Geschichte des Horizonts
Der Terminus Horizont1 entstammt der antiken
Astronomie. Der Horizont spielt in der jüdischen und christlichen
Philosophie des Mittelalters eine Rolle, er taucht auf in den
Feldern der Schöpfungslehre, der Mystik, der philosophischen
Psychologie, der Anthropologie und in der Staatslehre. In der
Neuzeit nimmt er erkenntnistheoretische Bedeutung an.
Im 13. Jahrhundert findet der Terminus bei Wilhelm von Auvergne
ein erstes erkenntniskritisches Moment. Der Horizont wird beschrieben
als ein Kreis, der zwei Hemisphären teilt. Eine davon ist
dem Blick notwendig entzogen. Deshalb setzt der Horizont der
Sicht eine Grenze.
Thomas von Aquin gibt dem Terminus eine anthropologische Bedeutung.
Er begreift den Menschen als Horizont. Da der Mensch aus geistiger
und körperlicher Natur besteht, hat er gewissermaßen
die Grenze beider Naturen inne. Die Definition des Menschen als
Horizont begründet seine Sonderstellung gegenüber der
reinen Vernunft und gegenüber dem Tier. Dante knüpft
an Thomas von Aquin an: "Unter allem was ist hat allein
der Mensch die Mitte zwischen dem Vergänglichen und dem
Unvergänglichen inne; deswegen wird er von den Philosophen
zu Recht mit dem H[orizont] verglichen, der die Mitte der zwei
Hemisphären ist".2
In der Neuzeit wird der Horizont der metaphysisch-anthropologischen
Bedeutung entkleidet und zunächst wieder ganz auf das Gebiet
der Astronomie und Geographie beschränkt. Die astronomische
Bedeutung bestimmt den Sprachgebrauch so stark, daß Baumgarten,
Kant und noch Krugs Lexikon von 1833 die abstrakte Bedeutung
als Übertragung eines konkreten Begriffs auf den geistigen
Gesichtskreis verstehen. Die neuzeitliche Verwendung knüpft
weniger an den philosophischen Gebrauch des Terminus' im Mittelalter
an, sondern erscheint als Resultat einer zweiten, eigenständigen
Übernahme aus der Astronomie. An die Stelle der metaphysischen
Bedeutung tritt als wichtigstes Anwendungsgebiet die Erkenntnistheorie.
Es ändert sich die anthropologische Bedeutung: Der Horizont
dient nicht mehr dazu, "dem Menschen seinen Platz in einem
geordneten Kosmos gleichsam von außen anzuweisen, sondern
wird zur Selbstbestimmung seines Erkenntnis- und Wirkungsbereiches
verwendet."3 Im Vordergrund der neuzeitlichen
Anthropologie steht nicht mehr die Wesensbestimmung des Menschen,
sondern die Frage nach seinen Möglichkeiten: "Der Mensch
ist nicht mehr, sondern hat einen H[orizont], den
er durch Reflexion auf das eigene Bewußtsein selbst bestimmt."4