1 Die das Panorama von Anfang
an begleitende Streitfrage, ob es sich um Kunst handele oder
nicht, "ähnelt in vielen Zügen dem Streite, der
ein Jahrhundert später um den Film und zuvor schon um die
Photographie entstand und der heute noch ebensowenig entschieden
ist wie jener Streit um das Panorama jemals entschieden wurde."
(Sternberger, 1955,
S. 220.) Zwei polare Positionen möchte ich hier vorstellen:
Nachdem das erste Panorama in Frankreich 1799 eröffnet wurde,
rief das Institut de France eine Kommission ins Leben, die den
Wert dieser Kunst-Neuheit ergründen sollte. Die Kommission
kam zu einem äußerst positiven Ergebnis, das Ende
1800 im Magazine Encyclopédique in Auszügen veröffentlicht
wurde. 1802 publizierten die Bremer Wöchentlichen Nachrichten
anläßlich einer Panoramaausstellung eine deutsche
Übersetzung:
"Bericht über den Ursprung, Wirkung und Fortgang des
PANORAMA, erstattet dem National-Institut der Künste und
Wissenschaften... Das Panorama ist die Art, ein großes
Bild dergestalt darzustellen, daß das Auge des Anschauers
nach und nach einen ganzen Horizont im Gemälde erblickt,
und vollkommen getäuscht wird. Unsere Sinne, besonders das
Gesicht, unterliegen leicht der Täuschung. Dieses zarte
Organ beurtheilt oft die Gegenstände mit Ungewißheit.
- Größe und Entfernung kann von selben nie ohne Hülfsmittel
beurtheilt werden; und jenes Hülfsmittel ist die Vergleichung;
und wo diese Unterstützung mangelt, ist es immer der Täuschung
unterworfen; oder besser zu sagen, ist immer getäuscht.
Diese Täuschung wird also durch Hinwegräumen aller
Gegenstände (die mit jenen auf dem Gemählde verglichen
werden dürften) hervorgebracht, so daß der Anschauer
zweifeln muß, ob er Natur oder Kunst erblicke. Andere Gemählde
... sind gemeiniglich in Rahmen gefaßt, welche gleich beym
ersten Anblick die Kunst zeigen... Das Auge, welches das Gemählde
genau betrachtet, erhält zwar das Bild dieses Gegenstandes,
es beurtheilt leicht die Größe, Entfernung und Farben
desselben, - und da die Natur doch immer die Kunst übertrifft,
so scheint die Nachahmung nur schwach und unvollkommen - die
Täuschung kann sich nicht festsetzen, oder verschwindet
gar bald. Wenn aber das Auge, wohin es sich immer wenden mag,
im ganzen Horizont ununterbrochene Gegenstände erblickt,
die alle im gehörigen Verhältniß und ganz nach
der Natur dargestellt sind, und selben alle Gegenstände
zur Beurteilung mit andern benommen sind, - dann wird es sich
getäuscht finden, und glauben, ringsumher die wahre Natur
zu erblicken, weil nichts vorhanden bleibt, es aus dem Irrthum
zu bringen... Gleich beym Eintritt in das PANORAMA geschieht
der erste Eindruck auf das Auge mittelst einer Uebersicht eines
ungeheurn Umfanges; und unzählige Gegenstände, welche
ohne Ordnung scheinen, verblenden dasselbe... So groß die
Nachahmung auch ist, so kann doch die Kunst keine völlige
Konkurrenz mit dem Original - der Natur - halten. Aber sobald
sich das Auge an das darinnen herrschende Licht gewöhnt
hat, vergißt selbes den Grad natürlicher Farbenstärke,
und das Gemählde bringt unvermerkt seine Wirkung hervor;
je länger es denn betrachtet wird, je weniger glaubt man
getäuscht zu seyn. Es scheinet, daß diese Erfindung
sich mit Riesenschritten der Vollkommenheit in der Mahlerkunst
annähere. Sie beweiset, daß man durch Wissenschaften
vereinet mit praktischen Kenntnissen dieser Kunst und genau berechnender
Beurtheilungskraft noch neuere Wunderwerke dieser Art hervorbringen
könne... Könnte man nicht diese täuschende Wirkung
auch anderen Gemählden beibringen? welche allein dem Gemählde
den Wert ertheilet... [Wir beschließen] hiermit nach Verdienst
des Gegenstandes, ... daß diese Erfindung unter dem Namen
PANORAMA des Herrn Barcers aus Edenburg ... eine der wichtigsten
für die Künste sey, und den vollkommenen Beyfall und
Unterstützung verdiene." (zit. nach: Oettermann,
1980, S. 115.)
1807 wurde die täuschende Wirkung des Panoramas von J. A.
Eberhard in seinem 'Handbuch der Ästhetik' grundsätzlich
kritisiert. Eberhard verglich die Wirkung des Panoramas mit der
Wirkung des Naturvorbilds. Das Panorama bringe, schrieb Eberhard,
"wie meine Freunde versichern, die täuschendste Wirkung
hervor, die aber, setzen sie hinzu, bald in hohem Grade peinlich,
widerlich und schließlich unerträglich wird. Sie versichern
Beyde, - und Einer von ihnen ist nicht allein ein Kenner, sondern
selbst ein geschickter Künstler, - daß sie bald eine
gewisse Bangigkeit empfunden, die endlich in Schwindel und Übelkeit
übergegangen sei. Sie sind aber auch Beyde etwas nervenschwach...
Meine Theorie der Täuschung macht mir diese Wirkung vollkommen
wahrscheinlich. Nach ihr muß das Panorama gerade desto
unangenehmer auf uns wirken, je vollständiger seine Wirkung
ist. Die vollständigste ist, wenn wir sogar den Schein des
Kunstwerks für die völlige Naturwahrheit halten müssen.
