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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Landschaft als Handlungsraum

 

Als Handlungsraum und als Folie für Bewegungen dient die Landschaft in Mesdags Panorama. Mag es auch Mesdags Anliegen gewesen sein, die Natur sprechen zu lassen, so spräche doch eine kultivierte Natur. Sie ist von den Bewegungsbahnen der Dampfschiffe, Kutschen und Eisenbahnen durchzogen. In den dargestellten Bewegungsbahnen im Panorama sind die Blickbahnen der Betrachter vorentworfen; im rezeptionsästhetischen Sinne fungieren sie als Betrachterfunktionen und ermöglichen und lenken potentielle Betrachtererfahrung. Die sich über die Panorama-Leinwand erstreckende Topographie, schreibt Schivelbusch über die frühen Panoramen, sei "durch ein Netz von Blickbahnen in einer Weise erschlossen, wie es schon wenig später die wirkliche Landschaft dank eines neuen Verkehrsnetzes sein wird. Die Mobilisierung und Regulierung der Blicke mit Hilfe der Massenmedien antizipiert und reflektiert die wenig später erfolgende Mobilmachung der Körper in den neuen Transportmitteln und -wegen."1 So interpretiert Schivelbusch Mediengeschichte in pädagogisch relevanter rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht. Massenmedien wie die Panoramen sind didaktische Modelle, indem sie eine Weise der Weltwahrnehmung entwerfen, die auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit zurückwirkt. Diese Wirklichkeit bot nun einen neuen Erfahrungskontext, indem technologische Entwicklungen wie die Eisenbahn die im didaktischen Modell vorgebildete Wahrnehmungsweise bestätigten und beförderten. "Die Eisenbahn", sagt Sternberger, "bildet die neu erfahrbare Welt der Länder und Meere selbst zum Panorama aus."2

Für die Panoramabetrachter des späten 19. Jahrhunderts war die Erdoberfläche durch die Verwendung neuer Transportmittel zum geographischen Raum geworden. Die Blicke überfliegen den Raum. "Die Geschwindigkeit und mathematische Geradlinigkeit, mit der [die Eisenbahn] durch die Landschaft schießt, zerstören das innige Verhältnis zwischen Reisendem und durchreistem Raum. Der Landschaftsraum wird ... zum geographischen Raum"3 , in welchem Details auch vorkommen, durch die er aber nicht konstituiert wird. Das Panorama, das die von Bewegungen durchzogene Erdoberfläche spiegelt ist ein entworfener, strukturierter Raum. Dadurch potenziert es gewissermaßen den kultivierten Landschaftsraum. "Die Ruhelosigkeit ... wie sie von den neuen Verkehrsmitteln ... ausgeh[t], wird vom Panorama in eine geordnete, gerichtete, kurz, in eine beruhigende Mobilität überführt."4


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 1 Giersch, 1993, S. 96.

2 Sternberger, zit. nach: Schivelbusch, 1977, S. 60.

3 Schivelbusch, 1977, S. 52.
Die Geschwindigkeit trennt den Reisendem vom Raum, dessen Teil er bis dahin gewesen war. Die Geschwindigkeit schränkt das Sehen ein. Die Reisenden sehen nur mehr eine verflüchtigte Landschaft. Die Flüchtigkeit des Vorüberziehenden ermöglicht die überblickshafte Erfassung des Ganzen. "Der panoramatische Blick gehört ... nicht mehr dem gleichen Raum an wie die wahrgenommenen Gegenstände. Er sieht die Gegenstände, Landschaften usw. durch die Apparatur hindurch, mit der er sich durch die Welt bewegt." Die Bewegung, die die Apparatur herstellt, geht in den Blick ein, der folglich nur noch mobil sehen kann. "Die Mobilität ... ist für den panoramatischen Blick die Grundlage der neuen Normalität. Eine Erfahrung von Verflüchtigung gibt es für diesen Blick nicht mehr, weil die verflüchtigte Wirklichkeit seine neue normale Wirklichkeit geworden ist". (Schivelbusch, 1977, S. 61f.)

4 Giersch, 1993, S. 96.


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