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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Der Illusionismus

 


Suspekter noch als der Realismus der Darstellung war den Kritikern die täuschende Wirkung der Panoramen, ihrethalben wurde ihr Kunstcharakter von Beginn an kontrovers beurteilt.1 Die illusionistischen Mittel, mit denen das Panorama seine Wirkung auf Betrachter erzielt, kritisierte schon Goethe als 'barbarische Tendenzen', die dem Publikum nichts mehr zur Imagination übrigließen.2 Baudelaire bezeichnete sie als Kriegslisten, die deshalb funktionierten, "weil das Publikum unfähig ist, sich für die natürliche Taktik echter Kunst zu begeistern."3

Auch Mesdags Panorama wurde von solch strittiger Einschätzung berührt. Durch einen Brief Vincent Van Goghs ist über einen Mitarbeiter Mesdags, den Maler De Bock, folgende Anekdote überliefert: "Obendrein glaube ich, daß er ... wirklich seriöse Arbeit geleistet hat bei dem Panorama und daß dieses auch ... einen guten Einfluß auf ihn haben wird, obwohl er es haßt, dies zuzugeben. In Bezug auf das Panorama sagte er etwas sehr Bezauberndes, was meine Sympathie für ihn erweckte. Du kennst den Maler Destrée. Er hatte sich sehr kleinlich an De Bock gewendet und erzählte ihm, sehr anmaßend natürlich, aber trotzdem zuckersüß und unerträglich herablassend: 'De Bock, sie haben mich auch gefragt, das Panorama zu malen, da es jedoch nicht künstlerisch ist, dünkte es mich richtig, dies abzuschlagen.' Und De Bock daraufhin: 'Herr Destrée, was ist leichter, ein Panorama zu malen oder abzulehnen, ein Panorama zu malen; was ist künstlerischer, es tun oder es nicht tun?'"4

Die kritische Beurteilung der Panoramainszenierung hängt mit deren ausdrücklicher Adressierung an Betrachter zusammen. Von der idealistischen Kunsttheorie wurde das Wirkenwollen als ein der Kunst fremdes Element abgelehnt. Kunstwerke waren in der Autonomieästhetik durch ihr Abgetrenntsein vom Betrachter - eben durch ihre Autonomie - gekennzeichnet. Die Werke galten als in sich selbst vollendet und bedurften, theoretisch, der Betrachter nicht.5 Das Panorama aber ist in seiner gesamten Konzeption auf die Anwesenheit von Betrachtern - nicht nur vor, sondern buchstäblich im Werk - hin angelegt.

 


