Darstellung des panoramatischen Blicks im Panorama
Der panoramatische Blick, der seinen Ausgang nahm im Versuch
der Beherrschung und Vereinnahmung fremden Terrains, wird in
der historischen Erscheinung 'Panorama' inszeniert. Im Modell
wird die überblickshafte Beherrschung der Landschaft, für
die der Horizont das nachhaltigste Zeichen ist, nachgebaut. Im
Panorama werden die zum Erlebnis des Horizonts notwendigen Elemente
konstruiert: "Da ist die Plattform, die man von unten erreicht
... von hier hat man den freien und ungehemmten Blick auf den
Horizont, der durch die Leinwand nachgebaut ist. So wird, wie
in einer physikalischen Versuchsanordnung, die Erfahrung des
Horizonts permanent und für jedermann nachvollziehbar parat
gehalten."1 Die gedachte, zeichenhafte
Linie des Horizonts wird als wirkliche Grenze des Blicks im Panorama
hergestellt. "Das Panorama ist die Schnittstelle zwischen
Supervision (der bloß vorstellbaren und gedanklich repräsentierbaren
Totalität) und der Miniaturisierung (der modellhaften Reduktion
einer Totalitätserfassung). Was das Panorama als historische
Bildgattung so interessant macht, ist diese Gleichzeitigkeit
von Ausweitung und Reduktion, ... von intendierter Ansicht des
Ganzen und faktischer Beschränkung auf den geschlossenen
Horizont."2 Das Panorama "vermittelt
dem Betrachter die Möglichkeit, zugleich Bestandteil eines
Gesamtzusammenhangs zu sein in je notwendig beschränkten
Welten, diese Welt aber gleichzeitig von außen betrachten
zu können, als bilde er sie durch seinen Blick erst selbst.
Die Bildgattung Panorama bietet dem panoramatischen Blick die
Bestätigung, daß jede Totalität durch ihre Wahrnehmung
konstituiert wird und daß dieser wahrnehmende Blick gleichzeitig
nur so lange aufrechterhalten werden kann, wie er auf sich selbst
zurückführt."3 Der panoramatische
Blick ist in einer Weise konstruiert (d.h. er basiert auf Wissensstrukturen),
wie das Gemälde im Panorama auf einer konstruktiven Basis
beruht. In solch konstruierter und deshalb reduzierter Anschauung
fußt die Vereinnahmung der Dinge. "Die Anschauung
kann deswegen über die Gegenstände verfügen, weil
sie sieht, was sie immer schon weiß."4
Die der Verfügbarkeit implizite Beschränkung ist im
Panorama real gebaut durch eine Form der Inszenierung, die den
Betrachter vollkommen umgibt (Abb. 15).
Das Panorama bietet scheinbar den freiesten Blick auf unverstellte
Landschaft, gleichzeitig umstellt es den Betrachter vollkommener
als alle anderen Versuche bildlicher Wiedergabe von Landschaft
zuvor. Das Panorama ist "ein vollkommener Kerker des Blicks.
Nirgends kann er über einen Rahmen hinausschweifen, weil
es keinen Rahmen gibt... Und ebenso unentrinnbar ist die Natur
dem panoramatischen Blick, wie er in den Rundgemälden geübt
wird, ausgeliefert."5
Das Panorama als "Lernmaschine"6 ermöglichte
dem zeitgenössischen Publikum das Einüben panoramatischen
Sehens und zugleich erzeugte es solches Sehen. Die Erfahrung
des Horizonts, meint Oettermann, sei zu komplex und zu emotionsbeladen
gewesen, als daß sie sich direkt hätte benennen und
reflektieren lassen. "Dazu mußte sich erst einen neue,
von dieser noch unbegriffenen Erfahrung evozierte Kunstform zwischen
die direkte Erfahrung und das Begreifen dieser Erfahrung schieben."
Erst das Panorama soll diese Erfahrung in ihrer ganzen Komplexität
adäquat in eine künstlerische Form umgesetzt zu haben,
"um so in einer Art erster Abstraktion das Begreifen möglich
zu machen."7 So ist es folgerichtig, daß
ein terminus technicus der neuen Kunstform und der damit einhergehenden
Weise der Erfahrung den Begriff lieferte: Panorama.