Die Gegenstände in den Nymphéas
Will man die Gegenständlichkeit in den Nymphéas
beschreiben, so gerät man schon nach den ersten zögernden
Schritten in Verwicklungen. Man kann sagen: ein Seerosenteich.
Einzelne Blüten kann man ausmachen, und ovale Blätter
(Abb. 7, 8).
Die Bäume mit den herunterhängenden Zweigen, das sind
unzweifelhaft Trauerweiden (Abb.
23, 24). Also Bäume, könnte man aufzählen,
und Seerosen, und Wasser.
Steht man in Giverny vor dem großen Seerosenteich, dann
ist alles ganz einfach. Es gibt den Wasserspiegel, darauf, gefällig
verteilt, Seeroseninseln (Abb. 9, 10).
Das herausstechendste Merkmal von Wasser in der Natur ist, daß
es sich fast immer bewegt und daß seine spiegelnde Oberfläche
die Umgebung aufnimmt. Und durchsichtig ist es, so daß
man manchmal den Grund sehen kann. Der Teich ist eingebettet
in eine üppig wuchernde Flora. Trauerweiden stehen am Ufer,
ihre Zweige reichen bis auf den Wasserspiegel. Brücken führen
über den Ab- und Zufluß des Teiches. Ordentliche Wege
sind angelegt - bequem kann man den Teich umrunden und auf seinen
Wasserspiegel hinabblicken. Dort sieht man Wolken, Himmelsausschnitte,
reflektierte und reale Pflanzen und wehendes Seegras am Grund
des nicht sehr tiefen Teichs. Spiegelung hin oder her: hier gibt
es ein Oben und ein Unten, der Teich hat einen Ort, vor uns,
inmitten von Monets Anwesen. Hier sind, scheint es, keinerlei
Uneindeutigkeiten.
In der Orangerie ist alles anders. Ein ununterscheidbares Geflecht
bilden die Dinge und die Spiegelungen. Kaum Ufer ist auszumachen,
es gibt keinen Horizont. Da vor den Tafeln die Binokularität
uns nicht weiterhilft und keinerlei Perspektive einen Anhalt
bietet, können wir die Tiefenebenen nicht unterscheiden.
Auf derselben Ebene scheinen die Wolken zu liegen mit dem Seegras
und mit den Wasserrosen. Immer vieldeutiger werden die räumlichen
Verhältnisse. Was eben noch eine feste Farbfläche war,
beginnt als virtuelle Wasserscheibe sich quer in den Raum zu
legen. Was eben noch ein Pinselstrich zu sein schien, fest und
energisch gezogen, wird zum flirrenden Reflex, der sich vor unseren
Augen zu bewegen scheint.
Aus der Nähe betrachtet zerfallen Monets Bilder in unzusammenhängende
Stücke. "Aber aus größerem Abstand betrachtet,
liefern die Landschaften Monets eine Illusion räumlicher
Tiefe, die so überzeugend ist wie die stereoskopischen Fotografien,
die damals als Neuheit die Runde machten. Abhängig vom Standpunkt
des Betrachters kann daher jedes Werk von Monet als reine Malerei
oder auch als reine Illusion betrachtet werden."1
Die veränderlichen und deutenden Sichtweisen der Betrachter
leiten die Erfahrungen vor den Werken ebenso, wie der besondere
Blick des Malers auf die Erscheinung der Dinge.
Monet scheint die Materialität der Farbe, die ebene Leinwand,
die flirrenden Reflexe, die atmosphärischen Verdichtungen
und die ziehenden Wolken in einem Blick gehabt zu haben.
"Wie jeder andere", schreibt Clemenceau, "habe
ich schon festgestellt, daß in der Entfernung von der Leinwand,
wo Monet sich notwendigerweise zum Malen aufstellte, der Beschauer
nur ein wildes Durcheinander von Farben wahrnimmt. Geht er jedoch
einige Schritte rückwärts, so erlebt er, wie auf dieser
selben Leinwand sich die Natur wieder wunderbar zusammenfügt,
sich anordnet mitten im unentwirrbaren Durcheinander vielfarbiger
Flecke, die uns beim ersten Anblick bestürzen."2 Monets Intention war es offenbar nicht, Empfindungsphänomene
nach gegenständlichen Kategorien zu klassifizieren, in eindeutig
Ablesbares zu übersetzen und uns so den zwar illusionären,
doch identifizierbaren Anblick seines Gartenteiches zu bieten.
Er hat das, was in Giverny so eindeutig zu sein scheint, anders
in den Blick gefaßt.