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 1 Die das Panorama von Anfang an begleitende Streitfrage, ob es sich um Kunst handele oder nicht, "ähnelt in vielen Zügen dem Streite, der ein Jahrhundert später um den Film und zuvor schon um die Photographie entstand und der heute noch ebensowenig entschieden ist wie jener Streit um das Panorama jemals entschieden wurde." (Sternberger, 1955, S. 220.) Zwei polare Positionen möchte ich hier vorstellen:
Nachdem das erste Panorama in Frankreich 1799 eröffnet wurde, rief das Institut de France eine Kommission ins Leben, die den Wert dieser Kunst-Neuheit ergründen sollte. Die Kommission kam zu einem äußerst positiven Ergebnis, das Ende 1800 im Magazine Encyclopédique in Auszügen veröffentlicht wurde. 1802 publizierten die Bremer Wöchentlichen Nachrichten anläßlich einer Panoramaausstellung eine deutsche Übersetzung:
"Bericht über den Ursprung, Wirkung und Fortgang des PANORAMA, erstattet dem National-Institut der Künste und Wissenschaften... Das Panorama ist die Art, ein großes Bild dergestalt darzustellen, daß das Auge des Anschauers nach und nach einen ganzen Horizont im Gemälde erblickt, und vollkommen getäuscht wird. Unsere Sinne, besonders das Gesicht, unterliegen leicht der Täuschung. Dieses zarte Organ beurtheilt oft die Gegenstände mit Ungewißheit. - Größe und Entfernung kann von selben nie ohne Hülfsmittel beurtheilt werden; und jenes Hülfsmittel ist die Vergleichung; und wo diese Unterstützung mangelt, ist es immer der Täuschung unterworfen; oder besser zu sagen, ist immer getäuscht. Diese Täuschung wird also durch Hinwegräumen aller Gegenstände (die mit jenen auf dem Gemählde verglichen werden dürften) hervorgebracht, so daß der Anschauer zweifeln muß, ob er Natur oder Kunst erblicke. Andere Gemählde ... sind gemeiniglich in Rahmen gefaßt, welche gleich beym ersten Anblick die Kunst zeigen... Das Auge, welches das Gemählde genau betrachtet, erhält zwar das Bild dieses Gegenstandes, es beurtheilt leicht die Größe, Entfernung und Farben desselben, - und da die Natur doch immer die Kunst übertrifft, so scheint die Nachahmung nur schwach und unvollkommen - die Täuschung kann sich nicht festsetzen, oder verschwindet gar bald. Wenn aber das Auge, wohin es sich immer wenden mag, im ganzen Horizont ununterbrochene Gegenstände erblickt, die alle im gehörigen Verhältniß und ganz nach der Natur dargestellt sind, und selben alle Gegenstände zur Beurteilung mit andern benommen sind, - dann wird es sich getäuscht finden, und glauben, ringsumher die wahre Natur zu erblicken, weil nichts vorhanden bleibt, es aus dem Irrthum zu bringen... Gleich beym Eintritt in das PANORAMA geschieht der erste Eindruck auf das Auge mittelst einer Uebersicht eines ungeheurn Umfanges; und unzählige Gegenstände, welche ohne Ordnung scheinen, verblenden dasselbe... So groß die Nachahmung auch ist, so kann doch die Kunst keine völlige Konkurrenz mit dem Original - der Natur - halten. Aber sobald sich das Auge an das darinnen herrschende Licht gewöhnt hat, vergißt selbes den Grad natürlicher Farbenstärke, und das Gemählde bringt unvermerkt seine Wirkung hervor; je länger es denn betrachtet wird, je weniger glaubt man getäuscht zu seyn. Es scheinet, daß diese Erfindung sich mit Riesenschritten der Vollkommenheit in der Mahlerkunst annähere. Sie beweiset, daß man durch Wissenschaften vereinet mit praktischen Kenntnissen dieser Kunst und genau berechnender Beurtheilungskraft noch neuere Wunderwerke dieser Art hervorbringen könne... Könnte man nicht diese täuschende Wirkung auch anderen Gemählden beibringen? welche allein dem Gemählde den Wert ertheilet... [Wir beschließen] hiermit nach Verdienst des Gegenstandes, ... daß diese Erfindung unter dem Namen PANORAMA des Herrn Barcers aus Edenburg ... eine der wichtigsten für die Künste sey, und den vollkommenen Beyfall und Unterstützung verdiene." (zit. nach: Oettermann, 1980, S. 115.)
1807 wurde die täuschende Wirkung des Panoramas von J. A. Eberhard in seinem 'Handbuch der Ästhetik' grundsätzlich kritisiert. Eberhard verglich die Wirkung des Panoramas mit der Wirkung des Naturvorbilds. Das Panorama bringe, schrieb Eberhard, "wie meine Freunde versichern, die täuschendste Wirkung hervor, die aber, setzen sie hinzu, bald in hohem Grade peinlich, widerlich und schließlich unerträglich wird. Sie versichern Beyde, - und Einer von ihnen ist nicht allein ein Kenner, sondern selbst ein geschickter Künstler, - daß sie bald eine gewisse Bangigkeit empfunden, die endlich in Schwindel und Übelkeit übergegangen sei. Sie sind aber auch Beyde etwas nervenschwach... Meine Theorie der Täuschung macht mir diese Wirkung vollkommen wahrscheinlich. Nach ihr muß das Panorama gerade desto unangenehmer auf uns wirken, je vollständiger seine Wirkung