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Gabriele Schmid:  Illusionsräume
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Georama und Weltmodell

 

Offenkundig wird die Modellhaftigkeit des Panoramas in einem seiner Abkömmlinge, dem Georama (Abb. 17). Hier vollzog sich eine ganz spezielle 'kopernikanische Wende'. Man kann diese Entwürfe, etwas überspitzt, als nahezu perfekte Illustrationen kantischer Subjekte betrachten, die die Idee des Globusses aus dem Innern der Kugel heraus entwerfen.

Der englische Geograph und Kartograph James Wyld entwarf um 1850 den 'Great Globe' (Abb. 16). "Das Gebäude des Great Globe bestand aus einer riesigen Hohlkugel von etwa 40 Fuß (= 12,2m) Durchmesser, auf deren Innenseite die Erdoberfläche im Relief plastisch und maßstabsgetreu nachgebildet worden war (Maßstab: 10 Meilen = 1 Inch in der Horizontalen; die Erhebungen wurden dreifach überhöht dargestellt)."1 Die konkave Erdoberfläche konnte von vier übereinanderliegenden Plattformen aus besichtigt werden. "Um den Eindruck eines wie einen Handschuh auf links gezogenen Universums perfekt zu machen, war die Kuppel des Great Globe außen mit goldenen Sternen bemalt."2

Die Erfindung des Great Globe geht auf den Franzosen Delanglard zurück. Er versuchte das Problem zu lösen, "das bei allen normalen Globen auftaucht, daß nämlich niemals die ganze Erdoberfläche 'auf einen Blick' zu erfassen war."3 Um eine geschlossene Einheitlichkeit des Eindrucks zu erzeugen, hatte Delanglard die Idee, "die Erdoberfläche statt auf einer Kugel in einer Kugel darzustellen, wodurch sie sich ohne schwerwiegende Verzerrungen der Proportionen bequem ... einem im 'Mittelpunkt der Erde' stehenden Betrachter darbieten"4 konnte (Abb. 17). Im Unterschied zu den Panoramen war die Illusionierung der Betrachter hier nicht intendiert. Sie glaubten selbstverständlich nicht, die Welt vor sich zu haben, wohl aber suggerierten die Georamen deren Überschau- und Beherrschbarkeit.

Die Horizontlosigkeit der Georamen zeigt am deutlichsten den Wunsch nach Überschaubarkeit der Welt. Die Darstellung der Welt als einer Totalität ist nur durch mathematisch begründete Projektion der Ganzheit auf ein Modell möglich. Georamen und Panoramen sind Modelle der Welt. Da die Totalität der Welt nicht 1:1 abgebildet werden kann, nennt Bazon Brock das Modell Panorama 'Miniatur'.5 In der Neuzeit wurde die Blickgrenze des Horizonts durch die Bewaffnung des Auges mit optischen Erweiterungen hinausgeschoben. Doch "schon den Seefahrern des 15. Jahrhunderts wurde klar, daß die Erweiterung des Blicks ... nicht mehr vom Auge geleistet werden konnte, sondern von einer modellhaften Vorstellung horizontloser Welt, deren bestimmbare Verfassung nicht mehr sichtbar, sondern denkbar war."6
Der Globus bildet die neuzeitliche Idee von der Welt ab. Peter Sloterdijk7 beschreibt am Beispiel des Globusses den menschengemachten Raum. Der Raum der modernen Europäer im 15. Jahrhundert wuchs, weil sie es verstanden, neue Räume in neue Routinen umzuwandeln, weniger, weil sie neue Räume entdeckt hätten. Maßgeblich ist die Erschließung erweiterter Möglichkeitsräume. "Die Welt ist nicht alles, was überhaupt zu entdecken wäre, sondern alles, was in Aktionsroutinen einzubauen ist... [Globen] stellen nicht nur die Erde als geologische Monade vor den Augen europäischer Expansionisten mehr oder weniger richtig dar; sie stellen auch in gewisser Weise die Erde als Aktionsfolie der Neuzeitmenschen erst wirklich her."8 Der Globus ist das Zeichen eines Zeitalters, "in dem alle Erdpunkte unter dem Leitgedanken gleichmäßiger Erreichbarkeit und Ausbeutbarkeit dargestellt werden ... Der Globus ist die Erde, insofern er die völlige Verwendung der Erde für die menschliche Geschichte auf ihr zum Vorschein bringt. Der totalen Verwendung der Erde geht die Globus-Lektion voraus, nach der alle Punkte der Erdoberfläche sich durch das Postulat der homogenen Verfügbarkeit beschreiben lassen."9 Die Erde verwenden bedeutet, sie "als Folie für den Weltverkehr in Ansatz bringen - als Hintergrund für Durchfahrten, als Boden für Überquerungen, als Trägerin für Transporte."10 Der Globus ist das Modell des menschengemachten Raums. Ein solches Modell ist auch das Panorama. Das Vermittlungsziel der Modelle besteht darin, den Betrachtern die Beherrschbarkeit der realen Vorbilder zu suggerieren, und sie glauben machen, die Welt stehe unumschränkt und gefahrlos als Handlungsraum zur Verfügung.

 


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 1 Oettermann, 1980, S. 72.

2 Oettermann, 1980, S. 73.

3 Oettermann, 1980, S. 73.

4 Oettermann, 1980, S. 73.
Delanglard eröffnete 1826 in Paris sein Georama, "ein Globus von mehr als 30 Metern Umfang, in dessen Innerem sich zwei, über eine Treppe erreichbare Betrachterplattformen befanden. Die Erdkugel bestand aus einer gefirnißten Leinwand (so daß Licht durch sie hindurchscheinen konnte), auf die in Wasserfarben die Geographie aufgemalt war." (Oettermann, 1980, S. 74.)

5 Brock, 1995, S. 70f.

6 Brock, 1995, S. 68.

7 Sloterdijk beschreibt in 'Neuzeit - Tatzeit - Kunstzeit' (Sloterdijk, 1996) die Moderne als das 'Weltalter des menschengemachten Ungeheuren'. Die Theorie der Moderne, meint Sloterdijk, könne keine Metaphysik im alten Stil mehr sein. Jene habe das Seiende als Ganzes ausgelegt: "Die klassische Metaphysik war auf das Unternehmen eingeschworen, den Menschen als zeitweiligen Einwohner eines zeitlosen Welthauses zu verstehen." In der vorneuzeitlichen Metaphysik war das Ungeheure eine Möglichkeit Gottes. Die moderne Theorie nimmt ihren Ausgang von der Ungeheuerlichkeit des Menschenmöglichen. Die Neuzeit ist "die Epoche des Auszugs aus dem Haus des Seins. Sie ist die Tatzeit des Ungeheuren." (Sloterdijk, 1996, S. 42f.)

8 Sloterdijk, 1996, S. 44f.

9 Sloterdijk, 1996, S. 45f.

10 Sloterdijk, 1996, S. 46.


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