Zurück
Gabriele Schmid:  Illusionsräume
Home

 

Quantenphänomene und Bohms Quantenpotential

 

Quantenphänomene werden von verschiedenen Denkschulen unterschiedlich beurteilt. Die lange Zeit unter Physikern populärere Betrachtungsweise, die 'Kopenhagener Schule', basiert auf den Annahmen Nils Bohrs. Man müsse, meint diese Partei, das Verständnis der Photonen und aller anderen Elementarteilchen grundlegend verändern. Es mache keinen Sinn, von Photonenbahnen zu sprechen, sondern als Photon sei das anzusehen, was man als Überlagerung aller möglichen Bahnen beschreiben kann. Der Überlagerungszustand ersetzt in diesem Denkmodell das aus der klassischen Physik vertraute Bahnkonzept.

David Bohm deutet Quantenphänomene anders und, wie Zajonc meint, traditioneller, denn er beharrt auf Bahnen und realen Weggeschichten. Bohm erklärt die paradoxen Eigenschaften der Quanten, indem er eine neue Größe jenseits der traditionellen Welt der Teilchen (Elektronen und Quarks) und Felder (Gravitation, Elektromagnetismus) einführte: das Quantenpotential. Dieses, meinte Bohm, lenke die Bahn der Photonen. Es wirke nicht direkt auf Objekte ein, sondern liefere ihren Bewegungen die notwendigen Informationen; es übe keine Kraft aus und sei mit physikalischen Mitteln nicht direkt zu entdecken. Hauptmerkmal des Quantenpotentials ist die Nichtlokalität.

Es gibt also zwei Möglichkeiten: "Entweder man versteht das Photon als nichtklassisches Quantenobjekt und verzichtet damit auf alle sinnvollen Aussagen über seine Geschichte, oder man bevölkert den Raum wie Bohm ... mit einem neuen quantenmechanischen, nichtlokalen Äther. Nach der einen Auffassung [der von Bohm] befindet sich der quantenmechanische Wirklichkeitscharakter in einem verborgenen Medium ..., nach der anderen ist er in das Photon selbst integriert... Die eine Auffassung gibt die Geschichte zugunsten einer 'Quantenrealität' auf, die andere schlägt eine neue 'implizite Ordnung' vor, wie Bohm sie nennt, von der unsere Wirklichkeit nur eine partielle Projektion ist."1

Als David Bohm seine Laufbahn begann, befand er sich im Einklang mit der Bohrschen Denkschule. Nils Bohr hatte postuliert, daß es sinnlos sei, von den Eigenschaften und Merkmalen eines Teilchens zu sprechen, die angeblich vor der Beobachtung existierten, wenn dieses Teilchen erst bei der Anwesenheit eines Beobachters existent wird. Einstein empfand Bohrs Schlußfolgerung, daß Teilcheneigenschaften nicht existieren, bevor sie beobachtet werden, als besonders fragwürdig, denn das impliziert, daß subatomare Teilchen in einer Weise ineinander verwoben sind, die Einstein nicht für möglich hielt. Schlußendlich liefe diese Art des Verwobenseins auf eine Überwindung der Zeitbarriere hinaus. Bohr mußte sich also nach Einsteins Meinung im Irrtum befinden.

David Bohm begann in den vierziger Jahren in Berkeley mit Plasmaforschungen. Plasma ist ein Gas, das eine hohe Dichte von Elektronen und positiven Ionen aufweist. Bohm stellte fest, daß die Elektronen, sobald sie sich im Plasma befanden, aufhörten, sich wie Individuen zu verhalten. Sie benahmen sich, als seien sie Teil eines in sich verwobenen Ganzen. Bohm fand heraus, daß die scheinbar willkürlichen Bewegungen einzelner Elektronen eine hochorganisierte Gesamtwirkung zu zeitigen vermochten, fast so, als handele es sich um einen lebendigen Organismus. Bohm bezeichnete diese Kollektivbewegungen als Plasmonen.

Die Annahme eines Quantenpotentials lieferte Bohm eine Erklärung für die Kollektivbewegungen der Plasmen. Bohm stellte die These auf, das Quantenpotential bilde eine tiefere Realitätsebene unterhalb der Quanten, es durchdringe - wie die Schwerkraft - den gesamten Weltraum, doch nehme sein Einfluß im Unterschied zu Schwerkraftfeldern nicht mit der Entfernung ab.
Das Quantenpotential wies Merkmale auf, die Bohm eine radikale Abkehr vom orthodoxen naturwissenschaftlichen Denken nahelegten. Die geschlossene Quantenaktivität steht nach Bohm der organisierten Funktionseinheit eines Lebewesens näher als jener Geschlossenheit, die durch den Zusammenbau der Teile einer Maschine zustandekommt. Die klassische Naturwissenschaft hatte den Zustand eines Systems als das Ergebnis der Wechselwirkung seiner Teile aufgefaßt. Aus dem Quantenpotential ging hervor, daß das Verhalten der Teile vom Ganzen organisiert wurde. Das erklärte, warum sich Elektronen in Plasmen wie miteinander vernetzte Ganzheiten verhalten.

Aus Bohms Interpretation der Quantenphysik ergibt sich, daß die Örtlichkeit auf der Ebene unterhalb der Quanten aufhört zu existieren. "Alle Punkte im Raum werden allen anderen Punkten im Raum gleich, und man kann somit nicht mehr davon sprechen, daß irgend etwas von etwas anderem getrennt oder unabhängig ist."2 Diese Annahme hatten schon Experimente mit Zwillingsteilchen nahegelegt, die auf unerklärliche Weise über lange Strecken miteinander in Verbindung zu stehen schienen. Bohms Bild der Realität entspricht nicht mehr einem Zustand, in dem subatomare Teilchen unabhängig voneinander durch die Leere des Alls schießen, sondern einem, in dem alle Dinge Bestandteile eines zusammenhängenden Netzes und in einen Raum eingebettet sind, der so real und vielfältig ist wie die Materie, die sich durch ihn hindurchbewegt. Das Behälter/Materie Verhältnis von Raum und Objekten verlor für Bohm seine Gültigkeit.


Home

Inhalt

Weiter


 

1 Zajonc, 1994, S. 356.
Zajonc bezieht sich auf: David Bohm: (dtsch) Die implizite Ordnung.
München (Dianus-Trikont) 1985.

2 Talbot, 1992, S. 52.


Home

Inhalt

Weiter