ist. Die vollständigste ist, wenn wir sogar den Schein des Kunstwerks für die völlige Naturwahrheit halten müssen. Gerade in dieser Vollständigkeit der Illusion liegen mehrere Gründe ihrer Widerlichkeit... Da der Mahler nicht für das Ohr mahlen kann, so hören wir keinen Laut. Ist es Wunder, daß diese öde Todesstille den Anschauer mit Bangigkeit erfüllt? Erster Grund! Der Mahler kann ferner nur einen Augenblick mahlen... Dem Lebendigen [fehlt] nicht nur die willkürliche Bewegung; der ganzen Scene fehlt auch selbst die stete Naturbewegung, die unaufhörliche Veränderung des Ortes, der Stellung der Gestalt, die auch in die ödeste Gegend noch Leben bringt. Obgleich mein Auge von einem Gegenstande fortgleitet, und dieses einem jedem eine Art von Bewegung zu geben scheint: so verändern sie doch ihren Stand und ihre Stellung gegeneinander nicht ...; die Lichter und die Schatten, die in der Natur so fließend sind, und mit dem Fortrücken der Sonne, durch jedes Wölkchen, durch jedes Lüftchen verändert werden, stehen unbeweglich fest. So ist das vollkommenste Panorama in seinen kleinsten Theilen bewegungslos! Es ist der todte Leichnam der Natur, nicht der rohe Naturstoff durch die Kunst belebt und verschönert... Zweyter Grund der Widerlichkeit des Panorama! Die Genauigkeit der Perspective, die Richtigkeit der Zeichnung, die Wahrheit des Helldunkels und der Haltung versetzen mich durch ihren vereinten Zauber in die Wirklichkeit der Natur, aber die öde Todesstille und die erstorbene Bewegungslosigkeit stoßen mich daraus zurück. Ich schwanke zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit, zwischen Natur und Unnatur, zwischen Wahrheit und Schein. Meine Gedanken, meine Lebensgeister erhalten eine schwingende, hin und her gestoßene, schaukelnde Bewegung, die eben so wirkt, wie das Herumdrehen im Kreise und das Schwanken des Schiffs. Und so erkläre ich mir den Schwindel und die Uebelkeit, die den unverwandten Anschauer des Panorama überfällt. Dritter Grund seiner unangenehmen Wirkung! Zu diesen drey Gründen kömmt endlich ein vierter, der den andern die ganze Fülle ihres Gewichtes giebt: die Unmöglichkeit, sich der Täuschung zu entziehen. Ich fühle mich mit eisernen Banden an sie gefesselt. Der Widerspruch zwischen dem Scheine und der Wahrheit ergreift mich; ich will mich durch Berichtigung des trügerischen Wahnes losreißen; allein ich fühle mich in die Netze einer widerspruchsvollen Traumwelt verstrickt, und nicht die sichere Belehrung des Gefühls in der Entfernung des Standortes, nicht das volle Tageslicht, nicht die Vergleichung mit umgebenden Körpern kann mich aus dem ängstlichen Traume wecken, den ich wider meinen Willen fortträumen muß... So muß also Notwendigkeit und Freyheit bey der Kunsttäuschung vereinigt seyn ... Damit sie aber beysammen seyn können, dürfen ihre Blendwerke nicht unwiderstehlich seyn. Die Freyheit muß sich der Notwendigkeit, wo weit sie es für gut findet, selbst unterwerfen; wir müssen uns dem Zwange der Kunst freywillig hingeben; und das werden, das können wir nicht, wenn uns die Lust nicht festhält. Das Panorama fesselt aber durch den Zwang des Scheines, nicht durch die süßen Bande des freyen Vergnügens. Es kann also, wenn es am vollkommensten ist, das Werk eines großen Talents, aber nie eine schöne Kunstgattung seyn, die überlegende Vernunft kann ihm ihre Bewunderung nicht versagen; aber dem Schönheitssinne gewährt es keine Befriedigung." (Eberhard, zit. nach: Buddemeier, 1970, S. 174f.)
In der zweiten Phase wurde der Kunstcharakter dem Medium mehrheitlich abgestritten. Ein akademisches Gutachten entschied um 1870, daß Panorama- und Dioramamaler keine Professoren und akademische Mitglieder der Malerei sein können: "Der durch seine Panoramen von Palermo und Calcutta ... bekannt gewordene Maler Stanfield mußte bei seiner Aufnahme in die Akademie der Künste in Summersethouse sich feierlich verpflichten, künftig dergleichen nicht mehr zu machen, da sich dies für ein Mitglied der Akademie nicht schicke." (Hamburger Nachrichten, 22. Januar 1833, zit. nach: Oettermann, 1980, S. 187.) Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß solche, ganz ähnlich konträre Positionen heute die Diskussionen um den 'Kunstwert' etwa von Computeranimationen, CD-ROM-Produktionen, Internetkunst und Illusionsräumen des Cyberspace und der Holographie begleiten.

2 Goethe (1797), zit. nach: Buddemeier, 1970, S. 11.

3 Baudelaire (1859), zit. nach: Kemp, 1992, S. 16.

4 Van Gogh (1881), zit. nach: Poort, 1994, S. 71.

5 Wolfgang Kemp legt dar, daß die zeitgenössische Kunst trotz allem Nicht-Wirken-Wollen im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums ein ganzes Register von Rezeptionsvorgaben hervorbrachte. (Vgl. Kemp, 1992, S. 17.)


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