Gerade in dieser Vollständigkeit der Illusion liegen mehrere
Gründe ihrer Widerlichkeit... Da der Mahler nicht für
das Ohr mahlen kann, so hören wir keinen Laut. Ist es Wunder,
daß diese öde Todesstille den Anschauer mit Bangigkeit
erfüllt? Erster Grund! Der Mahler kann ferner nur einen
Augenblick mahlen... Dem Lebendigen [fehlt] nicht nur die willkürliche
Bewegung; der ganzen Scene fehlt auch selbst die stete Naturbewegung,
die unaufhörliche Veränderung des Ortes, der Stellung
der Gestalt, die auch in die ödeste Gegend noch Leben bringt.
Obgleich mein Auge von einem Gegenstande fortgleitet, und dieses
einem jedem eine Art von Bewegung zu geben scheint: so verändern
sie doch ihren Stand und ihre Stellung gegeneinander nicht ...;
die Lichter und die Schatten, die in der Natur so fließend
sind, und mit dem Fortrücken der Sonne, durch jedes Wölkchen,
durch jedes Lüftchen verändert werden, stehen unbeweglich
fest. So ist das vollkommenste Panorama in seinen kleinsten Theilen
bewegungslos! Es ist der todte Leichnam der Natur, nicht der
rohe Naturstoff durch die Kunst belebt und verschönert...
Zweyter Grund der Widerlichkeit des Panorama! Die Genauigkeit
der Perspective, die Richtigkeit der Zeichnung, die Wahrheit
des Helldunkels und der Haltung versetzen mich durch ihren vereinten
Zauber in die Wirklichkeit der Natur, aber die öde Todesstille
und die erstorbene Bewegungslosigkeit stoßen mich daraus
zurück. Ich schwanke zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit,
zwischen Natur und Unnatur, zwischen Wahrheit und Schein. Meine
Gedanken, meine Lebensgeister erhalten eine schwingende, hin
und her gestoßene, schaukelnde Bewegung, die eben so wirkt,
wie das Herumdrehen im Kreise und das Schwanken des Schiffs.
Und so erkläre ich mir den Schwindel und die Uebelkeit,
die den unverwandten Anschauer des Panorama überfällt.
Dritter Grund seiner unangenehmen Wirkung! Zu diesen drey Gründen
kömmt endlich ein vierter, der den andern die ganze Fülle
ihres Gewichtes giebt: die Unmöglichkeit, sich der Täuschung
zu entziehen. Ich fühle mich mit eisernen Banden an sie
gefesselt. Der Widerspruch zwischen dem Scheine und der Wahrheit
ergreift mich; ich will mich durch Berichtigung des trügerischen
Wahnes losreißen; allein ich fühle mich in die Netze
einer widerspruchsvollen Traumwelt verstrickt, und nicht die
sichere Belehrung des Gefühls in der Entfernung des Standortes,
nicht das volle Tageslicht, nicht die Vergleichung mit umgebenden
Körpern kann mich aus dem ängstlichen Traume wecken,
den ich wider meinen Willen fortträumen muß... So
muß also Notwendigkeit und Freyheit bey der Kunsttäuschung
vereinigt seyn ... Damit sie aber beysammen seyn können,
dürfen ihre Blendwerke nicht unwiderstehlich seyn. Die Freyheit
muß sich der Notwendigkeit, wo weit sie es für gut
findet, selbst unterwerfen; wir müssen uns dem Zwange der
Kunst freywillig hingeben; und das werden, das können wir
nicht, wenn uns die Lust nicht festhält. Das Panorama fesselt
aber durch den Zwang des Scheines, nicht durch die süßen
Bande des freyen Vergnügens. Es kann also, wenn es am vollkommensten
ist, das Werk eines großen Talents, aber nie eine schöne
Kunstgattung seyn, die überlegende Vernunft kann ihm ihre
Bewunderung nicht versagen; aber dem Schönheitssinne gewährt
es keine Befriedigung." (Eberhard, zit. nach: Buddemeier,
1970, S. 174f.)
In der zweiten Phase wurde der Kunstcharakter dem Medium mehrheitlich
abgestritten. Ein akademisches Gutachten entschied um 1870, daß
Panorama- und Dioramamaler keine Professoren und akademische
Mitglieder der Malerei sein können: "Der durch seine
Panoramen von Palermo und Calcutta ... bekannt gewordene Maler
Stanfield mußte bei seiner Aufnahme in die Akademie der
Künste in Summersethouse sich feierlich verpflichten, künftig
dergleichen nicht mehr zu machen, da sich dies für ein Mitglied
der Akademie nicht schicke." (Hamburger Nachrichten, 22.
Januar 1833, zit. nach: Oettermann,
1980, S. 187.) Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß
solche, ganz ähnlich konträre Positionen heute die
Diskussionen um den 'Kunstwert' etwa von Computeranimationen,
CD-ROM-Produktionen, Internetkunst und Illusionsräumen des
Cyberspace und der Holographie begleiten.
2 Goethe (1797), zit. nach: Buddemeier,
1970, S. 11.
3 Baudelaire (1859), zit. nach: Kemp, 1992, S. 16.
4 Van Gogh (1881), zit. nach: Poort,
1994, S. 71.
5 Wolfgang Kemp legt dar, daß
die zeitgenössische Kunst trotz allem Nicht-Wirken-Wollen
im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums ein ganzes Register
von Rezeptionsvorgaben hervorbrachte. (Vgl. Kemp,
1992, S. 17.)