsgebunden, sondern als abstrakte Phänomene. "Man
kann diese Versachlichung und Neutralisierung der Motive als
den Ausdruck der antiromantischen Gesinnung der Zeit auffassen
und in ihr die vollständige Entheroisierung und Trivialisierung
der künstlerischen Gegenstände erblicken, man kann
sie aber auch als eine Entfernung von der Wirklichkeit betrachten
und die Beschränkung der Malerei auf 'arteigene' Sujets
als einen Verlust vom naturalistischen Standpunkt ansehen."5 Deutlich geht aus Hausers Äußerungen
hervor, daß er 'Wirklichkeit' nicht im Helmholtzschen Sinne
als das, was 'wirkt' begreift, sondern als das, was im wiedererkennenden
Sehen an Wirklichkeitskonstrukten bestätigt wird.
Raphael konstatierte, daß in impressionistischen Spätwerken
noch von der Wirklichkeit der Sinnesdaten abgesehen werde und
die Dinge zugunsten der Atmosphäre zurückträten:
"Man steigert absichtlich, um diese in einer über die
Natur hinausgehenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Unter dem
Einfluß der Japaner befreit man sich allmählich überhaupt
von der gegenständlichen Struktur, um an ein und demselben
Gegenstand die allmählichen Veränderungen der Atmosphäre
um so deutlicher darstellen zu können." Das Ganze nähert
sich immer mehr einer stofflosen Vision. "Der Gesang der
Welten in verzückten Sinnen, das ist ein später Monet
oder Rodin. Daß der Weg in der Vision endete, kann uns
nicht wundern, da wir gesehen haben, daß der Impressionist
dank seiner Negierung des Dualismus von Subjekt und Objekt vom
letzteren nur seinen Schein erfaßte. Damit war die Einheit,
die er im Werk erreichte, dazu verdammt, eine stoffliche zu bleiben
...: in sich unlebendig. Das Wesen des Geistes ... hat die impressionistische
Malerei ... nicht zu finden gewußt und damit innere Lebendigkeit
und Eigenproduktivität nicht erreichen können. Die
Einheit im Werk ist von vornherein keine Organisation aus den
Gesetzen des Geistes und der Materie, sondern eine materiale
Vereinigung derselben und als solche dem Prozeß der Formbildung
entgegengesetzt".6
Raphaels und Hausers Bestimmungen des Impressionismus stehen
hier beispielhaft für die Formulierung einer grundsätzlichen,
als Verlust benannten Abwesenheit vom Begrifflichen - und damit
von allem Geistigen schlechthin. Solche Formulierungen stehen
in der Tradition eines abendländischen Denkens und Philosophierens,
das an der Aufschlußkraft des Sehens für das Erkennen
zweifelt. Sie schließen an den entscheidenden Einwand gegen
das Sehen an, der besagt, daß wahres Erkennen vornehmlich
den Augen des Geistes vorbehalten sei. Das Geistige wird als
Grundlage der abendländischen Kultur angesehen, auf ihm
beruht die Möglichkeit praktisch tätigen Lebens. Dabei
entgeht solch eurozentristischer Sichtweise, daß das Bemühen
um ein 'sehendes Sehen' mit großer Anstrengung verbunden
ist, die nicht etwa mündet in 'Distanzhaltung' und 'Nichtengagiertsein',
sondern im Gegenteil sich um den Abbau von Distanz gegenüber
den Phänomenen bemüht. Eine Sichtweise dagegen, die
in der impressionistischen Daseinshaltung Beschränkung und
Mangel sieht, orientiert sich am Utilitaristischen und Zweckmäßigen.
Doch kann die Abwesenheit von Zweckmäßigem positiv
gewendet werden - als Anwesenheit eines erweiterten Sehvermögens.
Darum hat sich Monet bemüht. Aus vielen Briefen geht hervor,
welche Anstrengung ihn das gekostet hat - abgesehen von den physischen
Gewaltakten, die Monet sich im hohen Alter für die Herstellung
der großen Seerosentafeln abverlangte.